„Afrika ist kein Kontinent für nur rational denkende Leute“

25. Februar 2021


Professor Karl-Werner Schulte gehört zu den renommiertesten Wissenschaftlern in der immobilienwirtschaftlichen Forschung. Er gilt als Vater der Immobilienökonomie. Sein Wirken wurde mit zahlreichen Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften gewürdigt — weltweit. Der Professor für Immobilienwirtschaft an der International Real Estate Business School (IREBS) der Universität Regensburg engagiert sich seit vielen Jahren auch in Afrika. Die AIZ sprach mit ihm darüber.

Interview von Heiko Senebald

AIZ: Herr Professor Schulte, gab es einen Auslöser für Ihr Engagement in Afrika?

Professor Karl-Werner Schulte: Als neuer Präsident der International Real Estate Society (IRES) nahm ich ab 2000 jedes Jahr an den Jahreskonferenzen unserer regionalen Tochtergesellschaften teil. So kam ich damals zur Konferenz der African Real Estate Society nach Arusha in Tansania. Das war meine erste Begegnung überhaupt mit Afrika. Diese Konferenz hat mich geprägt, weil sie anders war als alle anderen Konferenzen. Sie war viel lebhafter, emotionaler, leidenschaftlicher und ohne Anstandsfragen. Es hat mich ungeheuer beeindruckt, mit welchen Engagement dort die Leute aus Wissenschaft und Praxis miteinander diskutiert haben.

Sie haben sich dann ganz und gar in den Kontinent verliebt?

In der Tat, ich liebe Afrika. Ich habe bis jetzt 25 Länder in Afrika bereist. Nicht nur wegen der Konferenzen, sondern weil mich die Menschen und die Natur begeistern. Ich bin ja auch ein großer Fan der Polargebiete. Aber Afrika gefällt mir deshalb auch, weil ich das Gefühl habe, dass ich dort wirklich etwas bewegen kann — vor allem bezüglich meines Fachgebiets Immobilienökonomie.

Gibt es Regionen, die Sie besonders begeistern?

Ja, Ostafrika. Da vor allem Kenia, Tansania, Ruanda und Uganda. Dorthin habe ich auch die besten Beziehungen zu den Hochschulen und viele private Freunde. Ich war sehr häufig in diesen Ländern, weil ich im Auftrag der Regierung an zwei Universitäten gearbeitet habe. Meine Aufgabe war es über vier, fünf Jahre, die Entwicklung der Immobilienstudiengänge an den Universitäten zu beobachten, zu monitoren und Anregungen zur Verbesserung zu geben.

Sie haben der Immobilienwirtschaft in vielen afrikanischen Ländern durch Ihr Engagement eine neue Bedeutung gegeben. Gibt es so viel Nachholbedarf?

Ja. Nur eine professionell aufgestellte Immobilienwirtschaft kann in Afrika zur Entwicklung der Volkswirtschaft beitragen. Und das ist sie leider in den meisten Ländern noch nicht. Hier können die immobilienökonomische Lehre und Forschung einen wichtigen Beitrag leisten. Wir brauchen ja nur nach Deutschland zu schauen, welchen Bedeutung die Immobilienwirtschaft hier spielt oder auch in England und den USA. Die Professionalisierung der Immobilienwirtschaft erreiche ich nur durch Lehre und Forschung.

Und deshalb haben Sie die eine Stiftung gegründet, die sich dieser Aufgabe — der Professionalisierung der Immobilienwirtschaft in Afrika — annimmt?

Ja, vor zehn Jahren. Die gemeinnützige Stiftung „IREBS Foundation for African Real Estate Research“ unterstützt afrikanische Universitäten bei der Entwicklung von Immobilienstudiengängen sowie Doktoranden und Master-Studierende. Der Hintergrund ist ganz einfach zu erklären. Wir müssen als aller erstes Studiengänge einrichten und initiieren, Wissenschaftler ausbilden und die entsprechende Forschung vorantreiben, um die Immobilienbranche überhaupt professionalisieren zu können.

Um das alles zu erreichen unterstützt die Stiftung verschiedene Aktivitäten. Wir übernehmen zum Beispiel Studiengebühren für herausragende Studierende, die Master-Studiengänge in afrikanischen und europäischen Hochschulen belegen wollen. Der Master hat in Afrika eine andere Bedeutung als in Deutschland. Fast alle Studierenden gehen nach dem Bachelor in Unternehmen oder in den öffentlichen Dienst. Nur diejenigen belegen ein Master-Studium, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen, denn dafür brauchen sie den Master-Abschluss und die Promotion. Wir gehen davon aus, dass Master-Studierende, die wir unterstützen, an den Universitäten bleiben, anschließend ihren Doktor machen und ihre Laufbahn bis zum Professor fortsetzen. Deshalb fangen wir schön früh an, die Studierenden bei den Studiengebühren zu unterstützen.

Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es noch?

Wichtig ist uns, dass die jungen Forscher ihre Forschungsarbeiten auf den Konferenzen in Afrika und später auch in Europa vorstellen können. Wir finanzieren deshalb auch Reisekostenstipendien. Das Reisen innerhalb der Länder Afrikas kostet unglaublich viel Geld und ist aufwendig.

Ein weiteres Projekt: Junge Wissenschaftler haben in Afrika das Problem, dass sie keine Chance haben, dass ihre Forschungsarbeiten in den traditionellen, hochkarätigen Journalen abgedruckt werden. Also brauchten wir ein Journal, das sich mit afrikanischen Immobilienthemen beschäftigt. Die Stiftung finanziert ein solches Journal für African Real Estate Research.

Außerdem finanzieren wir mehrere Awards, einen für die besten Vorträge bei den Jahreskonferenzen der African Real Estate Society, einen für hervorragende Leistungen afrikanischer Frauen in Wissenschaft und Praxis und einen für die besten Ideen zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums.

Welche Herausforderungen gibt es in Afrika bezüglich des Mietwohnungsmarktes und beim Thema Wohneigentum?

Es gibt einen regulierten und einen unregulierten Markt. Die meisten Afrikaner wohnen ihn Wohnungsmärkten, die mehr oder weniger im Wildwuchs entstanden sind und keiner Regelung unterliegen. Die Afrikaner mögen aus ihrer Natur heraus keine Mietwohnungen, sondern sind eigentlich auf Wohneigentum aus. Das Hauptproblem dabei ist die Finanzierung. Nur in ganz wenigen Ländern gibt es Hypothekendarlehen und wo es sie gibt, nur sehr restriktiv. Nehmen wir Ghana als Beispiel. Ein Bauträger von Apartments bekommt erst eine Finanzierung, aber nur 30 bis 40 Prozent der Bausumme, wenn die Hälfte der Wohnungen verkauft sind.

Die Zinsen sind horrend: derzeit etwa 12 Prozent für USD Darlehen, 22 Prozent in Landeswährung. Die Wohnungskäufer bezahlen etwa die Hälfte des Kaufpreises innerhalb des ersten Jahres, unabhängig vom Baufortschritt. Es liegt auf der Hand, dass bei einer solchen Konstruktion ein Projekt schnell zum Kippen kommt und  daran dann Bauträger Pleite gehen und Käufer ihr Geld verlieren. Europäer investieren kaum in Afrika…

…was in meinen Augen in erster Linie an den politischen Unsicherheiten in den meisten afrikanischen Ländern liegt. Vor Wahlen wird oft mehr Demokratie und weniger Korruption versprochen. Im Verlaufe ihrer Amtszeit bewegen sich die Wahlsieger dann oftmals aber in eine entgegengesetzte Richtung. Ich möchte aber unbedingt eine Lanze für Afrika brechen. In den Medien wird leider meist nur über Afrika berichtet, wenn irgendwelche schlechten Dinge passiert sind. Die positiven Aspekte bleiben im Hintergrund. Es gibt viel zu tun in Afrika und es gibt spannende Märkte auch für Europäer.

Das Thema Infrastruktur beispielsweise wird momentan nur von den Chinesen beackert. Die Chinesen bauen Flughäfen, Brücken und andere Verkehrsnetze in Afrika, weil die Europäer sich schwer tun, den Schritt nach Afrika zu machen.

Welche Sektoren halten Sie noch für besonders spannend?

Es gibt eine große Nachfrage an allen Immobilientypen. Zum Beispiel der Büromarkt. Es gibt unglaublich viele Firmen, die in Afrika Fuß fassen wollen — wir reden über immerhin 54 Länder in Afrika. Die Unternehmen finden in den meisten Städten aber keinen adäquaten Büroraum.

Ein weiteres Thema sind beispielsweise Shoppingmalls. Traditionelles Einkaufen findet in Afrika auf den Straßenmärkten statt. Es gibt aber inzwischen mehr als 350 Millionen Menschen, die man in Afrika als Mittelschicht bezeichnen kann. Die haben keine Lust mehr auf Straßenmärkte. Ein Großteil dieser Mittelschicht flog vor der Corona-Krise zum Einkaufen nach Dubai. Emirates flog 25 Städte in Afrika an. Das heißt, es gibt Bedarf an Einzelhandel und Shoppingcentern von ganz unterschiedlicher Struktur.

Wann waren Sie das letzte Mal dort?

Im Sommer 2019 in Arusha, Tansania auf der Konferenz der African Real Estate Society. In deren Rahmen war ich mit 15 Immobilienpraktikern auf einer Real Estate Tour for Professionals. Ich hoffe sehr, dass die Konferenz dieses Jahr wieder stattfindet, und zwar in Lusaka, Sambia. Ich will anschließend privat nach Mozambique und Malawi reisen.

Ihre Begeisterung für Afrika ist eindeutig zu spüren.

Ich engagiere mich, weil ich mit ganzem Herzen an Afrika hänge. Dort fühle ich mich wohl. Afrika ist kein Kontinent für nur rational denkende Leute.

Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Ich bin stolz auf meine zwei allerersten Studierenden aus Tansania, die dreieinhalb Jahre an der Universität Regensburg studiert haben und deren Doktorarbeiten von mir betreut wurden. Beide gingen zurück an ihre Universität. Moses bekam eines Tages einen Anruf vom Staatspräsidenten. Er wurde zunächst Minister für alle Landangelegenheiten und später Chef der Staatskanzlei. Sophia leitet heute das größte Immobilienunternehmen in Tansania. Beide halten weiter Vorlesungen an der Universität. Und beide sind miteinander verheiratet.