#AIZ-PopUp: Mut zur Mitte

12. Juli 2018


Der Stichtag DSGVO ist überwunden und die Welt nicht auseinandergebrochen. Allerdings zeigt die neue Richtlinie einmal mehr, was für enorme Auswirkungen der digitale Wandel gesamtgesellschaftlich verursachen kann. Die Aussicht auf die Menge der Aufgaben, die noch vor uns liegt, kann zuweilen ermüdend wirken. Alles auf einmal erledigen zu wollen, gleicht einem Ausreisversuch aus dem Peloton eines Radrennes. Trotzdem immer Vollgas?

Von Jan Kricheldorf

Chacka-Trainer vertreten gern die Ansicht, man könne mit positiver Grundeinstellung und eisernem Willen mehr oder weniger die Weltherrschaft übernehmen. Und zumindest in der Sphäre des Vortragsraums ist das auch den meisten Zuhörern glasklar. Zurück im Büro sieht die Realität oft anders aus. Als erstes kriecht der motivierte Unternehmer unter den Tisch, um den Drucker zu reparieren, der sich während seiner Abwesenheit verabschiedet hat. Dann die Mitarbeiter: eine neue Krankmeldung und der Blick auf die Todo-Liste zeigt, dass nur die Hälfte aller Aufgaben erledigt wurden. Warum? Rechner ging plötzlich nicht mehr. Und noch? Die Telefon-Cloud ist zusammengebrochen. Schon atmet der positiv motivierte Unternehmer ein erstes Mal tief durch. Kann ja noch werden. Der Tag vergeht wie im Fluge immerhin — bis alle operativen Brände halbwegs gelöscht sind. Kennen Sie das? Kommen noch gesetzliche Pflichten hinzu, wird es mit der positiven Grundeinstellung immer schwerer.

Die DSGVO hat vor allem Kleinunternehmer wie uns getroffen und panikartiges Handeln heraufbeschworen. Wie soll so die Herausforderung der Digitalisierung genommen werden, wenn die Angst vor Strafen und Abmahnungen dazu führt, dass Unternehmer ihre Webseiten für drei Tage abschalten, um die erste Abmahnwelle vorbeiziehen zu lassen. Ja, die Welt dreht sich immer schneller und gerade deswegen ist Entschleunigung an der einen oder anderen Stelle dringend angeraten. Nur darf es im Ergebnis nicht dazu führen, dass vorsichtshalber der Stecker gezogen wird. Und umgekehrt ist auch wenig zielführend, wenn der Versuch unternommen wird, einer Verordnung gerecht werden zu wollen, deren konkrete Auslegung erst durch Rechtsprechung eindeutigere Formen annehmen wird.

Die wenigsten Kleinunternehmer werden immer zur Sperrspitze gehören. Der Platz in der Mitte ist ein guter Ort, um sich über die Zeit entwickeln zu können und Schritt für Schritt kleine Erfolge zu erzielen. Nachhaltig erfolgreich werden diejenigen sein, die sich nicht alles auf einmal vornehmen. Denn die Aufgaben, die sich aus dem digitalen Wandel ergeben sind gewaltig: über die eigene Webseite Aufträge akquirieren, Kundenkommunikation in digitalen Kanälen, alles richtig machen mit der DSGVO, das Überwachen und Steuern digitaler Prozesse. Das alles kann nur bewältigt werden mit regelmäßiger Fortbildung wie es der IVD und Akademien anbieten. Wo aber anfangen? Zunächst hilft es, eine digitale Strategie zu entwickeln. Wer das selber machen möchte, wird viele Bücher lesen müssen, um die Architektur digitaler Strukturen verstehen zu können. Warum gehen Startups und Proptechs die Digitalisierung scheinbar leicht von der Hand? Der Grund ist, dass die Macher dieser Kleinunternehmer sich von der Wiege an mit digitalen Prozessen beschäftigt haben. Dafür fehlt ihnen oft die Expertise der Branche, in die sie von außen eindringen. Dennoch können die alten Player viel von ihnen lernen. Nichts von dem, was sie tun, ist so einzigartig, dass es nicht grundsätzlich nachgemacht werden kann.

Kleinunternehmer aus der Mitte werden die eigene Webseite als Basis für jegliche digitale Kommunikation erkennen und ihr Marketing Schritt für Schritt um digitale Werkzeuge erweitern. Es wird sich zeigen, ob diese Werkzeuge, die Werkzeuge externer Dienstleistern sind oder ob der Anwender direkt darüber verfügen kann. Wer auch in Zukunft als Unternehmer möglichst wenigen Abhängigkeiten ausgesetzt sein möchte, muss handeln. Der erste Schritt ist oft noch der schmerzlichste, weil die Menge der Aufgaben enorm ist. Wer sich hier im Detail verliert, kann nur scheitern. Natürlich gibt es Unternehmer, die mit eisernem Willen und viel Disziplin den Erfolg geradezu erzwingen und die Defizite rasend schnell aufholen. Deutlich mehr Kleinunternehmer bewegen sich mit dieser Strategie aber am Rand des Burnouts und verlieren die Übersicht. Bei nicht wenigen führt das zum Stillstand statt zur erhofften Veränderung.

Das ist ein bisschen vergleichbar wie bei einem Radrennen. Die hochmotivierte Ausreißergruppen werden meist kurz vor dem Ziel vom Peloton wieder eingefangen und es entscheidet sich erst im Schlussspurt, wer das Rennen gewinnt. Ausnahmesportler wie Jan Ullrich oder Lance Armstrong gelang es schon einmal im Alleingang über die Ziellinie zu rollen aber — wie wir heute wissen — nicht ohne illegale Hilfsmittel. Daher: Mut zur Mitte zu haben, ist kein Stigma. Weniger ist oftmals mehr.