Bauakademie könnte zu einen Think Tank für die bauende Demokratie werden

16. April 2018


Es war das erste Gebäude, das vor acht Jahren in der neuen Europacity entstand. Der Tour Total Berlin, ein Bürohochhaus in der Jean-Monnet-Straße 2 im Berliner Ortsteil Moabit. Dort, in der 15. Etage des Towers, stehe ich in einem gläsernen Beratungsraum. Ich blicke auf Berlin. Dort unten am Hamburger Bahnhof sah ich letztens nur eine Baugrube.

Von Heiko Senebald

Heute, nur wenige Monate später, ist der Rohbau schon beträchtlich in die Höhe gewachsen. Rings um den Hauptbahnhof wird gebaut. Überall in Berlin wird gebaut. Ich frage mich gerade, ob man Identität und Heimat im pulsierenden Berlin finden kann. Geht sowas? Er müsste es wissen. Ich bin mit Architekt Eike Becker, Kopf der gleichnamigen Eike Becker_Architekten, in seinem Büro zu einem Kaffee verabredet.
AIZ: Fühlen Sie sich in Berlin zu Hause?

Eike Becker: Ich fühle mich in Berlin zu Hause — in dieser vorausstolpernden, pluralistischen Stadtgesellschaft, die brennend daran interessiert ist, wieder andere Wege zu finden. Natürlich betrachte ich das auch gerade aus städtebaulicher Sicht. Mir gefällt das widerstreitende Miteinander der unterschiedlichen Gruppen, die aber die Stadt auf ihre Weise voranbringen und Lösungen finden wollen. Mir gefällt die Atmosphäre der bescheidenen Suche und des divergierenden Miteinanders.

Seinen Weg sucht Berlin gerade auch, um die angespannte Wohnungsmarktsituation zu entschärfen. Was muss passieren?

Es muss mehr und dichter in Berlin gebaut werden. In der Stadt gibt es noch viele Potentialflächen. Eigentlich hilft wirklich nur bauen. Ein höheres Angebot führt dann auch mittelfristig zu niedrigeren Preisen.

Die Privaten bauen im Wesentlichen für hochpreisige Bedürfnisse. Aber die indirekte Förderung von Wohnungsbau führt leider häufig auch zu ineffizienten Strukturen. Die Kommunen greifen damit für viel Geld ein, aber durch die zu höherem Verwaltungsaufwand neigenden und mit eingeschränkter Flexibilität agierenden Organisationen wird am Ende das öffentliche Bauen nicht bedeutend günstiger, als das private. Meiner Ansicht nach ist das Klügste, möglichst ausreichend Bauland auszuweisen, Qualität und Vielfalt einzufordern und höhere Verdichtung, wo es geht, zuzulassen.

…die Politik reglementiert aber auch den Markt, beispielsweise mit Eingriffen in das Mietrecht.
Dazu sehen sich die Kommunen veranlasst. Wenn sie wachsenden Ungleichheiten nicht begegnen, werden daraus Ungerechtigkeiten, die den sozialen Zusammenhalt gefährden. Sie muss demnach mit kurzfristigen und langfristigen Zielen das eine und das andere verfolgen.

Offene Beteiligungsprozesse gehören zur Demokratie. Aber Sie verzögern oder verhindern auch Projekte. Wie weit darf Beteiligung gehen?

Es muss gerechte und nachvollziehbare Abwägungs- und Entscheidungsprozesse geben. Dass dieser Prozess oft länger dauert, ist auch auf den sorgfältig abwägenden Rechtsstaat zurückzuführen. Das ist ohne Zweifel eine Errungenschaft, denn jeder hat Rechte, die festgeschrieben sind und die es zu beachten gilt.
Dennoch: Wir müssen schauen, wo man Entscheidungs- und Beteiligungsprozesse beschleunigen kann. Die Kommunen selbst sind ja nicht unbedingt glücklich über Bürgerinitiativen, die in der Mehrheit außerparlamentarische Oppositionen darstellen. Da sehe ich Handlungsbedarf. Diese Belange müssen in die politische Meinungsbildung besser integriert werden. Da fehlt die Rahmensetzung, die die Meinungsbildungs- und Genehmigungsverfahren effizienter und zügiger machen.

Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn die Stadt wächst von Tag zu Tag.

Wir denken heute völlig anders, als noch 2008. Damals war Berlin eine schrumpfende Stadt. Da war Wirtschaftskrise und alle hatten ganz andere Probleme. Keiner hat sich damals vorstellen können, dass mal günstige Wohnungen knapp werden. Wir hatten 2004 noch 100.000 leerstehende Wohnungen in Berlin. Die Durchschnittsmieten lagen bei 3,50 Euro pro Quadratmeter. Jetzt müssen alle radikal und schnell umdenken. Und das fällt schwer und braucht Zeit. Zeit, die eigentlich nicht zur Verfügung steht.

Das kann schon frustrieren, wenn man sich vorstellt, was da vor kurzem noch alles aus öffentlicher Hand verkauft wurde, um den Haushalt zu sanieren. Heute fragt man sich: Wie konnten nur die Flächen in den besten Lagen so verscherbelt werden? So ändern sich die Zeiten.

Kritisieren Sie die Politik deswegen?

Die Politik ist jetzt in einer schwierigen Situation, denn diesen raschen Umschwung hat keiner vorhergesehen.  Stadtplanung ist aber etwas Langwieriges. Man kann nicht nur in einer Legislaturperiode denken. Für den Erfolg muss vorausschauend und langfristig gehandelt werden. Damit tut sich Berlin besonders schwer. Denn politische Anerkennung ist mit anderen Themen schneller zu bekommen. Wenn ich mir beispielsweise anschaue, wie schwer sich Berlin und Brandenburg bei der Abstimmung von länderübergreifenden Entwicklungsplänen tun, also bei Stadterweiterungen über die Ländergrenzen hinaus, kann ich Frustration nur schwer verbergen.

Eine Möglichkeit könnte das Bauen in die Höhe sein. International boomen Hochhausprojekte ja schon seit vielen Jahren. Deutschland tut sich da erheblich schwerer.
Deutschland ist kein ausgesprochenes Hochhaus Land. Das hat sehr unterschiedliche Gründe. Hongkong beispielsweise hat 1.400 Hochhäuser, die höher sind als 140 Meter. In Deutschland gibt es dagegen gerade einmal 30 Hochhäuser über 140 Meter. Von denen stehen etwa 20 in Frankfurt am Main. Berlin, habe ich gehört, soll nach den Vorstellungen der Stadtplanung eine eher niedrige Stadt bleiben. Es sollen maximal 120 Meter Höhe genehmigt werden dürfen. Warum das so ist, leuchtet mir nicht ein.

Warum tut man sich mit Hochhäusern so schwer?

So ein Hochhaus passt nicht automatisch in jede Nachbarschaft und harmoniert nicht gerade gut mit einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Ein Hochhaus ragt aus der Masse heraus. Es gibt automatisch „diese da oben“ und „jene da unten“. Hochhäuser müssen stadtverträgliche Hochhäuser sein, müssen nachbarschaftsbildende Hochhäuser sein. Sie müssen ihre Umgebung stärken und auch etwas für diejenigen bieten, die eben nicht im Penthouse oder in den oberen Etagen mit Blick über die Stadt leben.

Moskau zum Beispiel hat die meisten Hochhäuser in Europa, weil es da eben Charaktere gibt, die ein großes Bedürfnis nach Anerkennung und Repräsentation besitzen und sich ganz besonders mit dem eigenen Hochhaus identifizieren.

Sie arbeiten auch an eignen Hochhaus-Projekten, z. B.  in der Berliner Gropius-Stadt. Wie lassen sich alt und neu verbinden?

Wir wollen durch dieses Hochhaus auch die Umgebung besser machen. Menschen sind am meisten an Menschen interessiert, wollen andere treffen. Aber in vielen Hochhäusern begegnet sich keiner, außer zufällig mal im Aufzug. Mittlerweile gibt es ganz andere, neue Typologien, an denen wir arbeiten. Das sind Hochhäuser mit einem größeren Sockel, in dem dann auch die entsprechende Infrastruktur angeboten wird. Da kann man Kaffee trinken, sich hinsetzen, andere treffen und beobachten. Also die Funktion, die früher der Marktplatz hatte, auch der Dorfplatz oder die Dorfkneipe. Sowas müssen wir heute auch anbieten. Denn in solchen Hochhäusern und Quartieren wohnen ja nicht nur 50 Personen, sondern 200 oder 300. Insofern wollen wir mit dem Hochhaus für die Nachbarschaft entsprechende Anlaufstellen und Gemeinschaftsräume schaffen. Es wird außerdem eine Art Kümmerer geben, jemand der Anlaufstelle und Organisator ist.

Die bürokratischen Mühlen drehen sich langsam was die Ämter und was Entscheidungen betrifft. Viele verzweifeln. Sie auch?

Wenn wir in einer solchen Stadt wie Berlin oder auch München, Frankfurt/Main oder Hamburg etwas besser machen wollen, dann muss das wirklich sorgfältig abgewogen werden. Denn das, was wir in den Städten vorfinden, ist meistens auch schon sorgfältig überlegt worden. Das sage ich, obwohl ich natürlich realistisch gesehen an jeder Straßenecke verzweifeln könnte und viel Potential für Verbesserungen sehe. Dennoch: Eine pluralistische Gesellschaft hat extrem hohe Ansprüche an sich und ihre Abstimmungsprozesse. Das beginnt lange bevor man anfängt zu bauen.

Aber in Asien oder anderswo baut man doch auch viel schneller?

In Abu Dhabi ist das einfach. Da bestimmt ein Scheich, dass er den größten Turm der Welt haben will. Auch wenn das Projekt noch so absurd zu sein scheint und enorme Ressourcen verschlingt. Ein solcher Turm hat eine extrem große Oberfläche im Verhältnis zu seinem Volumen. Und in einer Wüste mit fast 50 Grad Lufttemperatur ist so ein Hochhaus völlig unsinnig. Eigentlich müssten dort kompakte, sich selbst verschattende Baukörper gebaut werden. Und unbebaute Landfläche ist ja dort auch zur Genüge vorhanden.
Da passiert es dann schon mal, dass da ein Quartier gebaut ist, ohne Anschluss an die Kanalisation. Dann muss das Ganze eben mit Tanklastzügen abtransportiert werden.

Sie sprechen gern über „bauende Demokratie“. Was genau meinen Sie damit?

Wenn man als Gesellschaft, als bauende Demokratie, erfolgreich sein will, ist es entscheidend, sich selbst zu begreifen und immer weiter zu qualifizieren. Dass man intensiv darüber nachdenkt, wie man etwas besser machen kann. Ich meine das im Zusammenhang mit der Diskussion um die Bauakademie. Es wäre doch grandios, wenn wir in Deutschland eine Bauakademie hätten, so wie eine Seefahrernation eine Seefahrt-Akademie hat oder der Bergbau eine Bergbauakademie. Die Demokratie als Bauherr – sozusagen die pluralistische Gesellschaft als diejenige, die sich ihre Städte selber schafft – muss noch viel intensiver darüber nachdenken, was sie besser machen kann. Oder wie die öffentliche und die private Seite im Einklang Stadt produzieren können. Da passiert viel zu wenig. Die Bauakademie könnte zu einen Think Tank für die bauende Demokratie werden.

Packen wir deshalb die Aufgabe bei den Wurzeln, nutzen wir die historische Gelegenheit und gründen die Bauakademie neu! Die Akademie für demokratisches Bauen. Die wird dann auch in die Immobilienwirtschaft und in die Politik hineinwirken und tatsächlich einen dringend benötigten Struktur- und Kulturwandel herbeiführen.

EBA Eike Becker Foto Urban Ruths
Architekt Eike Becker

Foto The Garden: Jens Willebrand
Foto Eike Becker: Urban Ruths