Bedarfsanalyse: Gatekeeper der Projektentwicklung

14. Januar 2020


Jens Kühnast ist Experte für die Bedarfsanalyse bei der Wohnkompanie Nord GmbH. (Copyright Foto: Jan Steinhaus)

 

Die Weichen für den Erfolg eines Projektes werden gestellt, lange bevor der Architekt den ersten Strich zeichnet: mit einer detaillierten Bedarfsanalyse. Als Leiter der Akquisition beim norddeutschen Projektentwickler DIE WOHNKOMPANIE Nord GmbH ist Jens Kühnast Experte auf diesem Gebiet. Im AIZ-Interview spricht er über die Ziele und Herausforderungen seiner Arbeit und erklärt, warum auch Verkäufer und Makler sich in der Ankaufsphase Zeit nehmen sollten.

Als Akquisitionsleiter ist es Ihre Aufgabe, Grundstücke zu bewerten und nach ihrem Potenzial auszuwählen. Welche Anforderungen muss ein Grundstück erfüllen, um für Sie interessant zu sein?

Im ersten Schritt dreht sich alles um unser Ankaufprofil. Im Kern beinhaltet es die Grundstücksgröße, die Region und den Wohnfokus. Die Frage, die ich mir jedes Mal stelle, ist: Passt das Grundstück zu uns — beziehungsweise passen wir zum Grundstück? Auf meinem Schreibtisch landen jährlich etwa 100 Grundstücke und das nur für den Großraum Hamburg. 80 Prozent dieser Grundstücke fallen durch das Raster unseres Suchprofils. Mit den restlichen 20 Prozent beschäftige ich mich intensiv und starte jeweils eine auf das Grundstück angepasste Bedarfsanalyse.

Warum ist eine Bedarfsanalyse wichtig?

Meist entscheidet das höchste Angebot darüber, wer den Zuschlag erhält. Um einen angemessenen Preis zu ermitteln, muss ich ein rentables Nutzungskonzept finden, das zu den Wünschen passt, die am Markt bestehen. Die Bedürfnisse aller Beteiligten – Bauherren ebenso wie zukünftiger Nutzer und Betreiber – müssen in den bestmöglichen Lösungsrahmen gebracht werden. Mit der Bedarfsanalyse bereite ich die nachgelagerte Planung möglichst detailliert vor. Es gilt, mutig zu sein und frühzeitig Entscheidungen zu treffen. Probleme in der Projektentwicklung entstehen oft nicht durch falsche Entscheidungen, sondern vielmehr dadurch, dass keine Entscheidungen getroffen werden. Ein klares Projektprofil hilft allen Beteiligten während des gesamten Entstehungsprozesses.

Wie läuft eine Bedarfsanalyse ab?

Die Analyse des Bedarfs ist der aufregendste und agilste Teilschritt der gesamten Projektentwicklung. Nichts steht fest, alles ist möglich, das Denken darf sich um 360 Grad drehen. Gleichzeitig müssen alle Faktoren berücksichtigt werden, die den Verlauf des Projektes und dessen zukünftige Nutzung beeinflussen können und könnten. Was wir häufig als Bedarfsanalyse bezeichnen ist korrekterweise die Erstellung eines Bedarfsplans. Die DIN 18205 für die Bedarfsplanung im Bauwesen gibt mir das Gerüst für eine strukturierte Vorgehensweise. Als erstes wird der Projektkontext geklärt, darauf aufbauend die Projektziele festgelegt. Alle relevanten Informationen und Daten werden erfasst und ausgewertet. Das Ergebnis ist der Bedarfsplan, der auf Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit untersucht wird. Erst dann treffen wir eine Kaufentscheidung (s. Grafik). Die Bedarfsanalyse ist also der Gatekeeper der Projektentwicklung.

Was wird in einem Bedarfsplan festgelegt?

Der Bedarfsplan umfasst zum Beispiel den benötigten Wohnungsmix, die Flächenbedürfnisse, den Energiestandard und Materialqualitäten. Auch weiche Faktoren wie das erforderliche Image des Projektes können hier mit einfließen. Die Bedarfsplanung ist das Fundament der zukünftigen Planung. Sie ist die DNA des Projektes und Leitfaden für die gesamte Projektentwicklung. Als iterativer Prozess wird sie immer wieder herangezogen und abgeglichen.

Welche Methoden kommen bei einer Bedarfsplanung in der Praxis zum Einsatz?

Zum Projektstart werden wichtige Meilensteine und Aufgaben in Checklisten festgehalten. Das schafft Struktur und Übersicht. Teamarbeit ist für unsere Arbeit sehr wichtig. Um möglichst viele und vielfältige Ideen für Nutzungskonzepte zu sammeln, führen wir frühzeitig interne Workshops durch, zu denen wir auch Experten einladen. Bei einer Standort- und Marktanalyse werden wichtige Rahmenbedingungen ermittelt. Auf der Makroebene ist das zum Beispiel die Wirtschaftskraft, die Infrastruktur und die Bevölkerungsentwicklung in der Region. Auf der Mikroebene schauen wir uns das direkte Umfeld des Grundstückes an. Gibt es z.B. Kitas, Schulen, Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe? Bezogen auf das Grundstück betrachten wir natürlich auch die Bodenbeschaffenheit, die Topografie und den Grundstückszuschnitt intensiv, da diese Parameter einen großen Einfluss auf die Baukosten haben. Ganz wichtig ist und bleibt für mich der Vor-Ort-Besuch. Nur vor Ort bekomme ich ein Gespür für die echten Mehrwerte der Lage und des Umfeldes.

Was ist die größte Herausforderung, der Sie während der Analyse begegnen?

Um den besten Preis für ein Grundstück ermitteln zu können, brauche ich Zeit – und die fehlt in der Ankaufsphase sehr häufig. Jeder Verkäufer und Makler möchte natürlich den höchstmöglichen Verkaufspreis für sein Grundstück erzielen. Dabei wird leider oft vernachlässigt, dass ein zu kurzes Zeitfenster für die Abgabe eines Angebots dem im Wege stehen kann. Je besser ich als Entwickler durch eine saubere und umfassende Bedarfsanalyse planen und die Weichen für den Erfolg meines zukünftigen Projektes stellen kann, desto höher fällt auch der Kaufpreis aus, den ich anbieten kann. Es lohnt sich also für alle Beteiligten, sich in dieser Phase ein wenig mehr Zeit zu nehmen.