Berlins Beitrag zu 30 Jahre Mauerfall – zurück in die Vergangenheit

7. Oktober 2019


Mit dem Mietendeckel versucht der Berliner Senat, die Zeit einfach zurückzudrehen. Das kann nur schiefgehen. Das Instrument wird in einer der aufstrebendsten Städte in Deutschland großen Schaden anrichten.

Poltisches Wort von Jürgen Michael Schick, IVD-Präsident

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In Berlin lässt sich gerade live und in Farbe beobachten, wohin eine ver­fehlte Wohnungspolitik führt: Das Gesetz zum Mietendeckel ist noch nicht einmal ausformuliert, aber schon jetzt berichten zahlreiche Berliner Bau- und Handwerksfirmen von massen­haften Auftragsstornierungen. Sanierung, Modernisierung, Neubau, das wird alles bereits zurückgefahren. Da kann der Berliner Senat noch so oft betonen, dass Wohnungsbau und sinnvolle Moder­nisierungen auch künftig möglich und rentabel sein sollen – die Wirtschaft kann sich darauf nicht mehr verlassen, und sie verlässt sich auch nicht mehr darauf.

Das passiert eben, wenn mutwillig Vertrauen verspielt und Unsicherheit geschürt wird: Investoren ziehen sich zurück. Diese Nachricht mag mancher Politiker in Berlin als Erfolg bezeichnen, in Wahrheit ist das aber eine Hiobs­botschaft für die Bundeshauptstadt. Das Wohnraumangebot wird künftig noch enger werden, der Wohnraum selbst wird modernen und notwendigen Ansprüchen an Klimaschutz und Barriere­freiheit, aber auch an Komfort und Funktionalität kaum noch genügen. Wenn Geld aus der Stadt abfließt, wird das der Stadt und seinen Bewohnern schaden.

Der geplante Mietendeckel wird von seinen Verfechtern als besonders mutiger Schachzug gefeiert, als heroischer Schlag gegen die Immobilienbranche. In Wahrheit aber ist der Mietendeckel die Reform gewordene Ängstlichkeit einer Politik, die meint, die Zeit einfach einige Jahre zurückdrehen und dann ein­frieren zu können. Das ist das genaue Gegenteil von Mut und Progressivität, das ist ein ins Abstruse gedrehter Konservatismus, der sich eine Zeit zurückwünscht, die nostalgisch verklärt wird: Als Berlin spottbillig, aber auch in vielerlei Hinsicht bettelarm war.

Es ist schon fast ein bisschen spannend, wie strukturkonservativ sich linke und grüne Politiker verhalten, die der politischen Logik nach doch eigentlich besonders fortschrittlich geprägt sein sollten. Kaum irgendwo sonst in Deutschland aber ist eine solche Angst vor Veränderung zu erleben wie derzeit im links regierten Berlin.

Dabei sollte Berlin stolz sein. Fünf Jahre in Folge schon ist Berlin das Bundesland mit dem stärksten Wirtschaftswachstum in Deutschland. Die Stadt boomt, und das tut ihr gut. Sie ist immer noch arm, na klar, aber es geht doch seit eini­gen Jahren endlich aufwärts; die Fortschrittslust, die vielleicht nirgends in der Bundesrepublik so groß ist wie in der Berliner Wirtschaft, sorgt für viel und gute und immer besser bezahlte Arbeit. Viel ist in der Stadt die Rede von einer neuen, umwelt- und bewohnerfreund­lichen Mobilität, von besseren Bildungsangeboten, von besser ausgestatteten und digitalisierten Verwaltungen – das sind ehrgeizige, aber zukunftsträchtige Pläne, die in Berlin verfolgt werden. Sie haben nur die Chance, zur Realität zu werden, wenn Berlin weiterwachsen darf.

Diese Chancen sind in Berlin aber politisch bedroht, und der Mietendeckel ist das Symbol dieser bleiernen, kleinbürgerlichen Politik. So wie er die Veränderung im Kleinen erschwert, im Mieterhaushalt – denn Umzüge werden künftig noch utopischer, wenn jede frei werdende Mietwohnung auf die Mietobergrenze abgesenkt und die Nachfrage noch größer wird –, so wirkt er auch auf die ganze Stadt. Er schützt nicht, sondern er verhindert moderneren und zusätzlichen Wohnraum, neue Wohn- und Arbeits­konzepte, kurz: Fortschritt.

Der Mietendeckel wird verfassungsrechtlich aller Voraussicht nach keine Chance haben. Bis diese Entscheidung aber von Gerichten gefällt und der Mietendeckel gekippt wird, wird einige Zeit verstreichen. In dieser Zeit könnte in Berlin viel kaputtgehen, was mühsam aufgebaut wurde.