Das Bewertungstool ist tot, es lebe das Bewertungstool

31. März 2023


Vollautomatisierte Preisermittlungen haben es schwer im Moment. Die hohe Marktdynamik macht ihnen zu schaffen. Valide Ersteinschätzungen ohne Makler-Check sind im Moment eigentlich nicht möglich.

Von Jan Kricheldorf

Skepsis an den Bewertungsergebnissen gibt es, seit die ersten Bewertungstools in der Branche aufgetaucht sind. Doch in diesen Tagen mehrt sich die Kritik an den automatischen Ergebnissen merklich. Datenlieferanten wie Sprengnetter oder Pricehubble können zwar die aktuelle Marktdynamik ein wenig feinjustieren, aber nicht so präzise, dass die Ergebnisse in allen Regionen Deutschlands immer dem aktuellen Marktgeschehen entsprechen. Von den Maklern hören wir Unterschiedliches. Die einen monieren die Preise von Sprengnetter, andere die von Pricehubble, und wieder andere die von Hettenbach. Höchste Zeit also die Funktionsweisen von Bewertungstools grundlegend zu überdenken und sich von alten Mustern zu trennen. Gibt es eine inhaltlich sinnvolle Lösung und lässt sich diese technisch abbilden? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst ganz weit zurückgehen zu den Bedürfnissen der angesprochenen Zielgruppe.

Das Dilemma für den Marktprofi

Eigentümer, die einen Verkauf in Erwägung ziehen, möchten am Anfang ihrer Customer Journey vor allem eins: einen schnellen Überblick über die Immobilienpreise und zwar zu jeder Uhrzeit und an jedem Wochentag. Für das kostenpflichtige Gutachten ist es in dieser Phase noch zu früh. Erst einmal Orientierung verschaffen, Möglichkeiten ausloten, später noch einmal eine richtige Preisermittlung als Grundlage dafür, einen Angebotspreis festzulegen. Dieses Bedürfnis ist für den Marktprofi ein Dilemma. Denn die digitale Orientierungsphase geht am Makler regelmäßig vorbei, das zeigen die vielen Abbrüche, die wir in den Bewertungstools feststellen, wenn vor dem Ergebnis explizit nach Kontaktdaten gefragt wird. Der Marktkenner ist hier einfach (noch) nicht gefragt.

Nervige Funnelfallen

Viele Eigentümer sind genervt von Funnelfallen und riechen 10 Meter gegen den Wind, dass sie nach Abgabe ihrer Kontaktdaten bombardiert werden von Mails oder Anrufen. Unseren Auswertungen zufolge beschränken Pay-Walls die Leadquote auf ein Verhältnis von 1:10, was bedeutet, dass neun von zehn Eigentümern den Vorgang abbrechen, obwohl sie vom Ergebnis nur noch ein Klick trennt. Mit den meisten Tools kann also der Makler das Geschehen nicht aktiv beeinflussen und auch seine Rolle als Marktkenner nicht ausspielen. Sollten die Nutzer von Bewertungstools also nicht mehr die Abgabe von Kontaktdaten zur Bedingung machen? Tatsächlich würde ein freier Zugang die Benutzung des Tools deutlich erhöhen. Die im Moment ausgegebenen Spannen dürfen bei im offenen Bereich deutlich breiter dargestellt werden als üblicherweise hinter der Pay-Wall. Der Berliner Makler Peter Guthmann realisiert das bereits auf diese Weise und stellt Quartiersbewertungen zur Verfügung. Dabei gibt der Anwender nicht mehr die Straße ein, sondern wählt lediglich den Kiez oder Bezirk aus, um die Lage einzugrenzen. Die Immobilienangaben werden reduziert auf die Größe und es wird unterschieden zwischen Kapitalanlagen und Wohnimmobilien. Das war’s.

Der beeinflussbare Bereich für den Makler

Auf der Ergebnisseite – wohlgemerkt, ohne dass Kontaktdaten abgegeben werden müssen – erhält der Anwender dann einen Überblick über die übliche Preisspanne, die durchschnittliche Angebotsdauer und vergleichbare Angebote im Markt. Zum Lead kommt es erst, wenn der Eigentümer es genauer wissen möchte und diesen Wunsch über ein Formular übermittelt. Jetzt beginnt der beeinflussbare Bereich für den Makler. Der Eigentümer möchte es also genauer wissen. Das bedeutet, dass objektspezifisch ermittelt werden muss, wo der aktuelle Preis liegt. Eine erneute (kleinere) Spanne verbietet sich aus meiner Sicht, denn der potentielle Verkäufer hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass er nun eine präzise Einschätzung wünscht. Der Makler wird sich also gegenüber dem Eigentümer auf einen Preis festlegen müssen und gleichzeitig noch genügend Bewegungsraum benötigen, den Wert nach oben oder unten korrigieren zu können. Mit vollautomatisierten Systemen ist das nicht möglich. Die Zukunft des Bewertungstools liegt in der Fähigkeit, viele Datenquellen unter einem Dach zu vereinen und eine interaktive Anwendung zu schaffen mit der Möglichkeit, live auf die angezeigten Werte Einfluss nehmen zu können. Aus Sicht des Eigentümers muss ein Cockpit geschaffen werden, das alle die Preisermittlung beeinflussenden Stellschrauben enthält, konkret: die aktuelle Angebotslage, die Wertentwicklungstrends, die Auswertung von Kauffällen, die Maklerstrategie. In direkter Kommunikation am Bildschirm wird der Marktkenner mit seiner langjährigen Erfahrung, die Wirkungen der Preisgestaltung auf die Vermarktungsdauer verständlich machen können. Er ist auch in der Lage, die Rentabilität von Sanierungen oder Erneuerungen des Heizungssystems sichtbar zu machen oder Nachfrageaussagen zu liefern, die ebenfalls den Verkaufspreis beeinflussen.

 

Illustration: Wordliner GmbH, alexkladoff/Depositphotos