Das wertvollste Kapital sind Ihre Mitarbeiter

20. September 2022


Eine Rezession in der Bau- und Immobilienbranche hätte eine fatale Kettenreaktion zur Folge. Die geplante erhebliche Angebotserweiterung auf dem Wohnungsmarkt steht auf der Kippe — nicht nur 2022, sondern auch darüber hinaus.

Von Jürgen Michael Schick, IVD-Präsident

Zahlen und Zielgrößen können manchmal ganze politische Programme ersetzen oder diesen zumindest ihren Stempel aufdrücken. Ähnlich verhält es sich mit einer der zentralsten Zahlen der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode. Die Rede ist vom ehrgeizigen selbst gesteckten Ziel, 400.000 bezahlbare und klimagerechte Wohnungen pro Jahr zu bauen.

Wie steht es nun um diese Chiffre im laufenden Jahr? Im ersten Halbjahr 2022 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts insgesamt 185.772 neue Wohnungen genehmigt, das sind 2,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser sank um 17 Prozent, bei Mehrfamilienhäusern stieg sie um 7,8 Prozent.

Das Ergebnis unserer Analyse lautet: Die Zahlen nähern sich einem gefährlichen Kipppunkt. Jede Wohnung, deren Bau nicht beantragt wird, fehlt bei der dringend erforderlichen Angebotsausweitung. Ohne ein größeres Angebot ist eine Entspannung der Mietmärkte kaum zu erreichen. Und jedes Wohnungsbauprojekt, das jetzt nicht angestoßen wird, fehlt mittel- und langfristig in den Auftragsbüchern der Bauunternehmen.

Die Auftragsbücher mögen momentan voll sein. Aber wie lange noch? Viele Bauunternehmen lassen aufgrund steigender Preise, des drohenden Bau-Attentismus und hoher Klimaschutzanforderungen personelle Kapazitäten bereits „on hold“ stellen: ein Warnsignal, das im Zuge einer Kettenreaktion zu einem Exodus der Arbeits- und insbesondere Fachkräfte führen könnte – und dies nachhaltig und substanziell.

Der „Big Quit“ in der Gastronomie- oder auch Luftfahrtbranche während der Coronajahre hat uns vor Augen geführt, dass ein einmal verlorener Arbeitnehmer nicht einfach durch einen anderen zu ersetzen ist. Diese Zeiten sind vorbei und auch für die Immobilien- und Baubranche gilt: Wer einmal abwandert, kehrt kaum wieder zurück. Und so könnte nach einer möglichen Flaute wichtiges Personal fehlen, um die in den kommenden Jahren dringend erforderlichen Wohnungen bauen zu können.

Um auf diese Entwicklungen adäquat zu reagieren und sie aufzuhalten, muss die Politik trotz aller Unsicherheiten und zum Teil widriger Perspektiven vor allem Planungssicherheit für die betroffenen Unternehmen schaffen. Dazu gehört aus Sicht des IVD in allererster Linie eine verlässliche sowie auskömmliche Förderung von Neubauprojekten und Bestandssanierungen. Leider agiert die Bundesregierung hinsichtlich der Förderprogrammatik zunehmend erratisch. Die abermalige überraschende Kürzung der KfW-Fördermittel für Gebäudesanierungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Ende Juli ist nur ein Beispiel dafür, wie das Vertrauen in die Politik Stück für Stück untergraben wird. Dabei nahm die Verunsicherung bereits im Januar ihren Anfang, als die Förderung energieeffizienter Gebäude eingestellt worden war.

Die Förderung muss jedoch so ausgestaltet sein, dass sie Anreize für Investoren setzt, bei vergleichbaren oder wenig höheren Investitionskosten umweltfreundlichere, energieeffiziente und energieproduzierende Gebäude zu projektieren. So kann Förderung auch zu einem Innovationsmotor werden. Dafür bräuchte es aber eine verlässliche und planbare Förderkulisse, die nicht dauernd kurzfristig gestoppt, gekürzt oder komplett verändert wird, wie wir es in den vergangenen Monaten erlebt haben.

Eine weitere, prinzipielle Lehre, die übrigens auch Verwalter, Sachverständigen- und Maklerbüros aus der jetzigen Krise ziehen sollten, lautet: Kümmert euch um eure Mitarbeiter. Denn diese sind das eigentliche und möglicherweise wertvollste Kapital, das Unternehmen momentan haben, um auch in der Krise bestehen und nach durchschrittenem Tal wieder durchstarten zu können.

Themen wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine angemessene berufliche Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz, adäquates Führungsverhalten und Empathie gegenüber den Mitarbeitern gehören zu jedem modernen Arbeitgeber. In diese Aspekte sollte nicht nur investiert, sie sollten auch von oben ernst genommen und gelebt werden. Trotz natürlicher Fluktuation kann es Unternehmen, die über den Tag hinausdenken, so gelingen, wertvolle Mitarbeiter nicht nur zu halten, sondern auch neue für den eigenen Betrieb zu gewinnen.

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