Unsere Gesellschaft befindet sich im demografischen Wandel. Viele Leute zieht es in die Städte, dort fehlt Wohnraum, auf dem Land hingegen gibt es immer mehr Leerstände. Eine Entwicklung lässt sich allerorts beobachten: Die Bevölkerung wird älter. Diese und weitere Beobachtungen haben das CIMA Institut für Regionalwirtschaft GmbH und das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Ihrer Studie zur „Demografischen Lage der Nation“ untersucht. Dort wurde nicht nur analysiert, wie es heute aussieht, sondern auch, wie die Bevölkerung sich aller Wahrscheinlichkeit bis 2035 entwickelt. Wie das funktioniert und welche Schlüsse wir daraus ziehen können, erklärt CIMA Institutsleiter Fabian Böttcher im AIZ-Interview.
Interview von Johanna Böhnke
AIZ: Welche Daten wurden für die Prognose als Grundlage genommen?
Fabian Böttcher: Die Prognose beruft sich komplett auf Daten der amtlichen Statistik. Dazu zählen die Einwohnerzahl, die Geburten, die Sterbefälle und die Wanderung, also die Zu- und die Fortzüge. All diese Daten haben wir für jeden der 401 Kreise in Deutschland über mehrere Jahre ausgewertet. Die letzten Daten stammen dabei von Ende 2017, da die Einwohnerstatistik auch im Jahr 2019 noch immer ein wenig hinterherhinkt.
Sie haben aus diesen Daten eine Hochrechnung bis 2035 erstellt. Wie funktioniert das?
Zunächst wird die aktuelle Bevölkerung berücksichtigt, die ist ein wesentlicher Bestandteil. Jeder Einwohner wird jedes Jahr um ein Jahr älter. Außerdem wird durch verschiedene statistische Verfahren geschätzt, wie viele Geburten es geben wird. Dafür ist zum Beispiel wichtig zu wissen, wie viele Frauen es gibt, die in einem Alter sind, um Kinder bekommen zu können und wie die Geburtenentwicklung in der Vergangenheit war. Das kann von Standort zu Standort unterschiedlich sein. In einer Hochschulstadt beispielsweise leben viele Frauen zwischen 20 und 30 — die kriegen aber nicht alle Kinder, nur weil sie theoretisch im passenden Alter sind. Außerdem schauen wir in die amtlichen Sterbetabellen, so können wir berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand in einem bestimmten Alter stirbt.
Große Unbekannte sind immer die Wanderungen. Dazu muss man Annahmen treffen, wie viele Leute jährlich über die Grenzen nach Deutschland kommen und wie viele Deutschland verlassen. Hier gehen wir von einer Zunahme von 260.000 Personen pro Jahr aus. Gleichzeitig müssen wir auch schauen, wie sich die Wanderungen innerhalb Deutschlands zwischen verschiedenen Landkreisen entwickeln. Hierzu analysieren wir ebenfalls Daten aus der Vergangenheit. All diese Daten fließen dann in ein gesamtes, großes Rechenmodell ein.
Wie genau ist eine solche Prognose?
Das Gute an einer solchen Prognose ist, dass wir zum Großteil auf aktuelle Bevölkerungsdaten zurückgreifen können. Die Entwicklung der bereits bestehenden Bevölkerung lässt sich relativ gut vorhersagen. Das Gleiche gilt für die Sterbefälle und Geburten. Die große Unsicherheit besteht immer bei den Wanderungen. Da muss man immer mit Annahmen arbeiten. Die Entwicklung hängt von sehr vielen ökonomischen und politischen Entwicklungen ab, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Da ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, ob es in bestimmten Herkunftsländern Krisen gibt. Für diese Daten haben wir uns mit dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung abgestimmt und sind so auf die positive Bilanz von 260.000 Personen pro Jahr gekommen. Das ist wesentlich weniger als in den Jahren 2015 und 2016, aber immer noch ein Wert, der zeigt, dass Deutschland für Zuwanderer nach wie vor attraktiv ist.
Wurden auch verschiedene Szenarien durchgespielt? Zum Beispiel eine erneute große Flüchtlingswelle, Wirtschaftskrisen oder ein politischer Umschwung?
In unserem Kernszenario gehen wir davon aus, dass die Entwicklung der Wanderungen sich ungefähr im Trend der letzten Jahre fortsetzt, die Zuwanderung aber Jahr für Jahr weniger wird. Das liegt zum einen daran, dass die hochmobilen Menschen in den Herkunftsländern schon weg sind. Zum anderen gehen wir davon aus, dass sich die Rahmenbedingungen innerhalb Europas immer mehr angleichen werden, sodass auch andere europäische Länder für Zuwanderer attraktiver werden.
Gleichzeitig gibt es aber noch weitere interessante Szenarien. Zum Beispiel haben wir ein Szenario berechnet, in dem wir Zu- und Abwanderung ausgeklammert haben. So ist eine Entwicklung gut erkennbar, die sich kaum beeinflussen lässt: die Alterung der Gesellschaft. Daran kann man sehr schön sehen, dass die Wanderungen zwar sehr wichtig sind, dass die Prognose aber vor allem schon durch die heutige Altersstruktur und die Alterung stark vorgezeichnet ist. Unvorhersehbare, einschneidene Ereignisse wie einen politischen Umschwung haben wir jedoch in kein Szenario einfließen lassen.
Was sind die wichtigsten Trends, die sich in der Untersuchung zeigen?
Wir beobachten in den Prognosen drei wichtige Trends: Erstens trifft der demografische Wandel nach wie vor alle Regionen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Zweitens sehen wir auch dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung sehr deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Die Alterung der Bevölkerung ist in Ostdeutschland in weiten Teilen sehr viel weiter fortgeschritten als in Westdeutschland. Das liegt daran, dass nach der Wendezeit viele junge Leute in den Westen abgewandert sind. Drittens entwickeln sich Städte und urbane Räume nach wie vor wesentlich günstiger als ländliche Regionen. Da gibt es aber natürlich auch Ausnahmen. Einige Städte haben stark mit Einwohnerrückgängen zu kämpfen, während ausgewählte ländliche Räume, wie das Oldenburger Münsterland, sich sehr positiv entwickeln.
Was bedeuten diese Entwicklungen für Deutschland?
Das bedeutet vor allem, dass man mit Augenmaß reagieren muss. Es gibt nicht ein Schema F für jede Region. Man muss die demografische Entwicklung in jeder Region betrachten und auf die jeweiligen Handlungserfordernisse eingehen. Schrumpfende Räume haben ganz andere Herausforderungen als noch wachsende Regionen.
Für wen sind diese Daten wichtig? Welche Branchen und Institute müssen damit arbeiten?
Die Einwohnerzahl ist der Dreh- und Angelpunkt in der Regionalentwicklung. Sie ist ein Einflussfaktor für vieles und gleichzeitig wirkt aber auch fast alles auf die Einwohnerzahl. Die Kenntnis der Einwohnerzahl und vor allem des Altersaufbaus der Bevölkerung ist für alle, die planen müssen, wichtig: Wie viele Wohnungen und welche Wohnungen werden gebraucht, welche Infrastruktur wird benötigt und wo entstehen zukünftig Arbeitsplätze? Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung helfen, diese Fragen zu klären. Damit hängt auch zusammen, wie öffentliche Gelder verteilt werden. Aber es ist natürlich auch wichtig für Unternehmen, die planen müssen, wo sie ihre Produkte verkaufen können, weil dort Personen im richtigen Alter leben.
Wie beeinflussen diese Entwicklungen die Immobilienbranche?
Ob die Einwohnerzahl wächst oder sinkt, hat natürlich Einfluss auf die Nachfrage und den Wettbewerb und damit in vielen Regionen auch auf die Preise. Fast noch wichtiger ist aber, wie sich die Altersstruktur verändert. Denn damit ergeben sich vielfältige Herausforderungen — auch beim Thema Wohnen. Es kann schließlich sein, dass die Einwohnerzahl in einer Region konstant bleibt, aber dadurch, dass sich in den nächsten 15 Jahren die Altersstruktur verändert, gehen mehr Menschen in Rente, und es stehen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung. Das heißt, es müssen weniger Leute zu ihrem Arbeitsplatz pendeln. Auf der anderen Seite hat man mehr Menschen im Rentenalter, das heißt man braucht mehr Seniorenwohnheime. Für Makler ist das wichtig zu wissen, denn dort, wo die Gesellschaft altert, überlegen viele Leute, ob sie weiterhin in ihrem Einfamilienhaus leben möchten oder lieber in eine barrierefreie Mietwohnung ziehen. Das heißt natürlich, dass gerade in solchen Regionen, die stark vom demografischen Wandel betroffen sind, viele Immobilien den Besitzer wechseln werden.
Ab wann bekommen Regionen durch ein Bevölkerungswachstum oder eine -abnahme Probleme?
Entscheidend ist nicht die prozentuale Veränderung, sondern wie die Region ausgestattet ist. Wenn in einer stark nachgefragten Stadt mit nur zwei Prozent Leerstand die Bevölkerungszahl weiter steigt, dann hat das ganz andere Auswirkungen als in einer Region mit einem weniger angespanntem Markt. Und auch in Regionen, in denen die Bevölkerungszahl zurückgeht, heißt es nicht, dass keine Bautätigkeit mehr stattfindet. Schließlich wird es trotzdem noch eine Nachfrage nach speziellen Immobilien geben, die am Markt nicht verfügbar sind. Das gilt wieder insbesondere für Regionen, in denen die Bevölkerung immer älter wird. Denn dort steigt die Nachfrage nach zentralen, barrierearmen Wohnungen.
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