Der Charakter bestimmt das Heim

14. Mai 2018


Felix Görmann, genannt „Der Flix“, arbeitet als Comiczeichner für verschiedene Zeitschriften wie „Tagesspiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Dein SPIEGEL“ und andere. Seine Geschichten wurden bisher in insgesamt neun Sprachen übersetzt. Mit seinem Live-Leseprogramm bringt er regelmäßig seine Comicgeschichten vor Publikum auf die Bühne. Im Interview erzählt er uns, welche Bedeutung das Wohnen für Comiczeichner hat.

Interview von Adrian M. Darr

Wie wohnen denn Comic-Helden?

Flix: So, dass es zu ihnen passt. Man muss immer überlegen: Was ist das für ein Typ? Die Wohnung darf das widerspiegeln. Bei manchen spielt es keine Rolle, die sind zeit- und raumlos. Für einen Kunden zeichne ich eine Serie über einen Diplomingenieur, da sieht man immer nur das Büro. Wenn man Batman nimmt, weiß man, der hat seine Villa, der hat seine Höhle. Da ergibt sich das aus dem Setting. Ich habe mal einen Comic über einen „modernen“ Don Quijote gezeichnet. Das spielte im Großraum Berlin-Brandenburg. Der ist so ein Eigenbrötler und wohnt in einer alten Villa.
Wie gehst Du in deinen Zeichnungen vor? Wie „lässt“ Du wohnen?

Recherche. Für Don Quijote habe ich nach alten Villen gesucht. Daraus habe ich meine eigene komponiert. Mein Don Quijote liest viel, also besitzt die Villa natürlich eine Bibliothek. Er schreibt Leserbriefe, dafür braucht er eine Schreibmaschine, er hat noch keinen Computer. Dann habe ich dementsprechend Räume drumherum gebaut. Mein Don Quijote hat kein Pferd. Da er alleine ist und nicht gut für sich sorgt, hat er eine Küche, die aber dementsprechend aussieht. Irgendwann habe von dem Haus einen Grundriss gezeichnet, um die Wege glaubwürdig darstellen zu können. Der Leser kennt zwar die Räumlichkeiten nicht, aber er kann spüren, dass die Bewegungen stimmen. Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, dass es wichtig ist, sich mit dem Haus, mit dem Wohnen zu beschäftigen, weil es eben nicht egal ist. Die Wohnung muss immer erzählend sein.

Welche Rolle spielt für Dich Dein Zuhause?

Ich bin gerne Zuhause. Lieber als woanders.

Hast Du dann viel Aufwand auf Dich genommen, um es Dir richtig gemütlich zu machen? Wie wohnst Du?

Nicht sehr stylisch. Es ist ein großes Sammelsurium. Ich habe viele Möbel oder Accessoires, die geerbt sind. Ich mag das, wenn Sachen eine Geschichte erzählen können. Die Erinnerungen sind mir wichtiger als ein einheitliches Wohnkonzept. Und man muss sich bei mir wohlfühlen können.

Wenn Du sagst „wohlfühlen“, würden Deine Figuren sagen, dass sie sich in ihrem Heim wohlfühlen?

Das kommt wieder auf den Charakter an. Die meisten schon. Aber in dem Comic „Ferdinand“ gibt es den Chef, der ist permanent unzufrieden, mit allem. Und so wohnt er auch. Es ist eine hässliche, geschmacklose Wohnung. Da habe ich mir immer Mühe gegeben, die möglichst ungemütlich zu machen. Da kann man auch viel mit Farbe machen. Die Wohnung ist dann so grün, grau. Zufälligerweise regnet es auch immer, wenn man die sieht.
Wohnst Du im Eigenheim oder zur Miete?

Ich habe mir mit einer Baugruppe mein Eigenheim gebaut.

Hast Du Deine Wohnung selbst gestaltet?

Ja. Ich habe das fast vollständig selbst gemacht — mit allen Fehlern, die man so machen kann (lacht). Auf dem Grundriss des Architekten habe ich die Wände so geschoben, dass es so aussieht und eingerichtet ist, wie wir uns das vorgestellt haben. Das war ein interessanter Prozess, weil man sich ja fragen muss, wenn man etwas gestaltet, wie man es gerne hätte. Also, wie möchte ich denn gerne wohnen? Wenn man eine Wohnung mietet, muss man sich ja mit dem abfinden, was man vorfindet.
Wie läuft denn das Bauen in einer Baugruppe so ab?

Es braucht viele Nerven. Man muss sich in so vielen Punkten mit der Gruppe absprechen, weil einfach unterschiedliche Geschmäcker aufeinandertreffen. Es sind rund 60 Familien. Insgesamt wohnen ungefähr 300 Personen hier, die alle irgendwie mitreden. Aber ich weiß auch, dass ich ohne die anderen nicht hätte bauen können. Und jetzt, wo ich das einmal erlebt habe, würde ich mir zutrauen, nochmal zu bauen, weil ich weiß, was auf mich zukommt. Das Ganze ist von einer Baugruppen-Agentur, einem Stadtentwickler ausgegangen. Die suchen nach Grundstücken, optionieren diese, entwickeln eine Idee und versuchen dann, Personen für eine Baugruppe zu gewinnen. Als die entsprechende Anzahl an Interessenten zusammen gekommen ist, wurden Architekten beauftragt und anschließend Baufirmen, die das Haus dann gebaut haben.

Welche Fragen musstet Ihr als Baugruppe während des Baus so entscheiden?

Alles – vom Eingang bis zum Dach. Welche Farben haben die Fußböden in den Treppenhäusern? Welche Fenster, Fenstergröße, Fensterfarbe, innen, außen? Welche Heizsysteme bauen wir ein? Welchen Strom, welche Satelliten, welche Haustechnik? Bauen wir einen Pool aufs Dach? Wie nutzen wir die Keller? Wie groß wird die Tiefgarage? Auch Fragen, zu denen man als Laie bisher keine Meinung hatte und einfach denkt: „Komm, bau es irgendwie.“

Hat das Bauen in einer Baugruppe Deine Arbeit beeinflusst?

Nein. Obwohl der große Baucomic schon Potenzial hätte. Aber gar nicht so sehr die Baugruppe selbst. Sondern viel mehr die Frage: Wem gehört der Raum in der Stadt? Und wer darf den wie nutzen? Wo ganz natürlich Interessenkonflikte entstehen. Und beide Seiten haben Recht. Aber trotzdem kann nur einer das so machen, wie er möchte. Das ist Shakespeare. Da kann man schon was daraus machen. Vielleicht irgendwann. Vielleicht auch nicht.

Du teilst Dir ja das Atelier mit dem Comiczeichner Marvin Clifford. Welche Rolle spielen für Dich Räume und Menschen? Was brauchst Du für Dein Arbeitsumfeld?

Das ist mir wichtig. Es ist das erste Mal, dass ich mir ein Atelier teile. Ich habe lange alleine und Zuhause gearbeitet. Weil mich Menschen wahnsinnig genervt haben (lacht). Ich würde das auch nicht mit jedem machen. Zwischenzeitlich war ich auch in einer Bürogemeinschaft. Das ging auch erstaunlich gut. Da habe ich die Vorteile von Menschengruppen kennen- und schätzen gelernt (zwinkert). Ursprünglich wollte ich in den zweiten Raum meines Ateliers ein Sofa stellen, aber irgendwann dachte ich: Warum nicht eine Bürogemeinschaft. Und so kam Marvin dazu. Wir arbeiten uns auch zu. Er hilft mir bei Projekten, ich ihm. Es ist angenehm.