„Der Investor muss die Hose anziehen, aber du musst sie für ihn nähen“

10. Januar 2023


Projektentwickler haben es aktuell nicht leicht. Nicht nur gestiegene Baukosten und Zinsen, auch das regulatorische Umfeld stellt sie vor Herausforderungen. Besondere Kreativität braucht es auch in strukturschwachen Regionen. Im AIZ-Interview berichten die Projektentwickler und Geschäftsführer der kair GmbH, Kerstin Rudat und Patrick Buch, wie die Umnutzung von Immobilien auch in strukturschwachen Regionen gelingen kann.

Interview von Carolin Hegenbarth und Adrian M. Darr

AIZ: Für den Namen Ihres Unternehmens haben Sie das Akronym „kair“ gewählt, das Sie als „Kreativ an Immobilien ran“ auflösen. Welche Kreativität braucht es, um leerstehende Immobilien in strukturschwachen Gebieten wieder zum Leben zu erwecken?

Kerstin Rudat: Zum Einen, ja, „kair“ steht für „Kreativ an Immobilien ran“. Zum Anderen ist es auch die Tonation für „Care“, also sich kümmern. Denn wir sehen es auch als unsere Aufgabe an, uns um die Probleme der ländlichen Region und um Menschen wie Senioren, Alleinerziehende und Menschen mit Behinderung, zu kümmern, damit die dort alt werden können, wo sie geboren wurden oder den Großteil ihres Lebens verbracht haben.

Patrick Buch: Die Kreativität liegt dann darin, für unsere Auftraggeber — Eigentümer, die eine leerstehende Immobilie besitzen — einerseits eine Idee zu ent-
wickeln, was man mit der Immobilie machen kann, und andererseits einen Geldgeber dafür zu finden. Und ein Investor benötigt ein stimmiges Konzept. Also er muss die Hose anziehen, aber du musst sie für ihn nähen. Und das machen wir. Wir verbinden die Immobilien mit dem Know-how, mit den Ideen und dem Kapital, das zur Verfügung gestellt wird.

Sie haben es ja schon angesprochen. Kapital ist nicht alles, aber ohne Kapital ist auch Kreativität nichts, oder? Wie kommen Sie an das notwendige Kapital?

Kerstin Rudat: Eine Finanzierung bei einer Bank für ein Projekt im ländlichen Raum zu bekommen, ist in der Regel schwieriger als eine Finanzierung für ein Projekt in einer A-, B- oder C-Lage. Hier erwarten Banken eine sehr hohe Eigenkapitaldecke. Es muss reichen, um die Immobilie oder das Grundstück zu kaufen mit allen Kaufnebenkosten und auch mit Rückbaukosten. Und dann müssen Sie sehr viel Überzeugungsarbeit bei den Banken leisten.

Patrick Buch: In den meisten Fällen arbeiten wir mit Geldgebern aus der jeweiligen Region im Umfeld des Projektes zusammen, die ein Herz und ein Verständnis für die Menschen der Region und deren Bedürfnisse haben. Diese kommen in der Regel nicht aus der Immobilienbranche, sondern sind Privatiers, die ihr Geld in anderen Bereichen der Wirtschaft gemacht haben und nun etwas an die Region zurückgeben möchten. Wir bezeichnen diese auch nicht als Investor, sondern als Geldgeber. In der lokalen Presse wurde auch schon von Sozialunternehmern gesprochen. Aktuell arbeiten wir an der Auflage von geschlossenen Immobilienfonds, die ebenfalls die sozialen Aspekte im Fokus haben.

Die Politik jeglicher Couleur spricht seit Jahrzehnten von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Ihr Konzept enthält auch den Ansatz, Kleinstädte zu Wachstumsräumen zu machen. Wie kann das gelingen?

Kerstin Rudat: Das kann insofern gelingen, indem man mit einem Thema ansetzt, das die Geldgeber und die Banken verstehen: ist die demografische Entwicklung. Während man in der Stadt vielleicht noch das Glück hat, dass es bereits barrierefreie oder barrierearme Immobilien gibt, findet man die im ländlichen Raum kaum. Da ist es sogar oftmals so, dass wir in einer Ortschaft mit 2.000 bis 5.000 Einwohnern ein Projekt realisieren, das als erstes überhaupt
einen Aufzug hat.

Wenn ältere Menschen dann den Alltag nicht mehr allein bewältigen können, ziehen sie in Pflegeeinrichtungen, die vom Heimatort 40/50 Kilometer entfernt in der nächstgrößeren Stadt liegen. Das führt dazu, dass viele junge Menschen dann auch den Ort verlassen. Wenn man diese „Abwanderung“ oder „Umsiedlung“ der älteren Menschen stoppt, dann sagen viele jüngere Menschen: „Solange meine Eltern hier wohnen, ziehe ich nicht weg.“ Das überzeugt dann auch Stadt- und Gemeinderäte. Und aufgrund der gestiegenen Preise haben wir einen Zuzug aus den Städten, weil in den ländlichen Regionen Eigentum noch bezahlbar ist. Und diese Zuzügler ziehen in die Immobilien, deren frühere Eigentümer in das von uns umgenutzte Objekt im Ortszentrum gezogen sind.

Sie sind sehr erfolgreich in Rheinland-Pfalz und dem Saarland tätig, zwei Bundesländer, die schwer mit dem Strukturwandel zu kämpfen haben. Kann das Konzept auch in anderen Regionen Deutschlands funktionieren?

Patrick Buch: Auf jeden Fall. Klar, in den Stadtstaaten wird es natürlich weniger gebraucht. Aber beispielsweise in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern
oder auch Baden-Württemberg wird es schon gebraucht, auch in Bayern gibt es viele Orte, die vor diesen Herausforderungen stehen. Bei der Umnutzung stehen Ihnen oft bauordnungsrechtliche Hürden im Weg? Was müsste passieren, dass Sie noch mehr ungenutzte Immobilien einer neuen Nutzung zuführen können?

Kerstin Rudat: Das heutige Baurecht führt uns hier oft an Grenzen. Bei einer Immobilie, die seit 100 oder 70 Jahren im Ort steht, fragt kein Mensch nach Abstandsflächen, nach Balkonen, nach Grundflächenzahl und Geschossflächenzahl, nach Stellflächen. Aber wenn wir dann ein Umnutzungskonzept vorlegen, wird das zum Thema. Und es kommt immer wieder mal vor, dass wir Projekte dann nicht umsetzen können.

Welches Projekt ist Ihnen besonders gut gelungen?

Patrick Buch: Besonders gut gelungen ist ein Projekt in Konken im Kreis Kusel — an das hatte keiner geglaubt. Das war eine Nahversorgungsverkaufstelle, in der Eigenvermarkter aus der Region gebündelt aus einem Laden verkauften. Dazu gehörten auch daneben und dahinterliegende Gehöfte, teils abrissfähige Gebäude, in denen immer noch Menschen gewohnt haben. Bei einem Teil hat die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht geltend gemacht, den anderen Teil hat man uns in die Vermarktung gegeben. Uns ist es gelungen, das Ganze zu arondieren, sogar eine überfällige Flurbereinigung durchzuführen und eine Einrichtung für Senioren zu entwickeln. Für die einzelnen Objekte haben wir eine Infrastruktur geschaffen. Wir haben Verkaufsautomaten, an denen man das Nötigste kaufen kann, eingerichtet, weil es in dem Ort keinen Supermarkt gibt. Dazu haben wir ein Quartiersmanagement geschaffen, das sich nicht nur um die Belange der älteren, sondern auch der jüngeren Bewohner kümmert. Und darüber hinaus ist es uns gelungen, den drohenden Leerstand, der sich durch den Umzug der älteren Menschen in die neue Anlage ergab, zu vermeiden und die freigewordenen Immobilien an junge Familien zu verkaufen. Hier hat wirklich alles gepasst.

 

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