Die Berliner Wohnungspolitik widerspricht der Landesverfassung

6. Dezember 2017


Die Politik der Berliner Landesregierung behindert die Bildung von Wohneigentum, statt sie zu unterstützen. Dabei widerspricht das Regierungshandeln der Berliner Landesverfassung, die Eigentumsbildung zum Staatsziel erklärt. Das bestätigt nun auch ein Rechtsgutachten. Von Jacopo Mingazzini

Die Berliner Landesverfassung enthält eine Besonderheit, die sie von den meisten anderen Landesverfassungen unterscheidet: In ihr wird explizit die Förderung der Wohneigentumsbildung zur politischen Aufgabe erklärt. Dem Berliner Senat fällt dadurch eine spezielle Verantwortung zu. Dass die aktuelle rot-rot-grüne Landesregierung diese Verantwortung jedoch missachtet, hat nun ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. jur. Steffen Hindelang von der Freien Universität Berlin ergeben.

In Art. 28 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) heißt es: „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“ Diesen Teil der Berliner Landesverfassung hat Hindelang in seinem Gutachten untersucht. Dazu beauftragt wurde er vom Verein zur Förderung von Wohneigentum in Berlin, der in diesem Jahr gegründet wurde.

Hindelang betont in seinem Gutachten die Gleichwertigkeit der in Artikel 28 festgehaltenen Staatsziele. Zwischen der Schaffung bezahlbaren (Miet-)Wohnraums einerseits sowie der Bildung von Wohnungseigentum andererseits bestehe kein Rangverhältnis, schreibt Hindelang. Der Gesetzgeber soll also weder das eine über das andere Ziel setzen noch einen Schwerpunkt auf eines der beiden Ziele legen. Eine Missachtung der Eigentumsbildung läuft dem Willen der Berliner Landesverfassung damit zuwider: „Einseitig von einer Wohnungseigentumsförderung abzusehen, widerspricht dem landesverfassungsrechtlichen Leitbild eines ausgewogenen Förderungskonzepts“, schreibt Hindelang.
Schon seit Längerem ist jedoch offensichtlich, dass in Berlin genau das geschieht, was die Landesverfassung eigentlich verbietet. Die Interessen der Mieter werden von der rot-rot-grünen Landesregierung — aber auch bereits von ihren Vorgängerinnen — klar über die Interessen der Eigentümer und insbesondere der potenziellen Eigentümer gestellt. Die eingeführte Umwandlungsverbotsverordnung sowie die immer zahlreicher werdenden Milieuschutzgebiete verfolgen das Ziel, Mieter zu schützen, führen jedoch zu einer steten Angebotsverknappung bezahlbarer Eigentumswohnungen. Zugleich sind in der Berliner Politik keinerlei Ansätze zu erkennen, diese Nachteile für Wohnungskäufer durch eine zielgerichtete Förderung zu kompensieren.

Ganz im Gegenteil, denn die hohe Grunderwerbsteuer von sechs Prozent — seit 2006 hat Berlin den Steuersatz bereits dreimal erhöht — lässt die Kaufnebenkosten für private Eigenheimkäufer in die Höhe schießen. Das führt selbst bei 100-prozentigen Finanzierungen zu dem Problem für viele Haushalte, dass ihnen nicht genügend Eigenkapital zur Verfügung steht. Dadurch verpassen es zahlreiche Berliner, die aktuelle Gelegenheit historisch günstiger Zinsen wahrzunehmen und ein Eigenheim zu erwerben. Entgegen ihres Auftrags aus der Verfassung fördert die Berliner Politik Eigentumsbildung also nicht nur nicht, sondern behindert sie sogar.

Daher kommt Professor Hindelang zu dem Schluss, dass sich Senat und Abgeordnetenhaus „nicht mehr im Leitbild der Verfassung“ bewegen. In einem Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ ergänzte er, dass das Land Staatsziele zwar auch zurückstellen könne „Aber es geht nicht, dass das Land die Förderung von Wohnungseigentum auf den St. Nimmerleinstag vertagt.“

Die Berliner Landesregierung muss also die Wohneigentumsbildung in den Blick nehmen, will sie die Landesverfassung nicht missachten. Bislang jedenfalls sind in Berlin keinerlei Anstrengungen zu erkennen, die Bildung von Wohneigentum zu unterstützen. Der „Tagesspiegel“ hat bei der Investitionsbank Berlin IBB nachgefragt, wie viele Wohneinheiten im vergangenen Jahr gefördert wurden. Demnach wurden in der Millionenstadt Berlin im gesamten Jahr 2016 lediglich 64 Förderverträge für den Bau oder die Sanierung von Eigenheimen abgeschlossen. Eine ernsthafte Förderung sieht anders aus, wäre aber dringend nötig. Einer Studie der Berliner Bank zufolge wünscht sich eine deutliche Mehrheit der jungen Berliner ein Eigenheim. Angesichts der Relevanz von Wohneigentum für die persönliche Altersvorsorge ist das ein Wunsch, der unterstützt werden sollte.

Mingazzini 0120525 01 030
Vorstand der Accentro Real Estate AG und Vorsitzender des Vereins zur Förderung von Wohneigentum in Berlin e.V.