„Die Innenstadt muss wieder das Wohnzimmer der Stadt werden“

23. Februar 2021


Die Innenstädte sind vom Aussterben bedroht und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Vor allem die Einzelhändler leiden unter dem aktuellen Lockdown und dem verstärkten Onlinehandel. Um das Aussterben der Innenstädte nach der Corona-Pandemie zu verhindern, braucht es neue Konzepte. Klaus H. Schütt ist Geschäftsführer der Hans Schütt Immobilien und einer der 12 Partner im Immobilienberater-Netzwerk DAVE. Im Interview mit der AIZ zeigt er auf, wie die Innenstädte nach Corona aussehen könnten.

Interview von Sandra Borchert

AIZ: Herr Schütt, die Innenstädte verändern sich stark durch die Corona-Pandemie. Was genau ist dabei das große Problem?

Klaus H. Schütt: Eines der größten Probleme ist der vermehrte Frequenzverlust. Derzeit findet man in den Innenstädten erheblich weniger Passanten, aber auch Touristen bleiben völlig aus. Bei uns in Kiel als Fährhafen haben wir immer sehr viele Fremdsprachen im Stadtzentrum gehört. Aber das findet im Moment nicht statt, weil die Fähr- und Kreuzfahrten eingestellt wurden. Das mindert natürlich zusätzlich die Frequenz in der Innenstadt.

Bei den Einzelhändlern läuft momentan das Geschäftsmodell Click and Collect ganz vernünftig. Da werden 25 bis 40 Prozent des Umsatzes auf jeden Fall kompensiert. Auf der anderen Seite entscheiden sich viele Einzelhändler dafür, einen Onlineshop zu eröffnen. Allerdings kann eine solche Eröffnung unter Umständen genauso teuer werden, wie die Eröffnung einer neuen Filiale. Das könnte also viele Händler daran hindern, so etwas professionell zu betreiben.

Dennoch habe ich bei unseren örtlichen mittelständischen Händlern durchaus einen Optimismus gefunden. Sie sind der Auffassung, dass die Kunden anders als bei dem ersten Lockdown auch gegenwärtig lieber ihre bestellten Produkte abholen, als sie liefern zu lassen. Bisher scheinen die Auswirkungen des Lockdowns einschneidend, aber noch nicht flächendeckend existenzvernichtend zu sein. Viele empfinden dies aber eher als „Ruhe vor dem Sturm“.

Gibt es ein, sagen wir mal, „Post-Corona-Konzept“ für die Innenstädte?

Nein, es gibt kein wirkliches Konzept. Von wem soll das Konzept kommen? Es müssen viele gemeinsam daran mitwirken: Auf Bundes- und Landesebene muss der baurechtliche Rahmen vereinfacht werden, die Lokalpolitik muss leistungsfähig, schnell und mit Augenmaß mitwirken. Vermieter müssen trotz geringerer Einnahmen investieren und der Einzelhändler muss engagiert und agil mitwirken. Filialisten und große Vermieter residieren in einer entfernten Metropole, sie müssen Bezug zu den bundesweit verteilten Standorten gewinnen. Die Innenstadt wird von der großen Fläche Abstand nehmen. Natürlich wird es einige wenige große Ankermieter geben, idealerweise am Ende und am Anfang einer Fußgängerzone.

Aber die Läden dazwischen sollten kleinteiliger, durchmischt und individueller werden. Wir müssen die Uniformität in den Innenstädten durch Individualität ablösen. Auch die großen Handelsketten müssen umlernen. Die großen Filialisten dürfen auch nicht mehr Trittbrettfahrer guter Innenstädte werden, sondern sie sind gefordert, sich aktiv einzubringen. Die Ketten müssen sich ihrer örtlichen Verantwortung stellen. Ich weiß nicht, ob sie dazu in der Lage sein werden. Ich bin in vielen Gremien unserer Stadt unterwegs, wo es um die Perspektiventwicklung der Innenstadt geht, um Business Improvement Distrikte, die aber leider gescheitert sind. Gerade große anonyme Eigentümer wie Fonds zeigen kaum Mitwirkungsbereitschaft. Geschäftszentralen im Ausland sind auch nicht hilfreich. Die interessiert nicht der einzelne Markt. Da wird die Marktmacht falsch eingesetzt.

Dazu ein kleines Beispiel: Ich gehe durch unsere Stadt, sehe mitten in der Fußgängerzone ist ein Café einer großen Kette, das architektonisch ein bisschen sonderbar ist. Eine undurchsichtige, relativ einfallslos gestaltete, uniforme Fläche öffnet sich lediglich zur Seite. Und diese uniforme Fläche zur Fußgängerzone war durch Möwendreck von oben bis unten überzogen. Das regte mich so auf, dass ich in das Café ging, um mit dem Storemanager zu sprechen und ihn auf die Verschmutzung aufmerksam zu machen. Dieser erklärte mir, dass er das noch gar nicht bemerkt hätte. Er könne aber leider nichts machen, da er nach Anweisung der Zentrale in London nur alle drei Wochen eine Reinigung veranlassen dürfe. Einem individuellen Kaufmann wäre das nicht passiert. Sein Laden hätte niemals so ausgesehen.

Verspüren Sie denn Veränderungen in den Investorennachfragen bezüglich Immobilien in den Innenstädten?

Es besteht nach wie vor Interesse. Das ist ein bisschen segmentiert. Da gibt es einige, die halten das Pulver trocken, weil sie erwarten, dass Preise fallen. Andere kommen gar nicht mehr als Interessent in Betracht. Wir haben aber in den letzten zwei Jahren im Innenstadtbereich trotz einer größeren Leerstandsrate durchaus Verkäufe und Vermietungen zu ordentlichen Preisen umsetzen können.

Gibt es politische Konzepte, die den Einzelhandel in der Innenstadt retten könnten?

Wir hatten dieses alte, völlig verkehrte Konzept der Charta von Athen, bei der Wohnen und Gewerbe getrennt wurde. Dadurch sind Verkehre entstanden, die völlig unnötig sind. Und wir wissen ja, dass die Erkenntnis von gestern der Irrtum von heute ist. Heute soll alles wieder in vernünftiger Weise durch Fußgänger und Radfahrer erreicht werden. Das allein ist zu kurz gesprungen. Wo zum Beispiel bleiben da die Senioren?

Wir brauchen in der Stadt zur Verbesserung der Frequenz und der Kaufkraft auch wieder mehr Büros. Viele Büros wurden an die Stadtränder verlegt. Wir müssen aus großen Flächen kleine Flächen machen. Entsprechende Fördermodelle könnten helfen. Wir müssen es vereinfachen, aus Gewerbeflächen Wohnflächen zu schaffen oder Nutzungsänderungen durchzuführen.

Ich kann Ihnen dafür ein Beispiel geben: ein kleiner Hofladen mit vielleicht 20 Quadratmetern entsteht aus einer ungenutzten Hofdurchfahrt mitten in der Innenstadt von Kiel. Wenn man sich das so ansieht in anderen Städten: fahren sie nach Barcelona oder in eine kleine italienische Stadt – überall hat man individuelle Läden auf kleinster Fläche. Wenn man so etwas in einer deutschen Stadt gestalten möchte, dann brauchen sie für die Schaffung des Baurechts ungefähr anderthalb Jahre. In Kiel werden gern Berliner Brandschutzgutachter beschäftigt und das dauert, kostet und ist eigentlich einem Eigentümer nicht zumutbar. Wer das einmal gemacht hat, macht es nicht wieder.

Und was mir auch außerordentlich wichtig ist: eine gute Architektur gerade im Innenstadtbereich. Gute Architektur ist nicht teurer als schlechte Architektur. Es gibt an vielen Stellen historische Gebäude, die aber nicht hinreichend sichtbar sind. Hier im Kieler Zentrum ist die Nikolaikirche. Das benachbarte Karstadtgebäude wurde abgerissen und es ist dann ein neues Einkaufszentrum dahin gekommen. In der Zeit, als die alte Bausubstanz beseitigt war, hatte man einen wunderbaren Blick auf diese Kirche. Und dann ist das Ganze wieder zugebaut worden. Wir müssen vernünftige Sichtachsen haben und wir müssen schöne Gebäude nicht verstecken, sondern sichtbar machen.

Zeigt sich bei den Eigentümern von Einzelimmobilien und Büroimmobilien die Angst vor der großen Pleitewelle?

Unsere Kunden sind individuelle Einzeleigentümer, die diversifiziert angelegt haben. Da ist keiner dabei, der 15 1A-Anlagen in einer oder in mehreren Städten hat, und insofern besteht eine solche Angst nicht. Dort, wo auf 1A-Anlagen fokussierte und finanzierte Eigentümer sind, sieht das schon anders aus. Wenn eine Einzelhandelsfläche, die monatlich 80, 115 oder gar 150.000 Euro Miete nicht mehr einbringt, entsteht ein Problem. Die Zinsuhr läuft weiter.

Insgesamt herrscht aber die Einschätzung vor, dass viele Menschen daran gehindert sind, durch den Lockdown Geld auszugeben. Nach dem Lockdown wird es dazu kommen, dass die Leute zum Beispiel umso mehr konsumieren und reisen. Das heißt, dass Reisebüros wieder gefragt sein werden. Die Verbraucher werden aber auch im Einzelhandel mehr Geld ausgeben, eben weil sie daran so lange gehindert wurden.

Sind denn alle größeren Innenstädte im gleichen Maße betroffen?

Es ist schlicht und ergreifend Kaufkraft abhängig. Wenn Sie München und Hamburg nehmen, ist es sicherlich etwas weniger dramatisch. Nehmen Sie ostdeutsche Bundesländer und das Ruhrgebiet, dann deutlich mehr. Auf der anderen Seite kann man die Gebiete auch nicht über einen Leisten schlagen. Das höre ich gerade von den Kollegen aus dem Ruhrgebiet. In Dortmund, das annähernd so groß ist wie Duisburg, haben Sie dreimal so hohe Mieten. Man muss das schon auf die einzelne Stadt bezogen betrachten.