Die Politik mischt wieder mit

17. Oktober 2018


Über Jahre hielt sich die Politik aus der Wohnungswirtschaft heraus. Das deutsche Mietrecht galt als streng genug, Fördermaßnahmen wurden Jahr für Jahr zurückgefahren. Sozialer Wohnungsbau, steuerliche Abschreibungen, Eigenheimzulagen – alles wurde gekürzt. Und entsprechend galt den meisten Parteien die Wohnungspolitik als „unsexy“, „Nischenthema“ und letztlich „irrelevant für den Wahlausgang“.

Von Dr. Josef Girshovich

Gewiss, Wohnungsexperten musste es zwar in jeder Fraktion geben, aber das war ein Job für die vorletzte Reihe, für die Pflichtteilnahmen an den Jahresversammlungen von Mieterbund und Kleingartenkolonie. Das ändert sich gerade. Die Politik hat das Thema Wohnen wieder für sich entdeckt. Vor allem in Großstädten und Ballungsgebieten, wo die Nachfrage groß und das Angebot knapp ist, wollen die Parteien wieder mitreden. Vor Kurzem fand im Bundeskanzleramt der Wohngipfel statt, und das war vermutlich erst der Anfang. Die politische Maschinerie hat erkannt, dass Wohnraum wichtig ist für den Ausgang der Sonntagsfrage. In den Metropolen geht es dabei um nicht genügend Wohnungen, in den Mittelstädten und auf dem platten Land um das Gegenteil: um Entvölkerung, Zersiedelung und letztlich Überleben. Auf der einen Seite wissen die Menschen in den zwanzig teuersten deutschen Städten nicht, wie sie sich eine Wohnung leisten sollen. Auf der anderen Seite sehen die Menschen in vielen Regionen der Republik, wie ihr einst teuer aufgebautes Zuhause immer mehr an Wert verliert. Die einen haben nicht genug Geld für ein Dach über dem Kopf, die anderen haben ein Dach über dem Kopf, das kein Geld wert ist.

Die Fronten sind dabei hart — sie verlaufen aber mitnichten zwischen Links und Rechts, zwischen Bürgerlichen und Sozialen. Der wohnungspolitische Diskurs verläuft heute zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Etatismus und Marktfreiheit, zwischen denjenigen, die Erfahrung im Bau von Wohnungen haben, und denjenigen, die sich dieses Wissen anmaßen.

Natürlich agieren die Parteien nach ihrem eigenen Wirtschaftlichkeitsgebot: Ihre zu maximierenden Einnahmen heißen Wählerstimmen. Da immer mehr Menschen auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind, ist die Wohnungsfrage für sie „eine zentrale soziale Frage unserer Zeit“ — so fängt dann auch das von der Bunderegierung erarbeitete Eckpunktepapier zum Wohngipfel an.

Das wird Auswirkungen auf die Wohnungswirtschaft haben. So wie Umweltpolitik und innere Sicherheit im Wahlkampf immer häufiger zentrale Rollen einnehmen, so werden auch immer mehr politische Akteure beim Bau, der Verwaltung und Vermietung von Wohnraum mitreden wollen. Auf Branchentreffen spürt man diese Entwicklung schon heute. Die politische Präsenz nimmt zu, und die Debatten werden kontroverser, je mehr politische Vertreter sich einfinden. Selbst Lokalpolitiker bekommen plötzlich einen Promibonus. Vor wenigen Jahren hätte niemand einen für den Wohnungsbau zuständigen Stadtrat zur besten Sendezeit im Fernsehen erwartet — heute hingegen ist das an der Tagesordnung (ebenso wenig, wie die Bundesregierung vor zehn Jahren zu einem Wohngipfel mit über 100 Teilnehmern geladen hätte).

Diese Präsenz ist einer sozialen Brisanz geschuldet, auf die sich die Wohnungswirtschaft einstellen muss. Wir sind als Branche gefragt, uns gemeinsam zu positionieren, um dem Wettbewerb mit der Politik standhalten zu können. Was wir indes nicht dürfen, ist in eine Schockstarre zu verfallen. Es ist an der Tagesordnung, dass die Politik diejenigen Themen aufgreift, die für sie und die Menschen relevant sind oder zumindest relevant erscheinen. Wir, die Wohnungswirtschaft, wissen um die Bedeutung des Wohnens für die Menschen — es liegt also auch ein Stück weit an uns, unsere Expertise, Erfahrung und Kompetenz im Spiel mit der Politik einzubringen.

Foto: © sundatoone