„Die Preisrallye ist vorbei.“

27. Februar 2023


Wie erklärt man einem Eigentümer, dass seine Immobilie nicht so viel wert ist, wie er es sich vorstellt? Sachverständige, Gutachter und Immobilienmakler stehen im Umgang mit ihren Kunden vor neuen Herausforderungen. Der Sachverständige für die Markt- und Beleihungswertermittlung aller Immobilienarten Andreas Habath aus Berlin berichtet aus seiner Alltagspraxis.

Interview von Adrian M. Darr

AIZ: Herr Habath, wie wird jetzt eine Immobilie bewertet?

Andreas Habath: Immobilienbewertung ist zeitlos. Man bewertet die Immobilie jetzt wie zu jeder anderen Zeit auch. Als Sachverständiger habe ich den Auftrag, zu einem bestimmten Wertermittlungsstichtag den Verkehrswert, respektive Marktwert und damit den wahrscheinlichsten Kaufpreis, im nächsten Kauffall abzubilden. Und wenn ich mich in einem Marktumfeld bewege mit einer geringeren Nachfrage, wo Kaufpreise stagnieren oder sogar fallen, muss ich das zu meinem Wertermittlungsstichtag als Sachverständiger berücksichtigen.

Dabei gilt: Eine Immobilienbewertung lebt von den Daten, namentlich den Marktdaten. Und diese Marktdaten sind in Deutschland leider immer nur mit Zeitverzug zu bekommen. Das heißt, egal zu welchem Zeitpunkt und in welchem Marktumfeld wir uns bewegen, wir hinken, was die Daten angeht, immer hinterher. Deswegen ist es so wichtig, dass der Immobilienwertermittler sich diese Zeit, die zwischen Veröffentlichung der Daten und dem Wertermittlungsstichtag vergangen ist, genauer anschaut und dann Kraft seiner Erfahrung und Expertise eine entsprechende Schätzung vornimmt.

Konkret sieht das aktuell so aus, dass ich beispielsweise vom Gutachterausschuss Immobilienbewertungsdaten zu Verfügung gestellt bekomme und die sind dann schon ein halbes oder eigentlich sogar ein Jahr alt und resultieren aus einem Immobilienmarkt, der von einem Preisrekord zum anderen gegangen ist. Das bedeutet, dass ich einen Zuschlag, den ich vor ein oder zwei Jahren noch gegeben habe, jetzt nicht mehr geben kann. Und bei der einen oder anderen Immobilie muss ich mir vielleicht überlegen, ob ich noch einen Abschlag anbringe.

Wie hat sich denn die aktuelle Entwicklung auf die Immobilienpreise ausgewirkt?

Dadurch, dass die Daten immer verzögert veröffentlicht werden, ist das schwer zu sagen. Für Berlin beispielsweise haben wir das erste Halbjahr 2022 vom Gutachterausschuss auf Grundlage wirklich stattgefundener Transaktionen ausgewertet bekommen. Und da hat sich gezeigt, dass sich schon im ersten Halbjahr die Dynamik abgeschwächt hat, allerdings gab es noch kleine Zuwächse. Aber für das zweite Halbjahr können wir höchstens hilfsweise überprüfen, was sich in der Angebots-Nachfrage-Situation getan hat. Wenn man sich beispielsweise die einschlägigen Internetplattformen mit Angeboten anschaut, stellt man fest, dass die Nachfrage deutlich zurückgegangen ist.

Wie gehen Verkäufer und Käufer mit der aktuellen Situation um?

Normalerweise gibt es, wenn es auf Weihnachten und das Jahresende zugeht, turnusmäßig so eine Art Jahresendgeschäft, wo vermehrt Kaufverträge geschlossen werden. Im vergangenen Jahr ist das aber ausgefallen. Und so wie ich das mitbekomme, hält das noch an. Sowohl Eigentümer als auch Kaufinteressenten warten aktuell lieber noch ab. Diese Trägheit ist im Vergleich zu den vergangenen 15 Jahren neu.

Wie müssen sich Käufer an die veränderten Marktverhältnisse anpassen?

Käufer sollten jetzt genug Eigenkapital mitbringen — aber eigentlich sollten sie das auch schon in Zeiten mit noch geringeren Zinsen. Als ich vor 25 Jahren als Sachverständiger begonnen habe, war die Faustformel: 20, besser 30 Prozent. Ich glaube, das ist auch eine zeitlose Faustformel. Für Kaufinteressenten, die ein finanzielles Polster haben, bietet sich jetzt die Gelegenheit, eine gute Immobilie zu finden.

Wie müssen sich Verkäufer an die veränderten Marktverhältnisse anpassen?

Am wichtigsten ist es, den Eigentümern bewusst zu machen, dass die Preisrallye vorbei ist. Das heißt, Sie benötigen eine fundierte Bewertung ihrer Immobilie und müssen intensiver beraten werden. Die Anforderungen an die Beratungsqualität von Immobilienexperten nimmt massiv zu. Da sehe ich die Verantwortung bei uns Immobilienprofis, dem Eigentümer transparent, ehrlich und schonungslos die Realität zu erklären. Wenn ich dann auch dem Kaufinteressenten realistisch darlegen kann, wo der Preis anhand einer fundierten Wertermittlung herkommt, dann schließt sich der Kreis und beide Seiten haben die Möglichkeit sich zu einigen.

Wie oft müssen Sie Ihren Kunden erklären, dass das, was sie sich vorstellen, nicht mehr realistisch ist?

Das ist eigentlich das täglich Brot. Aber das war es auch in den überhitzten Zeiten vor zwei Jahren. Auch seinerzeit, bei einem sehr guten Immobilienmarkt für Verkäufer, hatten die Eigentümer große Gewinnerwartungen. Das ist ein psychologischer Effekt, der sogenannte Besitztumseffekt: Alles, was mir gehört, ist plötzlich mehr wert. In Zeiten, in denen sich der Markt dreht oder stagniert, ist das natürlich nochmal besonders prekär, weil man mit den Eigentümern sehr vorsichtig umgehen muss. Aber diese Diskussion haben wir immer. Auch das ist zeitlos.

Wie reagieren die Eigentümer, wenn Sie Ihnen erklären, dass ihre Immobilie nicht so viel wert ist, wie sie denken?

Meistens argumentieren die Eigentümer damit, dass sie ja Zeit haben, also nicht sofort verkaufen müssen und sie es deshalb mit ihren Preisvorstellungen erstmal probieren möchten. Darauf sollte man sich als Immobilienprofi natürlich nicht einlassen. Stattdessen sollte man genauer nachfragen, warum überhaupt verkauft wird. Und man sollte im Vorfeld dem Eigentümer erklären, was passieren kann, wenn der „unwahrscheinliche“ Fall eintritt, dass man die Immobilie zu dem erwarteten Preis nicht verkauft bekommt. Zusätzlich führe ich den Eigentümern vor Augen, für welchen Preis sie die Immobilie vor 10, 15 oder 20 Jahren erworben haben und wie viel sie jetzt realistisch erwarten können. Sie erkennen dann, dass sie jetzt auch immer noch einen großen Gewinn erzielen, dass wir nämlich immer noch über eine Verdoppelung in diesem Zeitraum reden. Und außerdem lasse ich den Markt für sich sprechen. Als Sachverständiger räume ich immer der Vergleichswertermittlung den Vorrang ein. Denn Vergleiche machen sich am Markt bemerkbar. Ich mache dem Eigentümer die aktuelle Marktlage deutlich und zeige damit, dass er nicht alleine mit seinem Verkaufsprojekt ist, sondern dass es auch andere Eigentümer gibt, die in einer ähnlichen Lage eine Immobilie mit ähnlichen Eigenschaften zu verkaufen haben. So wird dem Kunden klar: weder der Eigentümer, noch der Makler, noch der Gutachter machen den Preis, sondern der Markt und damit eben die Nachfrager.

Wie hat sich die Situation bei den Nachfragern verändert?

Da sind die Veränderungen schon größer. Denn die Interessenten von vor zwei Jahren waren extrem nett, weil sie ja wussten, dass da noch viele andere Käufer an der jeweiligen Immobilie interessiert sind, die auch bereit sind, das Portemonnaie weiter zu öffnen. Jetzt stellen Interessenten wieder mehr und detailliertere Nachfragen zur Immobilie. Negative Eigenschaften werden stärker wahrgenommen, zur Sprache gebracht und es wird versucht darüber in die Verhandlung, also in die Preisreduktion zu kommen.

Was erwarten Sie, wie wird sich aus Sachverständigensicht der Markt weiterentwickeln?

Eine genaue Prognose ist natürlich schwierig. Ich gehe davon aus, dass die „Schockstarre“ im ersten Quartal 2023 anhalten wird. Ansonsten sind die Begleitumstände ausschlaggebend. Wenn sich ein Zinsniveau bei Immobilienkrediten zwischen 3,5 und 4,5 Prozent stabilisiert, dann können sich die Marktteilnehmer darauf einstellen. Aktuell haben wir ja eine Unsicherheit, wie sich die Kreditzinsen weiterentwickeln werden. Wenn die Menschen circa ein Jahr Erfahrung mit dieser Situation gemacht haben, wird auch die Nachfrage wieder steigen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass dies noch in diesem Jahr sein wird.

 

Foto: Andreas Habath