Die richtige Maßeinheit lautet Grad Celsius

6. Oktober 2022


Mit die größte Herausforderung unserer Zeit für Gesellschaft, Wirtschaft und Natur ist der Klimawandel. Eine tragende Rolle für die konsequente Begrenzung der Erderwärmung spielt die Immobilienwirtschaft, die in Deutschland für 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Doch welchen Einfluss und welche Klimabilanz weisen die eigenen vier Wände oder das vermietete Mehrfamilienhaus tatsächlich auf — und wie lässt sich der Klimafußabdruck am effizientesten verkleinern?

Von Hannah Helmke

Dieser Klimafußabdruck wird herkömmlicherweise durch den jährlichen Ausstoß an Treibhausgasen in Tonnen CO2-Äquivalent bemessen, den eine Immobilie — oder ein anderes Investment — in ihrem Betrieb erzeugt. Das Problem dabei ist, dass dieser Wert viel zu abstrakt ist. Er sagt zudem nichts darüber aus, wie hoch die Emissionen über einen längeren Zeitraum beziehungsweise die gesamte Lebensdauer sind und welchen Einfluss diese auf die Erderwärmung haben. Die geläufige Maßeinheit für Temperatur ist auch nicht das Kilogramm oder die Tonne, sondern das Grad Celsius.

Jedes Gramm zählt zur Erreichung des Pariser Klimaziels

Sollen maßgebliche Einschnitte in unsere Lebensqualität vermieden werden, ist die Einhaltung des Pariser Klimaziels von einer maximalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius zwingend. Um dies zu erreichen, verbleiben noch etwa 300 Milliarden Tonnen an CO2-Ausstoß. Das Gegenüberstellen beider Werte macht deutlich, dass die Erwärmung in Gradzahlen deutlich anschaulicher ist als das noch verbleibende Emissionsbudget. Bei 300 Milliarden Tonnen Budget geht man eher davon aus, dass ein paar Kilogramm hier oder da schon zu vernachlässigen sind. Aber am Ende zählt jedes Gramm.

Mehr Anschaulichkeit ist gefordert

Um das verbleibende Budget für Mensch und Wirtschaft begreifbarer zu machen, fehlt es an Anschaulichkeit. Wie steht mein Gebäude da im Vergleich? Welchen Klimaeffekt hat eine neue Fassadendämmung oder der Einbau einer Wärmepumpe? Und welchen Unterschied macht es, ob ich diese Sanierungen noch in diesem oder erst in zwei Jahren durchführe — und in welcher Reihenfolge? Fragen wie diese lassen sich leichter beantworten, wenn man sich stärker bewusst wird, wie das Objekt wirklich in Bezug auf das Pariser Klimaziel dasteht.

Um diese Anschaulichkeit zu schaffen, sind neue Methoden zur Feststellung der Klimawirkung erforderlich — wie das „Temperature Alignment“. Um das verbleibende Emissionsbudget nicht zu überschreiten, sind jedem Land und jedem Wirtschaftszweig Abbaupfade zugewiesen, die sogenannten Dekarbonisierungspfade. Sie lassen sich bis auf jedes einzelne Wirtschaftssubjekt herunterbrechen. Berechnet man diesen Dekarbonisierungspfad für ein Gebäude und vergleicht ihn mit dem zur Einhaltung des Pariser Klimaziels mindestens erforderlichen Pfad für vergleichbare Objekte, lässt sich schnell erkennen, ob das Asset besser oder schlechter dasteht als für die Peergroup erforderlich.

Berechnet man nun die Erderwärmung, die zu erwarten wäre, wenn die gesamte Welt um diese Differenz von den Pariser Pfaden abweichen würde, ergibt sich ein Grad-Celsius-Wert für jedes einzelne Asset. So lässt sich die Emissionsmenge in Tonnen Treibhausgas umrechnen in Klimaerwärmung in Grad Celsius. Dann wird deutlich, wie stark man selbst mit der eigenen Wohnimmobilie zur Klimaerwärmung beiträgt — und ist vielleicht stärker motiviert, aus eigenem Antrieb oder auf Wunsch von Mietern oder Investoren Maßnahmen für die Senkung der Klimawirkung zu ergreifen.

Dank Simulation zum 1,5-Grad-konformen Haus

Hinzu kommt: Durch Temperature-Alignment-basierte Metriken lassen sich die Effekte einzelner Sanierungsmaßnahmen schnell und einfach simulieren. Für die Immobilienwirtschaft hieße das etwa, dass nach oben beschriebenem Verfahren diverse Sanierungsszenarien innerhalb weniger Klicks auf ihre Klimaeffizienz hin geprüft werden können. Welche dabei am effektivsten sind, lässt sich so ohne größeren Planungsaufwand feststellen, indem man sich die unterschiedlichen Wirkungen, ausgedrückt in Grad Celsius, anschaut.

Wichtig ist hierbei nicht nur die Effektivität der einzelnen Maßnahme, sondern auch der Faktor Zeit. Denn es kommt nicht nur auf die Menge der Emissionen zu einem bestimmten Zeitpunkt an, sondern auf die Menge der kumulierten Emissionen über einen langen Zeitraum hinweg. Je früher deshalb die effizientesten Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden, desto besser die Klimabilanz. Auch hierbei greift die Simulation unter die Arme: Werden mehrere Maßnahmen nötig, wie etwa eine neue Heizung und eine Fassadendämmung, lässt sich die effektivste Reihenfolge der Erneuerung in der Simulation schnell bestimmen.

Die 1,5-Grad-Zukunft

Ein weiterer Grund dafür, dass Temperature-Alignment-basierte Metriken entscheidenden Stellenwert in der Eindämmung des Klimawandels haben, ist die Vergleichbarkeit, und das nicht nur branchen-, sondern auch asset- und länderübergreifend. Ob die Aktie eines Projektentwicklers Pariskonform ist oder ob die Finanzierung eines Nicht-Effizienzhauses für einen Kreditgeber noch attraktiv ist, wird dank Temperature-Alignment einfacher entscheidbar.

So können gesellschaftlich und wirtschaftlich existenzielle Risiken durch den Klimawandel für alle Immobilienbesitzenden und Investoren sichtbar gemacht werden. Und so entstehen letztlich die notwendigen Anreize, das eigene Immobilienportfolio klima- und damit zukunftsfest, gemessen an den Vorgaben des Pariser Klimaziels, aufzustellen.

 

Foto: Hannah Helmke