Digitalisierung — jetzt erst recht!

5. Juni 2020


Die Ausgangsbeschränkungen haben viele Immobilienprofis zu einer ungewollten Atempause gezwungen. Das hatte auch was Gutes. Denn jenseits des hektischen operativen Geschäfts fällt im Homeoffice ziemlich deutlich auf, was digital schon läuft und was noch nicht. Viele hilfreiche Funktionen dümpeln ungenutzt in vorhandenen Anwendungen rum. Höchste Zeit für das Aktivieren von liegengelassenen Potentialen.

Von Jan Kricheldorf

Mitten in der Corona-Krise erreicht uns die Kündigung unseres WEG-Verwalters. Offenbar hatte der WEG-Beirat durch das unverhoffte Überangebot an Zeit daheim zu viele Tickets gleichzeitig aufgemacht und das Mandat auf Jahre unwirtschaftlich gemacht. Verwalter scheinen von der Krise nicht so sehr betroffen zu sein wie viele Makler, von denen man je nach Region Unterschiedliches hört.

Bei einigen Maklern steht nahezu das Geschäft

Die Schockstarre der ersten Tage des Shutdowns scheint zwar überwunden zu sein, dennoch kommt mir immer wieder zu Ohren, dass bei einigen Maklern das Geschäft nahezu steht. Andere hingegen berichten, dass Geschäft hätte sich kaum abgeschwächt, alles laufe weitgehend wie gehabt. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf: Vor allem größere Maklerbüros mit bis zu zehn Mitarbeitern, die schon vor Corona gut digital aufgestellt waren, meldeten quasi nahezu ungebremste Geschäftstätigkeit, während sich viele selbständige Makler und Alleinunternehmer deutlich schwerer taten.

Das verwundert kaum, denn Makler, die digitale Prozesse erfolgreich einsetzen, arbeiten effizienter und ortsunabhängiger als ihre analogen Kollegen. Dabei denke ich gar nicht so sehr an virtuelle Besichtigungen, die im Moment erfolgreich angewendet werden, sondern vor allem an das Grundverständnis von der digitalen Organisation sämtlicher Aufgaben, die im Maklerbüro anfallen. CRM- und Maklersoftware wie OnOffice, Flowfact, oder Propstack verfügen bereits seit Jahren über sämtliche Bordmittel, die benötigt werden, um mit digitaler Unterstützung arbeiten zu können. Allerdings wird von dem Funktionsumfang oft nur ein sehr kleiner Bruchteil genutzt, viele Immobilienunternehmer wissen nicht einmal, was sie eigentlich schon nutzen könnten.

Nicht mangelnder Wille — Hektik des Alltags

Natürlich liegt es nicht am mangelnden Willen, dass viele Chancen liegengelassen werden, sondern meist an der Hektik des Alltags, am operativen Geschäft, das die Kleinunternehmen selbst und ständig in Bewegung hält. Das berühmte „am Unternehmen“ arbeiten findet einfach kein Zeitfenster. Durch die Corona-Krise und den Shutdown haben nun viele Immobilienunternehmer eine kleine Zwangspause einlegen müssen, was ihnen genau die nötige Zeit verschafft hat, um zu erkennen, dass es Handlungsbedarf gibt. Uns erreichen in diesen Tagen viele Anfragen zum Neuausrichten von Webseiten und Einführen digitaler Marketingtechniken. Insbesondere die Kommunikation steht dabei im Vordergrund. Wie erreiche ich meine Zielgruppen digital? Welche Inhalte brauche ich? Kann meine Webseite das? Brauche ich neue Software? Welche Funktionen sind jetzt sinnvoll? Kann ich mit meinen Kunden ortsunabhängig arbeiten? All das geht, ohne das Geschäft neu erfinden zu müssen. Was habe ich schon? Nutzte ich es falsch? Es lohnt sich eine digitale Bestandsaufnahme vorzunehmen.

Chancen der Krise nutzen

Immer mehr Unternehmen erkennen, dass nach der Krise nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergangen werden kann, um künftig digital besser aufgestellt sein zu können. Der Digital-Kompass des IVD wird dabei eine wichtige Rolle spielen können, denn er ermöglicht eine Bestandsaufnahme entlang der Betriebsprozesse. Dabei werden viele Immobilienprofis Aha-Effekte erzielen, wenn sie feststellen, dass die gewünschte Arbeitserleichterung schon mit vorhandenen Bordmitteln gelöst werden kann. Beispielsweise der Newsletter. Viele CRM-Hersteller haben bereits eine solche Funktion integriert, selbst Öffnungs- und Klickraten können angezeigt werden. Prozessmanager steuern die Flut der Anfragen von Interessenten, bewerten automatisch nach Wichtigkeit, fragen automatisch Daten ab, vervollständigen und versenden automatisch Exposés mit integrierten virtuellen Touren. Die Technologie ist nicht neu. Sie ist bereits vor vielen Jahren entwickelt worden und doch wird sie viel zu selten eingesetzt.

Die wichtigste Komponente hinter den Maschinen

Warum also haben sich gerade die Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern in der Krise leichter getan als andere? In der Betriebswirtschaft spricht man von Adoleszenz, wenn ein Gründer aus der Selbstständigkeit und Selbstausbeutung der Anfangsjahre herausgewachsen und zum Unternehmertum übergegangen ist. Wenn ein gesundes Wachstum dazu geführt hat, dass der Alltag nicht mehr das strategische Denken auffrisst und die Aufgaben des Unternehmens systemisch erfolgen. Unternehmen mit zehn Mitarbeitern haben das in aller Regel gerade erfolgreich durchlaufen und können auf neue Herausforderungen flexibler reagieren als große Unternehmen oder eben sehr kleine. Eine erfolgreiche digitale Transformation zwingt die Anwender dazu, dem System des eingeführten Algorithmus zu folgen. Das bedeutet aber nicht, dass die Mitarbeiter sklavisch und unreflektiert automatischen Prozessen folgen müssen. Auch Systeme müssen atmen können. Denn der Mensch bleibt die wichtigste Komponente hinter den Maschinen, Computern, sozialen Netzwerken und Webseiten.

 

Illustration: Wordliner GmbH/ar130405/Pixabay.com