Diskussionen um eine neue Immobilienwertermittlungsrichtlinie

7. November 2017


 

Die Arbeiten zur geplanten Zusammenführung der bisher veröffentlichten Einzelrichtlinien zur neuen Immobilienwertermittlungsrichtlinie (ImmoWertR) wurden aufgrund der Bauplanungsrechtsnovelle später als geplant aufgenommen.

Von Prof. Dr. Martin Ingold

 

Am 13.09.2017 wurden Vertreter der mit der Grundstückwertermittlung befassten Fachverbände, darunter auch Vertreter des Immobilienverbandes IVD, zu einem ersten Gespräch ins Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) nach Berlin eingeladen, um den Novellierungsbedarf frühzeitig zu diskutieren.

 

Ziel der neuen Immobilienwertermittlungsrichtlinie (ImmoWertR) ist eine systematisierte und in sich konsistente Konkretisierung der Verfahrensgrundsätze der Immobilienwertermittlungsverordnung. In der neuen lmmoWertR sollen daher die Regelungen der bisherigen Einzelrichtlinien (Vergleichswert-, Ertragswert- und Sachwertrichtlinie) zusammengeführt werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, auch die bisher noch nicht von diesen „neuen“ Richtlinien erfassten Teile der Wertermittlungsrichtlinien 2006 (WertR 2006) in die neue ImmoWertR zu integrieren.

 

Bereits bei der Einführung in das Thema wurde das Problem der „Richtliniengläubigkeit“ von Behörden und Gerichten intensiv diskutiert. Eine sture Richtlinientreue erschwert, nach Ansicht vieler Diskussionsteilnehmer, das Arbeiten der Sachverständigen und macht die notwendige sachverständige Würdigung individueller Merkmale im Einzelfall immer mehr zum Angriffspunkt. Eine mögliche Lösung dieses Problems bestünde darin, der Richtlinie eine Art Präambel voranzustellen, die nochmals konkretisiert, dass es sich bei der (nachfolgenden) Richtlinie um eine allgemeine Empfehlung handle, deren Anwendung nicht automatisiert bzw. dogmatisch erfolgen könne, sondern in jedem Einzelfall durch den Sachverständigen mit Sachverstand ausgefüllt werden müsse. Nach Ansicht der Vertreter des Ministeriums würde eine derartige Präambel kein Problem darstellen. Das Voranstellen einer derartigen Präambel wäre daher sehr zu empfehlen.

 

Nach der Einführung waren vorrangig einzelne Themen von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand der Sitzung am 13.09.2017, welche insbesondere in der Bewertungspraxis aufgetretene Unstimmigkeiten bzw. kontrovers diskutierten Regelungen oder Anlagen der bisherigen Einzelrichtlinien betreffen. Diskussionsbedarf wurde dabei insbesondere für folgende Einzelthemen gesehen:

 

  • Wertrelevante Geschossflächenzahl (WGFZ):

ln der Bodenrichtwertrichtlinie wird für Zwecke der Verkehrswertermittlung eine wertrelevante Geschossflächenzahl definiert, die Flächen von Aufenthaltsräumen in anderen als Vollgeschossen bei der Ermittlung der Geschossfläche stets zu berücksichtigen sind. Dabei spielt die GFZ bzw. WGFZ bei der Wertermittlung nur eine Rolle, wenn die Ausnutzbarkeit des Grundstücks wertrelevant ist, wie dies insbesondere in stark verdichteten lnnenstadtbereichen der Fall ist. Hier wird die Meinung vertreten, dass sich die tatsächliche Ausnutzbarkeit eines Grundstücks und somit auch der Bodenwert durch die WGFZ besser abbilden lassen. Im Gegensatz dazu hat in ländlich geprägten Gebieten und im Einfamilienhausbereich die GFZ bzw. WGFZ oftmals keine Wertrelevanz und ist somit bei den Bodenrichtwerten auch nicht als charakteristisches Merkmal auszuweisen. Gleichwohl weisen einige Gutachterausschüsse in den Bodenrichtwerten zum Teil eine GFZ bzw. WGFZ aus, obwohl sich hieraus gar kein Werteinfluss ergibt. Die Frage, ob die WGFZ als Maßzahl für die Bodenwertermittlung beibehalten oder besser abgeschafft werden sollte, wurde sehr intensiv und mit unterschiedlichsten Meinungen diskutiert.

 

  • Aktualisierungsbedarf bei den Kostenkennwerten:

Die Kostenkennwerte in den NHK 2010 beruhen auf Daten von abgerechneten Bauprojekten aus der Zeit vor 2005. Mittlerweile sind 12 Jahre vergangen, die Baustandards haben sich geändert und die NHK-Kostenkennwerte entfernen sich, trotz der erforderlichen Indexierung mit dem Baupreisindex, immer mehr von tatsächlichen Baukosten. Es stellt sich daher die Frage, ob die NHK-Kostenkennwerte in mäßigen aber regelmäßigen Abständen aktualisiert werden sollten, obwohl jede Aktualisierung zu einem Bruch in der Kontinuität der Sachwertermittlung führen würde. Bei dieser Frage wurde vom Fachpublikum die vorherrschende Meinung vertreten, dass eine Aktualisierung der NHK-Kostenkennwerte in mäßigen aber regelmäßigen Abständen vorzunehmen ist, um die Akzeptanz der Sachwertermittlung in der Öffentlichkeit nicht zu gefährden.

 

  • Wiedereinführung von Regionalfaktoren:

Mit der Sachwertrichtlinie wurde die bisher vorgenommene Anpassung an die regionalen Baupreisverhältnisse mit Hilfe eines Regionalfaktors zugunsten einer Gesamtmarktanpassung auf der Basis eines Sachwertfaktors aufgegeben. Dies führt dazu, dass in hochpreisigen Regionen Sachwertfaktoren von 2,0 und mehr erforderlich sind, um vom „synthetischen“ vorläufigen Sachwert zum Marktwert zu gelangen. Derart hohe Marktanpassungsfaktoren führen zu Akzeptanzschwierigkeiten des Sachwertverfahrens. Eine Öffnungsklausel könnte für Regionen aufgenommen werden, in denen derzeit hohe Marktanpassungen notwendig sind. An die Stelle der Marktanpassung in einem Schritt (Sachwertfaktor) würde dann eine Marktanpassung in zwei Schritten treten: Schritt 1: Anpassung des NHK-Kostenkennwerts an regionale Verhältnisse mit Hilfe eines spezifischen Regionalfaktors. Schritt 2: Anpassung des an die regionalen Preisverhältnisse angepassten vorläufigen Sachwerts an die örtlichen Marktverhältnisse. Auch diese Frage wurde im Fachkreis kontrovers diskutiert. M. E. handelt es sich bei einer 2-stufigen Marktanpassung um einen „Etikettenschwindel“, da eine geringere Marktanpassung vorgetäuscht wird, obwohl eine ggf. deutlich höhere Marktanpassung bei einer einstufigen Anpassung erforderlich wäre.

 

  • Gesamtnutzungsdauer:

Bei den in der Anlage 3 der Sachwertrichtlinie (SW-RL) angegebenen Gesamtnutzungsdauern, die sowohl im Sach- als auch im Ertragswertverfahrens anzuwenden sind, handelt es sich nicht um tatsächliche Gesamtnutzungsdauern, sondern vielmehr um Modellwerte. Dies soll künftig auch in der Überschrift zum Ausdruck kommen. Die derzeit in der Anlage 3 der SW-RL angegebenen Bandbreiten für die Gesamtnutzungsdauern spezifischer Gebäudetypen haben bei der Ableitung von Liegenschaftszinssätzen in der Praxis zu Problemen geführt. Deshalb wird darüber nachgedacht auf die bisher angegebenen Bandbreiten zu verzichten und sowohl für Einfamilienhäuser eine von der Standardstufe unabhängige als auch für Mehrfamilienhäuser eine einheitliche Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren vorzugeben. Die Aufgabe der Bandbreiten bei der Gesamtnutzungsdauer schien beim anwesenden Fachpublikum mehrheitsfähig zu sein, obwohl es auch einige Stimmen gab, die auf die bisherigen Bandbreiten nicht verzichten wollen.

 

  • Bewirtschaftungskosten (Anlage 1 Ertragswertrichtlinie):

Die Diskussion um die Bewirtschaftungskosten hat gezeigt, dass es keine brauchbare Alternative zur Il. BV zu geben scheint. Da die Anlage 1 der Ertragswertrichtlinie (EW-RL) mittlerweile in der Praxis angewendet wird, würde eine Änderung erneut zu Anpassungserfordernissen beim Liegenschaftszinssatz und dessen Ableitung führen.

 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Themen meist kontrovers diskutiert wurden und es für die unterschiedlichen Meinungen oft gute Gründe gab. Es wäre daher sinnvoll Dinge nur dann zu ändern, wenn die Wertermittlung dadurch auch besser (genauer) und nicht einfach nur anders wird.

Prof. Dr. Martin Ingold

Geschäftsführender Gesellschafter IW Holding GmbH Head of Valuation – DIA Consulting AG Professur für     Immobilienwirtschaft / Schwerpunkt Immobilienbewertung Steinbeis-Transfer-Institut CRES