Diversifikation auf dem Markt für das Wohnen im Alter

2. August 2018


Seit Jahren sprechen Demografen vom Wandel der Bevölkerungsstruktur in Deutschland. Es gibt immer mehr Senioren, und viele von ihnen sind in unterschiedlichem Maß pflegebedürftig. Das hat enorme Auswirkungen auf den Markt für betreutes Wohnen und Pflegeheime. Der Investitionsbedarf ist groß, die Chancen sind es ebenfalls.

Von Felix von Braun

Die Reaktionen von Anlegern und Betreibern in diesem Segment sind bislang allerdings wenig originell. Worin hauptsächlich investiert wird, ist mehr vom Altbekannten. Doch die Senioren in Deutschland sind keine homogene Gruppe. Ihre Bedürfnisse, Ansprüche und Möglichkeiten unterscheiden sich stark.

Dass die Bevölkerung in Deutschland immer älter wird, wissen wir seit Jahren — das Stichwort „demografischer Wandel“ ist in aller Munde. Umso erstaunlicher ist die bisherige Reaktion von Politik und Investoren. Statt Wandel scheint die Devise „Das gleiche wie bisher, nur mehr“: mehr Pflegeheimplätze, mehr ambulante Pflege, mehr betreutes Wohnen… Dabei wird völlig übersehen, dass es sich bei dem wachsenden Anteil der betagten Bevölkerung keineswegs um eine homogene Masse von Menschen mit den gleichen Bedürfnissen, Ansprüchen und Möglichkeiten handelt. Dadurch ergeben sich Lücken im Angebot — und Investitionschancen für diejenigen, die diese Nachfrage decken können.

Um allen Altersgruppen ein adäquates Wohnumfeld zu bieten, ist es unabdingbar, sich mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen auseinanderzusetzen. Diese haben sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Einerseits werden die Deutschen nicht nur älter, sondern bleiben auch länger gesund — andererseits nimmt die Fallzahl bei altersbedingten Gebrechen zu. Es gibt also mehr Hochbetagte mit unterschiedlichem Gesundheitszustand, die Zielgruppe differenziert sich aus. Dank der zunehmenden Individualisierung in allen Bereichen der Gesellschaft entsteht zudem der Anspruch, auch im Alter selbstverständlich den bisherigen Lebensstil weiter zu pflegen. Wer beispielsweise sein Leben lang mitten in der Stadt gewohnt und die kulturellen Angebote ganz selbstverständlich genutzt hat, möchte nicht aufs Land ziehen müssen, um die nötige pflegerische Unterstützung zu erhalten. Weitgereiste, die an die Ausstattung und den Service von Hotels gewöhnt sind, erwarten einen gewissen Standard bei Einrichtung und Dienstleistungen. Ein Gourmet möchte nicht auf das typische Pflegeheim-Essen angewiesen sein, wenn er sich nicht mehr selbst versorgen kann. Und gerade bei einer Demenzerkrankung ist es für die Patienten wichtig, sich in ihrer Umgebung möglichst wohl und vertraut zu fühlen.

Die Standardantwort auf diese Problemstellung ist meist die ambulante Pflege in der vertrauten Wohnung. Doch einerseits sind die meisten Wohnungen nicht barrierearm und damit nicht altersgerecht. Andererseits darf der soziale Faktor nicht unterschätzt werden: Viele Familien sind weit verstreut, die erwachsenen Kinder haben Arbeitsplätze an ganz unterschiedlichen Enden der Bundesrepublik oder sogar im Ausland und können die häusliche Pflege nicht übernehmen. Ein ambulanter Pflegedienst kann sich um die körperlichen Bedürfnisse kümmern, hat für mehr jedoch normalerweise keine zeitlichen Kapazitäten. Gerade für Menschen, die ihr Leben lang einen großen Freundeskreis hatten, mit zunehmendem Alter jedoch in ihrer Mobilität immer mehr eingeschränkt sind, entsteht so ein bedrückender Zustand — der sich schnell negativ auf die psychische und physische Gesundheit auswirken kann.

Für diese Bedürfnisse werden neue Alterswohnkonzepte benötigt, die den Fokus auf das legen, was der Zielgruppe wichtig ist. Vor allem diejenigen, die noch aktiv und mobil sind, aber bei einzelnen Verrichtungen Unterstützung benötigen, ist das Angebot noch sehr mager. Dabei existiert ein großer Bedarf an Wohnkonzepten, die einen angenehmen Übergang von völliger Selbständigkeit zu steigendem Pflegebedarf ermöglichen. Verbunden mit sozialen und kulturellen Aktivitäten können solche Konzepte Interessenten ansprechen, die nach einer langfristigen Lösung ohne harten Bruch zwischen eigener Wohnung und Pflegeheim-Verbringung suchen.

Durch die Entwicklung differenzierter Konzepte wird nämlich die scharfe Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege teilweise aufgehoben. Bislang wollen die meisten Menschen so lange wie möglich in ihrer vertrauten Wohnung bleiben — erst wenn das nicht mehr möglich ist, gehen sie in ein Pflegeheim oder werden von ihren Angehörigen dorthin gebracht. Dadurch werden Pflegeheime zum Abstellgleis. Allein die Aussicht, ins Heim zu müssen, wirkt abschreckend. Leiden die Betroffenen noch dazu an Demenzerkrankungen, führt dieser späte Umzug umso mehr zu Verwirrung. Neue Konzepte, die auf einer Verschmelzung von barrierearmem Wohnen, betreutem Wohnen sowie ambulanter pflegerischer und medizinischer Versorgung beruhen, sind schon in einem früheren Lebensabschnitt attraktiv. Der Übergang von alltäglichen Erleichterungen wie Barrierearmut, Einkaufshilfe oder Wäscheservice über einzelne pflegerische Dienstleistungen bis hin zu einer medizinischen Versorgung verläuft dann fließend und wird nicht mehr als Belastung empfunden.

Für adäquate Angebote dieser Art sind viele Menschen bereit und in der Lage, entsprechende Kosten auf sich zu nehmen. Allerdings muss der Mehrwert gegenüber ambulanten Pflegediensten und klassischen Pflegeheimen klar ersichtlich sein. Je nach Zahlungsbereitschaft und finanziellem Spielraum der Zielgruppe sind Differenzierungen möglich und nötig. Passt jedoch das Angebot zu den Erwartungen einer kaufkräftigen Klientel, insbesondere was den Erhalt von Komfort und Lebensstil betrifft, ist sie meist wenig preissensibel. So können sich diese Einrichtungen von den engen Abrechnungsvorgaben der Pflegeversicherungen lösen. Statt sich mit ständig ändernden Gesetzen und Vorschriften auseinanderzusetzen, um noch den letzten Cent herauszuholen, können die Betreiber sich darauf konzentrieren, die Wertigkeit ihres Angebots zu erhöhen. Denn die Nachfrage ist vorhanden — jetzt will sie bedient werden.