Experten warnen vor weiterer Regulierung

28. März 2023


Es ist immer ein besonderer Moment, wenn der Rat der Immobilienweisen sein Frühjahrsgutachten öffentlich vorstellt. So war es auch in diesem Jahr, als die Experten zum 20. Male ihr Werk an die Bauministerin Klara Geywitz überreichten. Das 272-seitige Dokument enthält zahlreiche Fakten über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, stellt die Tendenzen an den Bau- und Immobilienmärkten dar und formuliert Empfehlungen an die Politik.

Von Stephen Paul

Ein genauerer Blick in den Inhalt lohnt sich. Prof. Dr. Harald Simons, der Experte für Wohnimmobilien, wartet mit einem Rekord auf: Im vergangenen Jahr verzeichnete Deutschland die höchste Nettozuwanderung seit Bestehen der Bundesrepublik. Knapp eineinhalb Millionen Menschen seien „unterm Strich“ ins Land gekommen, davon allein eine Million aus der umkämpften Ukraine. Das habe Auswirkungen auf die Wohnungsmärkte – die Nachfrage nach Wohnungen sei sprunghaft gestiegen.

Mieten stiegen, Kaufpreise sanken

Die Mieten zogen daraufhin an, berichtet das Vorstandsmitglied des Instituts empirica. Mit 5,2 Prozent stiegen die Mieten im Bestand stärker als in den Vorjahren. Die Kaufpreise für Eigentumswohnungen sinken dagegen. Vom zweiten bis zum vierten Quartal 2022 gaben sie um 3,2 Prozent nach. In den A-Städten ist der Rückgang mit bis zu 7,8 Prozent am stärksten.

Warum ist das so?

Prof. Simons findet im Frühjahrsgutachten eine Erklärung: Der Neubau sei nicht mehr wirtschaftlich, Investitionen in den Bau neuer Wohnungen daher unattraktiv wie seit vielen Jahren nicht. Das habe drei Gründe:

1. Die hohen Baupreise,

2. die gestiegenen Zwischenfinanzierungskosten und

3. die hohen Grundstückspreise.

Es gebe kaum einen Anreiz mehr neu zu bauen, da die Kostenmieten über den am Markt zu vereinbarenden Mieten liegen. Käufer könnten sich die Wohnungen oft wegen der gestiegenen Zinsen nicht mehr leisten. Sichtbar werde die dadurch entstehende Neubaulücke erst in zwei Jahren. Grund für diese Verzögerung sei der hohe Bauüberhang.

Langfristig Perspektive für den Bausektor

Prof. Simon kann aber auch Hoffnung machen: Er geht von sinkenden Energiepreisen aus, einer geringeren Kapazitätsauslastung und einer rückläufigen Auftragslage im Baugewerbe aus. Infolgedessen drehe sich der Bauleistungsmarkt in Richtung eines Käufermarkts. Und bei einem Wohnungsmangel, der in den letzten 20 Jahren nicht größer gewesen sei, bestünde langfristig Perspektive für den Bausektor. Weniger dramatisch ist die Marktentwicklung bei den Gewerbeimmobilien. Wegen der steigenden Kosten für Strom und Gas würden die Energiebilanzen der Gebäude jedoch immer wichtiger. Für manchen eine Überraschung: In 2023 gehen die Immobilienweisen nur von einer kurzen und milden Rezession aus. „Wenn überhaupt“, wie der Vorsitzende des Rates, Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld, in seiner gesamtwirtschaftlichen Betrachtung feststellt.

Toleranz für höhere Mieten gering

Der Direktor des Walter-Eucken-Institut Freiburg fasst bezogen auf die Bau- und Immobilienwirtschaft zusammen: Vielen Projektentwicklern und Wohnungsunternehmen würden die Anreize zu bauen fehlen, weil zum einen die Aussicht auf sinkende Immobilienpreise bei gleichzeitig steigenden Baukosten und teuren (Zwischen-)Finanzierungen riskant sei. Zum anderen sei die Toleranz für höhere Mieten angesichts niedriger Realeinkommen und der hohen Inflation gering. Die Geldentwertung habe mit 7,8 Prozent im vergangenen Jahr den höchsten Wert seit Beginn der Datenerfassung im Jahre 1950 erreicht. Selbst in der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre sei die Inflation nicht so hoch gewesen. Für dieses und das kommende Jahr gehen die Immobilienweisen davon aus, dass der Wert des Euro nicht mehr so stark verfalle. In 2023 rechnen die Experten mit einer Inflation von 6,9 Prozent, in 2024 von nur noch 2,8 Prozent.

Noch mehr Regulierung droht

Fehle durch die Inflation und die niedrigen Realeinkommen die Toleranz für höhere Mieten, schmälere dies die Mietrenditen bei gleichzeitig steigenden Zinsen. Und bringe die Gefahr weiterer Regulierung durch die Politik mit sich. Eindringlich warnt Prof. Feld die Regierenden vor Verschärfungen des Mietrechts. Der Neubau würde noch weiter abgewürgt und die Elastizität des Bauangebots könnte sich verringern.

Fehlende Senioren-Wohnungen werden zum Problem

Als gesellschaftlich problematisch sprechen die Immobilienweisen das wachsende Defizit im Bereich der Immobilien für betreutes und Service-Wohnen an. Sie prognostizieren ein Defizit von einer Million Wohneinheiten in 2040. Heute fehlten bereits 550.000 Wohnungen. Dabei seien die Gesundheits- und Sozialimmobilien aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung stabil nachgefragt. Als Investitionsobjekt gälten Pflegeheime und Service-Wohneinrichtungen als vergleichsweise risikoarm. Grund hierfür seien die in der Branche üblichen langfristigen Mietverträge.

 

 

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