Hier Anspruch, dort Wirklichkeit

23. Dezember 2022


In Deutschland werden viel zu wenige Wohnungen gebaut. Angesichts der zu erwartenden steigenden Nachfrage in den kommenden Jahren braucht es schnelle und zielführende Maßnahmen der Politik. Ein breites Bündnis aus Bau- und Immobilienwirtschaft hat nun zwölf Forderungen an die Bundesregierung herangetragen, um den Wohnungsbau zu beschleunigen.

Von Jürgen Michael Schick, IVD-Präsident

Ein neuer, tiefer Graben tut sich auf in diesem Land. Auf der einen Seite steht ein hoher Anspruch, auf der anderen Seite die harte Wirklichkeit; hier schöne Worte und gemeinsames Unterhaken, dort Verhaken in ideologischen Zielkonflikten. Sollte es nicht gelingen, diese aufzulösen, wird der Graben zwischen der wachsenden Nachfrage nach Wohnraum und dem rückläufigen Angebot schon bald nicht mehr zu überbrücken sein.

Mit Blick auf die Zahlen haben wir es mit einer sich beschleunigenden Abwärtsspirale zu tun. Bereits im vergangenen Jahr nahm sie Fahrt auf: 2021 wurden 293.393 Wohnungen neu gebaut. 2022 wird diese Zahl aller Voraussicht nach weit unterschritten. Und 2023? Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass es einen dramatischen Einbruch geben wird. Das Ziel der Koalition, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, droht reine Fiktion zu werden.

Als Gründe für den rückläufigen Wohnungsbau ist die schlechte ökonomische Lage aufgrund externer Ereignisse — beispielsweise der Krieg in der Ukraine und die Pandemie-Nachwirkungen — zu nennen. Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Ein Teil der Probleme ist auch hausgemacht: Immer weiter steigende gesetzliche Anforderungen an den Neubau, hohe Mindeststandards, langwierige Genehmigungsverfahren stehen bisher unzureichenden Gegenmaßnahmen der Bundesregierung gegenüber.

Dabei gäbe es genügend Handlungsspielräume, um die Situation zu entschärfen. Hierfür sollten insbesondere jene Hürden abgebaut werden, die dem zügigen Bau von bezahlbarem und bedarfsgerechtem Wohnraum im Wege stehen. Es wäre ein großer Schritt nach vorn, wenn Planungssicherheit und ein investitionsfreundliches Klima für alle Akteure der Wohnungswirtschaft inklusive der privaten Bauherren hergestellt werden könnten. Um der Krise zu begegnen, sollte der Wohnungsbau in Deutschland endlich Chefsache werden. Bundesbauministerin Klara Geywitz, die sich übrigens sehr für unsere Branche engagiert und einen guten Job macht, aber von einigen ihrer Ressort-Kollegen systematisch ausgebremst wird, benötigt eine klares und mutiges Commitment des Kanzlers, das Wohnungsbauziel zu priorisieren. Dazu gehört eine kohärente Gesamtplanung für die Förderung von Neubau und Bestandssanierung, welche die immer größer werdende Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen in der Lage ist. Es braucht ein verbindliches und rundes Förderkonzept, auf das sich alle Akteure verlassen können. In Zahlen ausgedrückt: Benötigt wird eine Neubauförderung mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro jährlich.

Was kann noch getan werden? Baureife Grundstücke, geeignete Konversionsflächen und Bestandsflächen sind entscheidend. Sie sind einer aktuellen Studie zufolge, welche die Bundesregierung selbst beauftragt hat, vorhanden, müssen aber aktiviert werden. Modulare, serielle und typisierte Bauweisen können in Kombination mit digitalen Tools einen Beitrag zur Schaffung vieler bezahlbarer qualitätsvoller und klimaschonender Wohnungen leisten. Typisierte Wohngebäude beschleunigen darüber hinaus die Errichtung neuer Wohngebäude, weil der Planungszeitraum dadurch wesentlich verkürzt wird — das sind nur einige Maßnahmen, welche die Bundesregierung ohne große Umschweife in die Wege leiten könnte.

In einem Appell haben kürzlich 17 Verbände und Kammern zum Wohnungsbau zwölf Forderungen an die Bundesregierung herangetragen. Wir sind davon überzeugt: Die Abwärtsspirale kann gestoppt werden, wenn die Bundesregierung schnell und konsequent die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Wohnraum ist ein entscheidender Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Diesen langfristig zu garantieren, sollte für alle Akteure Motivation genug sein, um zu handeln.
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