Immobilienmärkte stehen nie still

11. Mai 2020


Bei der Frage, wie stark die Corona-Krise die Immobilienmärkte beeinflusst, gehen die Meinungen der Experten zum Teil weit auseinander. Wird eine bevorstehende Rezession das hohe Preisniveau umkehren? Jörg R. Winterlich und Michael Wiesendorf, Geschäftsführer der Immobilen Investment Akademie, sind in ihrer Rolle als Investoren sowohl Verkäufer als auch Käufer. Im AIZ-Interview fordern sie bei der Betrachtung der Märkte vor allem mehr Differenzierung.

Interview von Jan Kricheldorf

AIZ: In den Medien hieß es zuletzt immer mal wieder, dass der Immobilienmarkt komplett zum Erliegen gekommen sei und nach dem Ende der Schockstarre sinkende Preise zu erwarten wären. Ist das auch Ihr Eindruck?

Jörg R. Winterlich: Da muss man, glaube ich, erst mal die Frage stellen: Wem hört man zu? Hört man der breiten Masse von Internet-Entertainern zu, die selber nicht wissen, wo es lang geht oder schaut man da tiefer rein und spricht mit Leuten, die sich mit dem Thema wirklich auskennen. Dann entsteht nämlich ein ganz anderer Eindruck.

Michael Wiesendorf: Der hochprofessionelle Investor zieht sich nicht wegen einer Krise vom Markt zurück, sondern rechnet bei veränderter Marktlage neu, qualifiziert Objekte über einen veränderten Kaufpreis und sucht intensiv weiter. Profis unterscheiden immer: Bewege ich mich im Wohnimmobilien-Markt oder im Gewerbebereich? Wenn ich im Gewerbebereich tätig bin, ist im Moment tatsächlich etwas Vorsicht angebracht. Von Stagnation würde ich aber nicht sprechen. Immobilienmärkte stehen nie still. Die derzeitige Verunsicherung bei Käufern und Verkäufern wird sich auflösen.

Viele Makler nutzen die ruhigeren Tage, um sich digital besser aufzustellen. Ist jetzt nicht gerade auch ein guter Zeitpunkt, um sich besser auf die Bedürfnisse von Eigentümern und Investoren einzustellen?

Winterlich: Ja, aus unserer Sicht ist das etwas, was schon lange überfällig ist. Leider hat sich ein Großteil der Makler damit nur selten beschäftigt, es lief ja irgendwie. Jetzt mal schnell auf Investor umzuschalten, wird nicht gehen. Dazu brauche ich schon ein bisschen Know-How. Wem es ernst damit ist, muss sich dieses Wissen jetzt holen, egal ob bei uns oder woanders. Ich glaube, es wäre gut, die Zeit zu nutzen, um sich wirklich Wissen anzueignen, vor allem aber auch, um die Denkweise des Zielmarkts zu erforschen. Wir betrachten die Immobilie als Geschäftsbetrieb, das prägt unser gesamtes Handeln und darauf sollten sich Makler einstellen.

Wiesendorf: Ich glaube sogar auch, dass es für den einen oder anderen Marktteilnehmer als Makler zwingend notwendig sein wird, da er bei der Zielgruppe der Nicht-Investoren in den nächsten Jahren einen riesigen Hemmschuh antreffen wird. Da ist zum einen der Verkäufer, der sagt: Ich verkaufe erstmal nicht, weil ich nicht weiß, was in drei Monaten ist. Und auf der anderen Seite steht der klassische Käufer, der zu seiner Bank muss, wo ihm gesagt wird, dass er gar nicht kaufen kann, weil er das nötige Eigenkapital nicht einbringen kann.

Ich habe den Eindruck, dass sich Makler zunehmend auch Anlegern zuwenden wollen. Beispiel: Mietendeckel in Berlin. Makler rechnen Eigentümern mögliche Vermögensverluste vor. Das Umdenken wurde schon beeinflusst von der politischen Lage und jetzt nochmal durch die Corona-Krise.

Wiesendorf: Es gibt gerade in Berlin eine riesige Verunsicherung in sämtlichen Marktsegmenten. Da sind große Bauträger, die sich zurückziehen und aufgrund der politischen Regulierung ihre Projekte nicht mehr realiseren wollen. Es gibt aber auch eine Menge kleiner Bauträger, die total verunsichert sind, weil sie aufgrund der geringeren Einnahmeseite nicht zu einem Faktor 40 einkaufen wollen. Das ist für Berlin eine Katastrophe.

Winterlich: Wenn die Mieten in Berlin durch politische Regulation und Corona-Krise tatsächlich runtergehen sollten, wird es einige Insolvenzen geben. Entweder sagen die Banken: Schießen Sie bitte Sicherheiten nach wegen der gesunkenen Objekte-Werte oder die Einnahmen decken nicht mehr die Ausgaben, wenn große Teile der Mieteinnahmen wegbrechen. Denn der Überschuss, der nach Steuern, Tilgung, Zinsen, Bewirtschaftungskosten übrig bleibt, ist ja nie der Löwenanteil. Das heißt, viele werden in eine wirtschaftliche Unterdeckung kommen und schreiben Verluste. Dann ist immer die Frage, wie lange sie es sich leisten können, diese Unterdeckung aus anderen Mitteln aufzufüllen? Ich glaube, da wird es eine Reihe von Notverkäufen geben.

Die Portale sind derzeit aber immer noch voll mit überteuerten Angeboten.

Wiesendorf: Preise entstehen durch Druck und durch nichts anderes. Es muss in gewisser Weise eine Drohkulisse geben, damit ein Preis sinkt. So zum Beispiel, ein riesiges Überangebot an Immobilien. Diesen Fall haben wir ja derzeit noch nicht. Den Maklern kann ich aus meiner Sicht nur empfehlen, den Markt ganz genau zu beobachten, permanent die Preislagen zu eruieren sowie die Quadratmeterpreise im Auge zu behalten, um zu erkennen, wann Bewegung in die Märkte kommt.

Winterlich: Beim Gewerbe-Bereich sind wir uns relativ sicher, dass uns bald sinkende Preise erwarten werden. Ganz anders beim Thema Wohnbereich. Da würde ich erstmal nicht zu sehr davon ausgehen, dass die Kaufpreise rasch sinken oder die Mieten bei den Neuvermietungen nach unten gezogen werden. Wir sehen das ein bisschen anders, als momentan medial verbreitet. Die Preise werden im Wohnbereich aus unserer Sicht stabil bleiben, möglicherweise sogar leicht steigen. Das klingt vielleicht ein bisschen paradox. Hintergrund für unsere Einschätzung ist nicht primär die deutsche Wohnnachfrage, sondern das zuströmende ausländisches Kapital. Dazu gehören die strukturschwächeren Länder aus dem Süden, auch Frankreich. Unserer Ansicht nach werden wir eine Kapitalflucht aus diesen Ländern erleben. Investoren aus dem Ausland geht es in erster Linie nicht so sehr darum, ihr Kapital anzulegen, um damit zu verdienen. Es geht ihnen eher um die Absicherung ihres Vermögens in einem fremden Rechtssystem. Und Nichteuropäern geht es um die Absicherung in einem fremden Währungssystem.

In welchem Bereich sehen Sie die größten Auswirkungen der Corona-Krise auf uns zukommen?

Wiesendorf: Im Immobilienbereich ist die größte Risikogruppe in der Regel der Bauträger. Im Moment muss er Grundstücke überteuert kaufen, er muss abreißen, er muss projektieren, er muss bauen unter den allerneuesten Auflagen, die es zum Zeitpunkt der Baugenehmigung gibt. Und wenn dann der Markt in Schieflage gerät, wie es jetzt vielleicht passiert, dann sind sie genau die Risikogruppe, bei der die Banken sagen, wir zahlen die nächste Tranche nicht mehr aus. In so einem Fall kann unter Umständen ein Projekt nicht mehr fertiggestellt werden. Schließlich geht es in diesem Bereich immer um viele Millionen. Das wiederum hätte Auswirkungen auf das Angebot. Und das wiederum würde dazu führen, dass uns der Wohnraum fehlt.

Herr Wiesendorf, Sie sind Spezialist für Zwangsversteigerungen. Könnte das auch nächstes Jahr ein großes Thema werden?

Wiesendorf: Ich würde es nicht zwingend im nächsten Jahr sehen, denn die Mühlen mahlen langsam, aber es wird ganz sicher wieder ein Thema werden. Insolvenzen werden kommen. Das Problem ist, dass im Zusammenhang mit Zwangsversteigerungen in den letzten Jahren Personal abgebaut worden ist, auch bei den Banken und Gerichten. Wenn tatsächlich ein Antragsschwung hereinkommen sollte, dann wirkt das wie ein Pfropfen bei der Bearbeitung beim Gericht. Es kann also schon etwas dauern, bis ein Antrag überhaupt bearbeitet wird. Daraus ergeben sich Einkaufschancen. Denn wenn man den Hintergrund der Lage erkennt und sich darauf einstellt, kann die Immobilie vielleicht doch noch freihändig gehandelt werden.

Wie bereitet man sich als deutscher Investor auf einen bevorstehenden Wirtschaftsrückgang vor?

Winterlich: Wer ordentliche Strukturen aufgebaut hat, zum Beispiel über eine Holding mit Tochtergesellschaften und so weiter, der hat eine schöne Risikoabschätzung, weil er quasi „Brandschutzmaßnahmen“ getroffen hat. Im Moment fällt vielen Anlegern auf die Füße, dass sie solche Strukturen nicht geschaffen haben und ihr Investment stagniert oder sogar hoch negativ ist. Um das wieder aufzufangen, werden die Gewinne der letzten Jahre einfach aufgesaugt. In einer Struktur mit Holding und Tochtergesellschaften kann man den Gewinn nach oben ausschütten. Dann kann es unten auch einmal passieren, dass eine gewerbliche Investment-GmbH in den Konkurs geht, ohne befürchten zu müssen, dass der Gewinn aus besseren Zeit verloren geht. Gerade in so einer Krise zeigt sich, unabhängig von steuerlichen Themen, dass eine Struktur als Schutzmauer im eigenen System unheimlich wichtig ist.

Wiesendorf: Es sollte jetzt schon bedacht werden: Irgendeiner muss die Party am Ende bezahlen und freies Vermögen ist in den meisten Positionen mit dem Thema Immobilie gekennzeichnet. Das heißt, der Staat wird gar nicht drumherumkommen, das Thema Besteuerung von Immobilien, Besteuerung von Immobiliengeschäften, Pensionskosten wie auch immer, zu justieren. Das heißt, wer sich heute eine Immobilie kauft und denkt, er kennt für die nächsten Jahre seinen Kostenblock, der könnte eines Tages feststellen, dass er sich furchtbar in die Finger geschnitten hat.

 

Foto: © IIA/Christian Langer