Legionellenprophylaxe – unnötiger Aufwand oder sinnvolle Vorsicht?

28. Juli 2020


Es gibt ein paar Dinge in den heimischen vier Wänden, vor denen Wohnungsmieter wie auch Eigentümer unbedingt verschont bleiben wollen; bei denen man immer so eine latente Angst hat, dass sie doch irgendwann auftreten könnten. Schimmel ist so ein Beispiel. Ein anderes: Legionellen.

Von Markus Jugan

Unter Legionellen versteht man Bakterien, die eine schwere Form der Lungenentzündung, die Legionellose, auslösen können. Diese Krankheit ist zwar mit durchschnittlich 1,2 Erkrankten pro 100.000 Einwohner eher selten. Allerdings verläuft sie für fünf bis zehn Prozent der Betroffenen tödlich. Bei Menschen mit Immunschwäche und Herz-/Lungenerkrankungen liegt die Todesrate sogar bei bis zu 71 Prozent. Legionellen kommen in lauwarmem bis warmem Süßwasser natürlich vor. Erst ab bestimmten hohen Konzentrationswerten können sie zu Erkrankungen führen. Die Infizierung erfolgt über Aerosole – mikroskopisch große Wassertröpfchen in der Atemluft. Optimale Vermehrungsbedingungen herrschen zwischen 30 und 45 Grad Celsius – Temperaturen, wie sie insbesondere in Trinkwasseranlagen herrschen.

Im Rahmen der Legionellenprophylaxe sieht die Trinkwasserverordnung deshalb regelmäßige Prüfungen von Trinkwasserleitungen und Anlagen zur Trinkwassererwärmung vor. In Mehrfamilienhäusern müssen Leitungen und Anlagen mindestens alle drei Jahre auf einen möglichen Bakterienbefall hin kontrolliert werden (TrinkwV § 14b, (4) 2. b)). Alle öffentlichen Betreiber von Großanlagen zur Trinkwassererwärmung, wie Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und Pflegeheime, müssen die Prüfung jährlich vornehmen. Werden Legionellenkonzentrationen oberhalb des erlaubten Grenzwertes gemessen, sind weitergehende Untersuchungen und Gegenmaßnahmen wie Desinfektion oder Sanierung erforderlich.

Allerdings hat diese Regelung ihren Preis. Schätzungen zufolge kostet die regelmäßige Legionellenprophylaxe rund 500 Millionen Euro – jedes Jahr. Die Sanierungskosten werden mit 1,8 Milliarden Euro jährlich angegeben. Das ist eine gewaltige Summe. Man kann durchaus argumentieren, dass für die Erhaltung der Gesundheit und die Abwehr vermeidbarer Gefahren kein Preis zu hoch sei. Allerdings mehren sich die Zweifel, ob die strengen und kostspieligen Prüfvorschriften Legionelleninfektionen verhindern.

Unter Epidemologen ist die Regelung daher umstritten. Denn trotz der strengen Auflagen der Trinkwasserverordnung seit 2012 ist die Zahl gemeldeter Fälle in den vergangenen Jahren gestiegen. Waren es laut Robert-Koch-Institut 2004 bundesweit noch 475 gemeldete Legionellosen, wurden 2012 654 Fälle, 2017 1.282 Fälle und 2018 1.436 Infektionen gezählt. Außerdem schwankt die Zahl von Erkrankungen abhängig von Saison und Region. So werden die meisten Fälle von Legionellose zwischen Juli und Oktober gemeldet. Das könnte darauf hinweisen, dass die Infektionsquellen nicht in Trinkwasseranlagen liegen. In der Tat belegen verschiedene Studien einen direkten Zusammenhang zwischen Legionellosenausbrüchen und Kühltürmen, Whirlpools, Blumenerde, Befeuchtungssystemen, Klimaanlagen sowie Abwasser und natürliches Oberflächenwasser. Für Trink- oder Duschwasser wurde bisher kein solcher Zusammenhang erwiesen.

Kritiker der Trinkwasserüberwachung sagen deshalb, dass die Prophylaxe-Praxis in Deutschland wirkungslos und viel zu teuer sei.

Verteidiger der geltenden Trinkwasserverordnung verweisen auf eine Studie der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde. Demnach sei Trinkwasser in der Hälfte der Erkrankungsfälle die Infektionsquelle. Auch würden steigende Erkrankungszahlen trotz aufwendiger Vorsichtsmaßnahmen nicht auf eine Unwirksamkeit vorbeugender Maßnahmen weisen, sondern ließen sich vielmehr durch bessere Kontroll- und Diagnostikverfahren, eine alternde Bevölkerung sowie Reisen und Klimawandel erklären. Beispielsweise wurde in Deutschland im Jahr 2016 eine neue Diagnostikleitlinie eingeführt, die bei schweren Lungenentzündungen einen Test auf Legionellen empfiehlt.

Deutlich ist, dass es uns nach wie vor an Wissen mangelt, um die Gefahr von Legionellen im Trinkwasser einschätzen zu können. Die wissenschaftliche Debatte überschneidet sich dabei mit den wirtschaftlichen Interessen von Hauseigentümern auf der einen Seite und Prüfdiensten auf der anderen Seite. Legionellen im Trinkwasser können eine echte Gefahr darstellen. Aber über das Ausmaß herrscht nach wie vor Unklarheit. Deshalb ist die Frage berechtigt, ob die gegenwärtig geltende Regel nicht über das Ziel hinausschießt.

 

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