Pilotregionen einführen

3. Januar 2023


Von Carsten Linnemann, Stellvertretender Vorsitzender der CDU

Es sind vor allem die Strukturen, die uns in Deutschland lähmen. Ein überbordender Staatsapparat, der engmaschig reguliert und detailliert vorschreibt, macht träge und erstickt jeden Impuls, etwas auszuprobieren, im Keim. Oder anders ausgedrückt: Uns ist in Deutschland die „Einfach mal machen“-Mentalität abhandengekommen. Statt mutig neue Wege zu probieren, verstecken wir uns hinter Paragrafen und Gesetzen.

Und will man unter diesen Paragrafen und Gesetzen etwas ausmisten, gibt es sofort ein „Wenn“ und ein „Aber“ und am Ende nicht weniger, sondern mehr Bürokratie. Und Verantwortung? Die will sowieso kaum noch jemand übernehmen — egal wo man sich umschaut.

Tausend gute Gründe der Bedenkenträger

In Sonntagsreden sind immer alle Politiker — egal welcher politischen Couleur — für Bürokratieabbau und für effizientere Strukturen. Aber wenn es konkret wird, finden Bedenkenträger immer tausend gute Gründe, warum etwas nicht geht. Das hat ein solches Ausmaß angenommen, dass es nicht mehr nur für die Bürger oder Mittelständler ein Ärgernis ist — nein, es bedroht die Zukunftsfähigkeit unseres gesamten Landes.

Dabei hat gerade die Coronakrise gezeigt, dass es anders gehen kann. Rostock ist das beste Beispiel. Der damalige Oberbürgermeister von Rostock und heutige Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins war mutig. Als die Einzelhändler dicht machten, suchte Claus Ruhe Madsen nach neuen Wegen und führte „Click & Meet“ ein. Der Erfolg gab ihm recht. Von allen Seiten gab es Applaus. Und in einem Interview war kurz darauf nachzulesen, was nicht Herrn Madsen, sondern unseren Staat beschämen müsste: Für die erfolgreiche Coronastrategie habe er es mit den Vorschriften nicht so eng nehmen dürfen. Und auf die Frage, welche er genau meine, antwortete er: „Ich will ja nicht direkt ins Gefängnis.“

Pilotregionen, wo Vorschriften beherzt aufgehoben werden

Mein Vorschlag: Warum übertragen wir nicht einfach einen pragmatischen Ansatz auch auf andere Bereiche unseres
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens? Lasst uns Pilotregionen schaffen, in denen Vorschriften beherzt aufgehoben werden. Und dann schauen wir nach einem Jahr, wie es gelaufen ist.

Wenn es zu massivem Missbrauch und Schäden führt, kann man ja Vorschriften wieder einführen. Aber ich vermute, in den meisten Fällen wird es besser laufen als vorher. Diese Logik nutzen wir bereits vereinzelt in sogenannten Reallaboren bei der Erprobung von Spitzentechnologien wie autonomes Fahren, Telemedizinlösungen oder neue Identifizierungsverfahren.

Indem sie einige Unternehmen bereits einsetzen können, werden die Technologien im realen Umfeld erlebbar. So kann nicht nur das Unternehmen ermitteln, welche Technologien und Geschäftsmodelle funktionieren. Auch der Gesetzgeber lernt, welche Regeln sinnvoll sind und welche nicht.

Schlanke, pragmatische und innovative Regulierungen

Genau diese Logik über die Zulassung von neuen Technologien sollten wir auf ganz viele Regelungsbereiche ausweiten. Einzelne Städte und Landkreise
sollten als Pilotregionen schlanke, pragmatische und innovative Regulierungen ausprobieren können.

Warum nicht mal mit neuen, flexiblen Arbeitszeiten experimentieren? Warum nicht den Schulleitern einfach mal mehr Entscheidungsbefugnisse geben?
Warum nicht mal alle Gründer im ersten Jahr von Pflichten in den Bereichen Steuer- und Arbeitsrecht befreien? Warum nicht mal datenrechtliche Vorgaben eindampfen, wenn in einer Region ein neues Mobilitätskonzept ausgetüftelt wird? Warum nicht mal auf das Ausfüllen von bestimmten Statistiken für Handwerker verzichten?

Was floppt, wird gestoppt

Um diesen Pilotregionen klare Bedingungen und damit rechtliche Sicherheit zu geben, brauchen wir ein Bundesexperimentiergesetz und einen wirksamen Experimentierklausel-Check. Mein persönlicher Wunsch: Deutschland wird zu einem Land der Experimentierräume, in denen neue Wege, flache Hierarchien und bürokratiearme Projekte getestet werden.

Und testen heißt eben auch: genau analysieren, was lief gut, was lief schlecht? Was floppt, wird gestoppt, was gut läuft, wird auf ganz Deutschland ausgerollt. Vielleicht kann man so eine Föderalismusreform, die Deutschland dringend braucht, von unten angehen. Es ist Zeit, dass wir in Deutschland wieder einmal etwas wagen. Einfach mal machen lassen! Wer eine Idee hat, muss losstürmen dürfen, ohne dass gleich jemand sagt: „Geht nicht, weil …“ Es braucht Kreativität und Tatkraft, um die Zukunft zu gestalten. Denn es geht um nicht weniger als um den Erhalt unseres Wohlstands und unserer freiheitlichen Art zu leben. Wir sollten mehr Rostock wagen, auch und erst recht nach den Erfahrungen, die wir während der Pandemie gesammelt haben.

 

Foto: © Thorsten Schneider