Prozessführungsbefugnis in Altverfahren, Handlungsmöglichkeiten des Verwalters

2. März 2022


In unserer AIZ-Serie stellen die Rechtsanwälte Dr. Marco Tyarks und Dr. Niki Ruge im Wechsel die sich entfaltende Rechtsprechung zum neuen Wohnungseigentumsrecht nach dem Inkrafttreten des WEMoG vor. In dieser Folge geht es um Altverfahren, also Gerichtsprozesse, die schon vor dem Inkrafttreten des WEMoG am 1. Dezember 2020 anhängig waren. Nach sich festigender neuer Rechtsprechung besteht die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der Rechte aus dem gemeinschaftlichen Eigentum geltend macht, über den genannten Zeitpunkt hinaus fort — bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft bekannt wird.

Von Rechtsanwalt Dr. Niki Ruge

Vor dem Inkrafttreten des Wohneigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) konnte ein einzelner Wohnungseigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus dem Miteigentum gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG aF selbst gerichtlich geltend machen, und zwar sogar dann, wenn Anspruchsgegner ein außerhalb der Gemeinschaft stehender Dritter war. Die Gemeinschaft konnte solche Ansprüche an sich ziehen (Vergemeinschaftung).
Machte sie von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch, blieb es bei der Prozessführungsbefugnis des einzelnen Eigentümers. Nach neuem Recht ist dies anders. Gemäß § 9a Abs. 2 WEG übt von vorneherein die Gemeinschaft die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte und solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern; sie nimmt zudem die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr. Nach neuem Recht hätte der klagende Eigentümer seine Prozessführungsbefugnis an sich verloren, und schon deshalb müsste seine Klage — als unzulässig — abgewiesen werden.

Die neue Rechtsprechung, insbesondere des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Frage dahin entschieden, dass für vor dem 1. Dezember 2020 anhängige Verfahren die Prozessführungsbefugnis
eines Wohnungseigentümers in dieser Situation fortbesteht, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird (Urteil vom 7. Mai 2021 – V ZR 299/19). Vertretungsberechtigtes Organ ist in der Regel der Verwalter. Angeschlossen hat sich dem kürzlich das LG Itzehoe und darüber hinaus weitere konkretisierende Leitlinien für die Praxis aufgestellt (Urteil vom 2. Juli 2021 – 11 S 41/20).

Danach unterfallen insbesondere Ansprüche gegen einen Wohnungseigentümer auf Beseitigung und Unterlassung von Störungen des gemeinschaftlichen Eigentums der ausschließlichen Ausübungszuständigkeit der Gemeinschaft. Davon umfasst sind auch Ansprüche auf Beseitigung baulicher Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums und Wiederherstellung des vorherigen Zustandes.

Der rechtliche Kontext

Der Gesetzgeber hat das bisherige Konzept von geborenen und gekorenen Ausübungs- beziehungsweise Wahrnehmungsbefugnissen aufgegeben. An seine Stelle getreten ist eine grundsätzliche Zuständigkeit der Gemeinschaft. Sie übt nunmehr die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Daneben nimmt sie die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr. Dadurch wird die Ausübungskompetenz der Gemeinschaft auf sämtliche Ansprüche erweitert, die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben. Diese gesetzliche Zuweisung ist zwingend und unterliegt keinem Wahlrecht der Wohnungseigentümer. Sie können insoweit also keine abweichende Bestimmung treffen.

Eine Übergangsvorschrift, die die hier besprochene Konstellation regelt, enthält das neue Wohnungseigentumsgesetz nicht, übrigens auch nicht in § 48 Abs. 5 WEG. Nach dieser Vorschrift sind für die vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Vorschriften des dritten Teils des Gesetzes in ihrer bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden. § 9a Abs. 2 WEG befindet sich aber nicht im dritten Teil des neuen Wohnungseigentumsgesetzes. Die bis dahin geltende Vorgängernorm
§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG aF ist daher nicht anwendbar.

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Rechtlicher Umgang

Umstritten war bislang, wie mit dieser Situation rechtlich umzugehen ist. Wohl überwiegend wurde angenommen, der klagende Eigentümer müsse seinen Rechtstreit für erledigt erklären oder einen Parteiwechsel herbeiführen, also die Gemeinschaft veranlassen, den laufenden Prozess zu übernehmen. Vertreten wurde vereinzelt aber auch, der Kläger behalte die Prozessführungsbefugnis, so dass seine Klage weiterhin zulässig bleibe und Erfolg haben könne.
Der BGH hat die Frage nunmehr dahin entschieden, dass für bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängige Verfahren die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der aus dem gemeinschaftlichen Eigentum folgende Rechte geltend macht, über diesen Zeitpunkt hinaus fortbesteht, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft zur Kenntnis gebracht wird.

Begründet hat er seine Ansicht mit einer gesetzlichen Regelungslücke. Die Übergangsvorschrift § 48 Abs. 5 WEG enthalte insoweit eine planwidrige Regelungslücke. Diese Regelungslücke hätte der Gesetzgeber, wenn sie ihm bewusst gewesen wäre, mit einer Regelung geschlossen, die sich an der Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG orientiert, zugleich aber auch den Rechtsgedanken des § 9a Abs. 2 WEG einbezieht. Diese Zielsetzung rechtfertige es, die Lücke dahingehend zu schließen, dass für die bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Prozessführungsbefugnis fortbesteht, bis dem Gericht der entgegenstehende Wille der Gemeinschaft bekannt wird.

Im entschiedenen Fall bestanden für einen solchen Willen keine Anhaltspunkte, so dass der klagende Eigentümer seinen Prozess fortsetzen konnte und ihn dann im Ergebnis auch gewann. Anders übrigens im vom LG Itzehoe entschiedenen Verfahren: Hier gab es nämlich eine schriftliche Mitteilung der Verwalterin darüber, dass die Gemeinschaft mit der Prozessführung durch den Kläger nicht einverstanden ist.

Schlussfolgerungen für die Verwalterpraxis

Solange noch Altverfahren anhängig sind, sollten WEG-Verwalter darauf vorbereitet sein, dass sich Prozessbeteiligte an sie wenden. Das gilt vor allem für Prozessbevollmächtigte des Anspruchsgegners, also des Beklagten. Insoweit existiert eigentlich immer ein Interesse, die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung zu steigern. Nach dem vom BGH gewiesenen Weg besteht eine Möglichkeit darin, den Verwalter zu der Erklärung zu veranlassen, dass die Gemeinschaft mit der Prozessführung durch einen einzelnen Eigentümer nicht einverstanden ist. Diese Erklärung kann der Verwalter autonom ohne Rücksprache mit den Eigentümern abgeben; die Rechtsmacht dazu hat er gemäß § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG.

Allerdings muss er sich im Klaren darüber sein, dass er auf diese Weise erheblich in den laufenden Prozess eingreift und ihm letztlich sogar jede Erfolgsaussicht entzieht. Für den klagenden Eigentümer ist das mindestens ärgerlich, und dieses Vorgehen muss auch keineswegs immer im Interesse der Gemeinschaft sein. Hier klagt ja ein einzelner Eigentümer auf eigene Kosten ohne Beteiligung der Gemeinschaft. Es kommt also in Betracht, dass eine rechtliche Auseinandersetzung geklärt wird, ohne dass die Gemeinschaft insoweit ein Risiko trägt.

Entscheidung der Eigentümer

Klug dürfte daher sein, die Entscheidung wie im vom LG Itzehoe entschiedenen Fall den Eigentümern zu überlassen. Bisher nicht abschließend geklärt ist, ob dafür zwingend eine Versammlung durchgeführt werden muss. Im Zweifel wird dieser Weg im Augenblick aber der sicherste sein. Sprechen sich die Eigentümer mehrheitlich dafür aus, die Prozessführung des klagenden Eigentümers zu tolerieren, ist an sich nichts weiter zu veranlassen. Denn nach der Ansicht des BGH ist nur eine Mitteilung über den entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft rechtlich relevant.

Sind die Eigentümer hingegen mehrheitlich mit der Prozessführung nicht einverstanden, bedarf es noch einer diesbezüglichen Mitteilung des Verwalters an das Gericht, vor dem der Rechtsstreit ausgetragen wird, oder an den Prozessbevollmächtigten des dortigen Beklagten. Nach ausdrücklicher Äußerung des BGH handelt es sich um eine schriftliche Mitteilung, also einen Text mit eigenhändiger Namensunterschrift (§ 126 Abs. 1 BGB) des Verwalters oder einer an seiner Stelle zeichnungsberechtigten Person.

Abwehransprüche eines Wohnungseigentümers wegen Störungen seines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts sind von der hier in Rede stehenden Konstellation übrigens nicht erfasst. Das hat der BGH jüngst (Urteil vom 1. Oktober 2021 – V ZR 48/21) klargestellt. Insoweit besteht die Prozessführungsbefugnis vorbehaltlos.

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