Run auf Servicewohnen – und auf Grundstücke

29. Mai 2019


Deutschland steckt mitten im demografischen Wandel. Der Anteil von Menschen über 65 Jahren ist zwischen 1997 und 2017 von etwa 16 auf über 21 Prozent gesprungen. Andererseits lassen die Angebote für Ältere oft noch zu wünschen übrig. Damit liegt hier nach wie vor eine große Chance für Investoren. Das vielleicht beste Beispiel ist das Wohnen: Zwar wird gegenwärtig viel über den Wohnungsmangel in Ballungsräumen diskutiert – aber nur wenig darüber, welche Wohnungen in 15, 20 oder 30 Jahren denn tatsächlich benötigt werden.

Von Dr. Michael Held

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Angebotslücke beim Servicewohnen

Sehr gut lässt sich die Angebotslücke an der deutlich gestiegenen Nachfrage nach Angeboten im Bereich Servicewohnen ablesen. Neu projektierte Bauvorhaben sind in Windeseile vermarktet, die Wartelisten in bestehenden Wohnanlagen lang. Für Interessierte geht damit oft eine zeitraubende Suche bei gleichzeitiger Verschlechterung ihrer Lebensqualität einher, weil das angestammte Zuhause nicht mehr altersgerecht ist. Eine neue Studie der TERRAGON AG hat nun erstmals den bundesweiten Bedarf ermittelt und dafür alle Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern erfasst. Das Ergebnis könnte klarer nicht sein: In 94 Prozent der Kommunen ist die Versorgung unzureichend. Aktuell fehlen in Deutschland 550.000 Wohneinheiten — woraus sich ein Investitionspotenzial von gegenwärtig 64 Milliarden Euro ergibt.

Diesen immensen Bedarf haben auch internationale Investoren längst erkannt. Mit hohen Erwartungen drängen sie auf den deutschen Markt und versuchen Kommunen und andere Partner zu gewinnen. Doch dabei stehen sie wie bei klassischen Wohnimmobilien vor den bekannten Problemen: Die ohnehin hohe Auslastung im Baugewerbe verlangsamt die Ausweitung des Angebots. Und Bauland ist fast noch rarer als Handwerker und Architekten. Während also eigentlich alles für einen schnellen Aufbau größerer Kapazitäten spricht, verschleppt die Suche nach geeigneten Standorten die dringend nötige Bautätigkeit.

Nachfrage in allen Preisklassen

Indes verspricht die Kundennachfrage beste wirtschaftliche Voraussetzungen. Rund 90 Prozent der 61- bis 70-Jährigen, so ein weiteres Ergebnis der TERRAGON-Studie, wünschen sich einen Lebensabend in den eigenen vier Wänden. Und sie können es sich leisten: Nie zuvor war eine Generation in der Breite so wohlhabend wie die sogenannten Baby-Boomer, die ab Ende der 1950er Jahren geboren wurden und in den kommenden Jahren ins Rentenalter kommen werden. Ihre Kaufkraft ist deutlich höher als jene früherer Generationen. Ein Beispiel aus der Marktforschung: In Aachen könnten 85 Prozent der Seniorenhaushalte monatlich 1.000 Euro für Miete und Serviceleistungen aufbringen. Allein im Vier-Sterne-Segment des von der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. entwickelten Klassifizierungssystems besteht somit ein Potenzial für 100.000 Wohneinheiten mit einem Volumen von 33 Milliarden Euro.

Gleichzeitig bleibt preisgünstiges Servicewohnen selbstverständlich wichtig. Projektentwickler setzen deshalb auf eine Diversifizierung des Angebots. Von Residenzen mit Spa, Conciergeservice und Hotelkomfort bis zu Mischformen zwischen Wohngemeinschaften und vollstationärer Pflege kamen in den vergangenen Jahren viele erfolgreiche Konzepte hinzu. Mit wachsender Kundenbasis gewinnen allerdings allgemeine Bevölkerungstrends an Relevanz. Wie die jüngeren Generationen zieht es eine große Zahl von Senioren heute in Großstädte und Ballungszentren. Das ist nur allzu verständlich, denn aktive und wohlhabende Ältere wünschen sich ebenso einen direkten Zugang zur öffentlichen Infrastruktur wie zu Kultur und Unterhaltung. Sie haben tendenziell ein höheres Bedürfnis nach Mobilität als während ihrer Berufstätigkeit und möchten ihr Leben genießen — wünschen sich also unter anderem ein attraktives Einzelhandels- und Gastronomieangebot.

Grundstücke dringend gesucht

Doch in Deutschlands 30 größten Städten kommen bisher im Durchschnitt nur 3,3 Wohnungen auf 100 Menschen im Alter ab 65 Jahren. Während die prozentuale Versorgungslage in Großstädten allgemein noch besser ist als auf dem Land, gibt es Ballungsräume mit dringendem Aufholbedarf — und entsprechendem Investitionspotenzial. Besonders akut ist die Lage in Nordrhein-Westfalen: Duisburg (0,9 Prozent), Gelsenkirchen (0,7 Prozent) und Mönchengladbach (0,5 Prozent) liegen bei der Versorgung mit Servicewohnen auf den hintersten Plätzen. Gerade in NRW wird die Identifizierung und Vermittlung von passenden Grundstücken für Bauprojekte somit gesellschaftlich und wirtschaftlich immer wichtiger. Denn die Nachfragekurve weist in den kommenden Jahren unweigerlich nach oben.

Foto: © Terragon