Schuldenbremse jetzt wichtiger denn je

15. August 2022


Claudia Raffelhüschen ist 2020 der FDP beigetreten. Sie kandidierte 2021 im Wahlkreis Freiburg für den Bundestag und ist — etwas überraschend — durch die Landesliste in den Bundestag nachgerückt. Nun will sie sich als Mutter, Volkswirtin und begeisterte Sportlerin für Gerechtigkeit einsetzen — Gerechtigkeit zwischen den Generationen, im Steuersystem, in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und vielen weiteren Bereichen. Die gebürtige Kölnerin ist unter anderen Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages — keine leichte Funktion in diesen Tagen. Die AIZ sprach mit ihr.

Interview von Heiko Senebald

AIZ: Das waren turbulente letzte Monate. Sind Sie froh, dass jetzt parlamentarische Sommerpause ist?

Claudia Raffelhüschen: Ich würde sagen, es ist in diesem Jahr eher ein „Päuschen“: Der Bundeshaushalts 2023 liegt schon auf dem Schreibtisch und wir starten in der ersten Septemberwoche direkt in die entsprechenden parlamentarischen Beratungen. Bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, es ist schön, wieder etwas mehr Zeit für den Wahlkreis zu haben — und natürlich auch für Familie und Freunde.

Sie sind vergangenes Jahr in den Deutschen Bundestag eingezogen. Die Corona-Pandemie ist allgegenwärtig, der Ukraine-Krieg verändert unser aller Leben. Geben Sie mir doch bitte einen kleinen Einblick in Ihre momentane Gefühlswelt.

Es sind wahrlich turbulente Zeiten und es kommt einiges auf uns als Gesellschaft zu. Gerade die Situation der Energieversorgung wird uns in den kommenden Monaten beschäftigen und sicherlich einiges abverlangen. Die damit verbundenen Entscheidungen, die wir als Politikerinnen und Politiker treffen müssen, sind daher aktuell wirklich sensibel. Das ist eine große Verantwortung, der ich mir bewusst bin. Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass mir diese Gedanken auch schon schlaflose Nächte bereitet haben. Man muss lernen, mit der Verantwortung angemessen umzugehen — dabei hilft mir mein täglicher Sport, aber natürlich auch meine Familie, meine Freunde und mein Team.

Gleich nach der Sommerpause befasst sich das Parlament mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2023, in dem die Schuldenbremse wieder eingehalten werden soll. Es wird mit viel Gegenwind von den Koalitionspartnern gerechnet. Wie hält die FDP dagegen Stand?

Die Schuldenbremse ist essenzieller Teil unserer Ampelkoalition. Wir haben uns gemeinsam darauf verständigt, dass wir eine Regierung sein möchten, die solide mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger haushaltet. Daran werden wir unsere Koalitionspartner messen und für uns ist dieser Punkt auch nicht diskutabel. Man möge sich vergegenwärtigen, dass die Schuldenbremse, die in der Bevölkerung teilweise einen schlechten Ruf hat, in unserem Grundgesetz verankert ist.

§ 109 schützt uns vor ausartender Staatsverschuldung — das ist richtig und wichtig, auch für unsere Kinder und Enkelkinder, die den Schuldenberg würden bezahlen müssen. Gerade in den aktuellen Zeiten ist es doch geboten, die uns zur Verfügung stehenden Mittel nachhaltiger zu verteilen, statt ständig neues „Schuldengeld“ ins System zu schießen.

Rot-Grün argumentiert unter anderem damit, dass weiterhin eine Ausnahmesituation besteht, weil zur Corona-Pandemie nun der Krieg in der Ukraine hinzugekommen sei. Steigende Energiekosten, Inflation — momentan ist die weitere Entwicklung in der Tat schwer prognostizierbar. Warum ist die Schuldenbremse dennoch richtig?

Liberaler Anspruch an solide Haushaltspolitik ist es, mit den bestehenden Mitteln das Bestmögliche herauszuholen. Das ist gerade in Zeiten konjunktureller Anspannung eine große Herausforderung, aber dafür wurden wir ja gewählt. Eine wichtige Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern ist deshalb auch, der Bevölkerung zu erklären, wieso die Schuldenbremse langfristig ein unglaublich wichtiges Instrument ist.

Viel Diskussion gibt es innerhalb der Koalition auch bei dem von Bundesbauministerin Klara Geywitz vorgelegten Gesetzentwurf zum kommunalen Vorkaufsrecht. Der Referentenentwurf sieht vor, den Städten und Gemeinden ein umfassendes Vorkaufsrecht in sogenannten Milieuschutzgebieten zu geben. Dieses Vorkaufsrecht soll nur dann abgewehrt werden können, wenn sich ein Käufer in einer Abwendungsvereinbarung zu bestimmten Regeln des Mieterschutzes verpflichtet. Die FDP ist gegen dieses Gesetz. Der Entwurf liegt auf Eis. Wie wird es damit weitergehen?

Die Bauministerin hat mit dem Gesetzentwurf auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts reagiert. Ich bin zwar keine Baupolitikerin, aber als problematisch sehen wir Liberalen die Ausgestaltung des Gesetzes an. Es ist nicht sonderlich gründlich gearbeitet worden, was letztlich die rechtliche Anwendbarkeit gefährdet. Wir hatten während der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Jahr innerhalb der Ampel vereinbart, dass wir erst einmal gemeinsam prüfen, ob sich aus dem Urteil überhaupt Handlungsbedarf ergibt.

Da eine entsprechende Prüfung — und zwar von allen drei Koalitionspartnern —nicht stattgefunden hat, haben wir diesbezüglich noch Abstimmungsbedarf. Die entsprechenden Koalitionsgremien und die Bundesregierung werden sich mit der Thematik befassen und, so notwendig, eine Lösung erarbeiten. Das ist für ein Bündnis aus drei Parteien nicht ungewöhnlich und Teil der politischen Arbeit.

Die FDP will Wohneigentum fördern. Christian Lindner hat dazu eine Reform der Grunderwerbsteuer angekündigt. Er favorisiert ein Modell, das die Möglichkeit für die Länder vorsieht, einen ermäßigten Steuersatz bis hin zu null festzulegen. Wird eine Länderöffnungsklausel aber nicht eher ins Leere laufen? Denn aktuell erhöhen Hamburg und Sachsen die Grunderwerbsteuer, um ihre Haushaltslöcher zu füllen? Da werden die anderen Länder doch nicht auf Steuereinnahmen verzichten wollen?

Jein. Ich halte es für richtig, finanzielle Anreize zu schaffen, damit gerade junge Menschen in Wohneigentum investieren. Insbesondere in Zeiten einer hohen Inflation, steigender Zinsen und der angespannten Eigenkapitalsituation der Bürger ist die Grunderwerbsteuer sicherlich ein gutes Regelinstrument. Die Problematik, dass die Länder auf der anderen Seite zum Beispiel den normalen Grunderwerbsteuersatz erhöhen, um die fehlenden Steuereinnahmen zu kompensieren, müssen wir in der Ausgestaltung berücksichtigen und mit den Ländern abstimmen. Hamburg beabsichtigt wohl, mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer das „Coronaloch“ zu füllen, was ich persönlich nicht gutheiße. Dass die etwaige Grunderwerbsteuersenkung aus dem Bundeshaushalt kompensiert wird, kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Die Länder haben aktuell ein deutliches Einnahmeübergewicht gegenüber dem Bund und sind in der Gestaltung ihrer Ländersteuern frei.

Wäre ein Bundesgesetz nicht zielsicherer?

Naja, zielführender sicherlich. Aber wir leben ja nicht in einem zentralistisch regierten Staat, wie zum Beispiel Frankreich, sondern in einem föderalen System. Beides hat durchaus seine Vor- und Nachteile; die Steuereinnahmen der Grunderwerbsteuer liegen in Deutschland in der Hoheit der Bundesländer und bieten ihnen Gestaltungsspielraum. Daher müssten wir eine staatstheoretische Debatte darüber führen, ob unser Föderalismus reformbedürftig ist.

Das fehlende Eigenkapital ist die größte Hürde beim Erwerb von Wohneigentum. Grundsätzlich ist es um die Vermögensbildung bei den Deutschen nicht gut bestellt. Müsste die Politik nicht einen Anreiz schaffen, um zum Sparen beziehungsweise zur Vermögensbildung zu animieren?

Auf jeden Fall! Da bin ich persönlich ganz bei Ihnen. Ich halte etwa viel von aktienbasierten Sparkonten. Wenn der Staat schon im Kindes- und Jugendalter Anreize schafft, das zum Beispiel in Aktien investiert wird, dann wird er seiner Verantwortung gegenüber einer alternden Gesellschaft gerecht. Denn dadurch könnte auch der immer gravirenderen Lage von Renten- und Pflegeversicherung entgegengewirkt werden. Flankiert werden müsste dies aber in jedem Fall auch durch entsprechende Bildungsangebote, am besten schon in der Schule.

Foto: © Stefan Trocha | Photography