Verkaufen statt Verteilen

26. Oktober 2022


Die derzeitige Marktlage fordert die deutschen Maklerbüros heraus. War in den letzten Jahren der Vertrieb von Immobilien gegenüber dem Einkauf meist die leichtere Aufgabe, ist jetzt wieder Verkaufstalent gefragt.

Von Jan Kricheldorf

Ich rufe einen Makler in Hessen an: „Wie laufen die Geschäfte?“ Antwort: „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“. In den letzten Monaten war die Zahl der Beauftragungen gestiegen, allerdings brachen die Anfragen um 70 Prozent ein. Finanzierungen scheiterten, Notartermine wurden abgesagt. Der Makler reagierte und verordnete Vertriebstraining für seine Mitarbeiter. Trotzdem verringerte sich die Anzahl der Beurkundungen merklich. „Im Moment sind wir bei den Abschlüssen wieder auf dem Niveau von 2008“, sagt mir der Makler nach Blick in die Unternehmensstatistik.

Gestiegene Verunsicherung

Nur eine momentane Schockstarre? Ausgelöst durch die Verunsicherungen an den Märkten? Hohe Inflation, steigende Zinsen bei Immobilienkrediten und enorme Preisanstiege bei den Energieversorgern sorgen für Zurückhaltung bei anstehenden Kaufentscheidungen. Menschen, die sich im Dezember bei historisch niedrigem Zinsniveau gedanklich schon ihm lang erträumten Eigenheim wähnten, gehen vorerst wieder auf Distanz. Lieber das Geld zusammenhalten, wer weiß, was da noch kommt.

Umdenken

Das transformiert den Makleralltag tiefgreifend. Immobilienvermittler sind vor allem in der Phase der Leistungserbringungen wieder mehr gefordert. Das betrifft vor allem die Kommunikation mit dem Käufer und das Prüfen der Bonitäten, nachdem in den letzten Jahren die Schwerpunkte vor allem bei der Akquise lagen. Beim Umdenken und
Neugewichten sind nun Kommunikationstalente, Flexibilität und Schnelligkeit gefragt. Denn wie die Marktentwicklung in den nächsten Monaten verlaufen wird, lässt sich derzeit kaum vorhersagen.

Die Lage ist paradox. So ergab sich aus der Umfrage des IVD unter den Mitgliedern beispielsweise, dass in einigen Regionen und in mittleren Lagen zwar bereits Preisreduktionen zu verzeichnen sind und die Anfragen signifikant nachgelassen haben (siehe Zahlen und Fakten auf Seite 7). Andererseits vermelden Portale wie Immobilienscout für das dritte Quartal 22 leichte Kaufpreissteigerungen bei den Angebotspreisen. Aus den zwei auseinandertreibenden Entwicklungen ergibt sich akuter Handlungsbedarf, um in dieser angespannten Marktlage zu Abschlüssen zu kommen. Wie umgehen mit dem immer noch hohen Marktpreisniveau, zu dem derzeit deutlich weniger Käuferschichten passen?

Immobilien verkaufen

Durch den Perspektivwechsel die Bedürfnisse der Marktteilnehmer zu erkennen, kann hilfreich sein. Die Marktprinzipien haben sich nicht verändert. Nach wie vor gibt es ausreichend kaufkräftige Käufer. Wenn die Ausgabebereitschaft derzeit sinkt, dann vor allem deswegen, weil nicht mehr jeder Angebotspreis gezahlt wird oder gezahlt werden kann. Daraus lassen sich zwei Optionen ableiten: Entweder ist der Vermittler in der Lage, den potenziellen Käufer erkennen zu lassen, dass der Preis bei Abwägung aller Kaufmotive und Vorteile gerechtfertigt ist oder er muss angesichts des fehlenden Wettbewerbdrucks durch andere Kaufwillige den Preis reduzieren, bis genau dieser Zustand erreicht ist.

Wenn sich also derzeit Anfragen verringern und damit automatisch die Zahl derer sinkt, die ein echtes Kaufinteresse verfolgen, kommt es mehr denn je auf die Markterfahrung des Maklers an.

Zwischen Verkäufer und Käufer vermitteln

Dabei wird der erfahrene Makler bei Neueinwertungen die Gelegenheit haben, den Graben zwischen den Vorstellungen des Verkäufers und denen der Interessenten zu verkleinern oder sogar so zu schließen, dass bei genügend Kaufzusagen der Preis doch über aktuellem Marktniveau abgeschlossen werden kann. Dass das Angebotspreisniveau derzeit trotzdem leicht steigt, ist meiner Einschätzung nach ein Zeichen dafür, dass kleinste Verschiebungen der marktbestimmenden gegensätzlichen Faktoren Ausschläge in die eine oder andere Richtung bewirken können.

Miete statt Kauf?

In Städten ist weiterhin Wohnraummangel prägend. Dass sich nun noch mehr Wohnungssuchende den Mietangeboten zuwenden, ist Ausdruck ihrer Verunsicherung. Viele Menschen, die Kaufinteressenten waren, gehen davon aus, dass sie aus verschiedensten Gründen keine Immobilienfinanzierung bei den Banken mehr erhalten würden, etwa weil das Zinsniveau zu hoch sei, sie zu wenig Eigenkapital mitbringen oder die Bonitätsvorgaben nicht erfüllen. Aber stimmt das eigentlich? Immobilienvermittler sind derzeit gut beraten, zusammen mit Finanzierungspartnern für Nachfrager zu ermitteln, wie viel Immobilien sie sich leisten können. Eine Verkleinerung beim Platzangebot des Immobilienwunschs bedeutet nicht in jedem Fall, dass der Kauf nicht in Frage kommt.

Bonitätseinschätzungen gewinnen in den Vertriebsprozessen an Gewicht. Denn viele Immobilienvermittler stehen vor der Herausforderung, mit derselben Personaldecke mehr Immobilien aufzubereiten, Unterlagen zu besorgen und die Anfragen und Besichtigungen zu managen.

Wenn sich Anfragen verringern, Reichweite erhöhen

Werten wir Suchaufrufe aus, erkennen wir derzeit kein nachlassendes grundsätzliches Interesse am Immobilienkauf. Das Keyword „Haus kaufen Berlin“ lag im August noch auf dem Allzeithoch des Jahres mit 13.200 Suchaufrufen und damit sogar höher als im Januar vor dem Ukrainekrieg und der daraus entstandenen Energiekrise. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in den anderen Metropolen und Städten ab.

Wenn trotzdem die Anfragen aus den Portalen nachlassen, heißt das im Umkehrschluss eben nicht nachlassendes Interesse, sondern dass die Nachfragepotenziale aus anderen Vertriebs-
kanälen immer noch nicht vollständig ausgeschöpft sind. Maklerbüros tun also gut daran, ihre Reichweite zu erhöhen über alternative Wege: dem eigenen Suchnetzwerk, über Gemeinschaftsgeschäfte in Maklerbörsen, über Vermarktung von Immobilien in sozialen Medien oder auch über Digitalkampagnen bei Google.

Zweifellos, wir erleben bewegte und anstrengende Zeiten im Maklerbüro. Viele junge Makler werden zum ersten Mal als Makler im Verkauf gefordert. Eine Fähigkeit, die sie sich Dank des hohen Ausbildungsstands mit Leichtigkeit erarbeiten werden.

 

Foto: © jchizhe/Adobe Stock