Versammlungen unter Corona-Bedingungen — Einladung oder Ausladung?

27. April 2022


In unserer neuen Folge unserer Serie zur neuen WEG-Rechtsprechung geht es um Ein- und Ausladungen zu Wohnungseigentümer-Versammlungen. So gut wie kein Lebensbereich ist von den Auswirkungen der Corona-Pandemie verschont geblieben. Das Wohnungseigentum und die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bilden insoweit keine Ausnahme. Dabei hat die Pandemie in der Entstehungsgeschichte des WEMoG kaum eine Rolle gespielt und das Gesetz inhaltlich auch nicht nennenswert beeinflusst. Die Praxis ist bei der Lösung der pandemiebedingten Herausforderungen weitgehend auf sich selbst gestellt. Das zeigt sich besonders deutlich im Zusammenhang mit der Durchführung von Versammlungen der Wohnungseigentümer.

Von Rechtsanwalt Dr. Niki Ruge

Die Durchführung zumindest einer Versammlung pro Jahr ist nach dem gesetzlichen Leitbild obligatorisch. In den vergangenen zwei Jahren kollidierte dieser Grundsatz immer wieder mit den vielfältigen Einschränkungen aufgrund der Pandemie. Klar: Wenn Zusammenkünfte aller Art vor dem Hintergrund der Verbreitung des Virus als problematisch eingeschätzt werden, hat das auch Bedeutung für Versammlungen von Wohnungseigentümern. Dennoch gab und gibt es ein praktisches Bedürfnis in vielen Gemeinschaften, handlungsfähig zu bleiben. Als Reaktion darauf hat die Praxis ein Modell entwickelt, nach dem nur wenige Eigentümer oder eventuell sogar allein der Verwalter an einer „Versammlung“ teilnehmen. Rechtlich gesehen ist das nicht unproblematisch. Denn nach insbesondere höchstrichterlicher Rechtsprechung zählt die Teilnahme an einer Versammlung zum Kernbereich des Wohnungseigentums; das damit verbundene Recht des einzelnen Eigentümers erweist sich als besonders sensibel. Sehr bedenklich sind in diesem Zusammenhang Einladungen zu einer Versammlung, die mehr von einer Teilnahme abschrecken als zu ihr ermutigen. Auf den Punkt gebracht stellt sich die Frage, wann eine Einladung tatsächlich eine „Ausladung“ ist.

LG Lüneburg (Hinweisbeschluss)

Diese Frage hat erhebliche praktische Relevanz und ist deswegen bereits von mehreren Gerichten behandelt worden. Die wohl bislang jüngste Entscheidung ist ein Hinweisbeschluss des LG Lüneburg vom 10. Februar 2022 in einem Berufungsverfahren. Hintergrund ist hier die Einladung einer Verwaltung zu einer außerordentlichen Versammlung am 3. März 2021. In dem Schreiben heißt es, aufgrund der aktuellen Lage sei es nicht möglich, Versammlungen abzuhalten. Man möge deshalb bitte einen namentlich benannten Wohnungseigentümer bevollmächtigen. Ein entsprechender Vordruck war dem Schreiben beigefügt.

Keine unzulässige Ausladung

Das Landgericht sieht darin, anders als der in erster Instanz unterlegene Kläger, keine unzulässige Ausladung. Es sei nicht zu beanstanden, wenn der Verwalter Vertretungsmöglichkeiten aktiv bewirbt. Auch aus den weiteren Umständen des Einzelfalles ergebe sich kein Beschlussmangel. Die Formulierung, es sei aufgrund der aktuellen Lage nicht möglich, Versammlungen durchzuführen, dürfe nicht isoliert betrachtet werden, sondern müsse im Kontext des Einladungsschreibens insgesamt gesehen werden. Dementsprechend könne sie nicht so verstanden werden, dass jegliche persönliche Teilnahme von vornherein unmöglich beziehungsweise ausgeschlossen sein sollte. Der Verwalter habe auf die pandemiebedingten Einschränkungen und die Gesundheit aller Beteiligten Rücksicht zu nehmen. Ihm könne daher nicht vorgeworfen werden, wenn er dem gerecht wird, indem er aktiv für die Bevollmächtigungsoption wirbt.

Der rechtliche Kontext

Interessant ist die Entscheidung auch, weil sie sich mit der bisher ergangenen einschlägigen Rechtsprechung beschäftigt, ohne die Besonderheiten des zu entscheidenden Falles zu vernachlässigen. Unzulässig wäre gewesen, die Eigentümer aufzufordern, auf keinen Fall persönlich zu erscheinen (AG Lemgo, Urteil vom 24. August 2020 – 16 C 10/20). Denn das wäre eine „Ausladung“ gewesen. Die Rechtsprechung lässt dabei durchaus Gespür für die Bedürfnisse der Praxis erkennen: In Zeiten der Corona-Pandemie, in denen der Verwalter bei der Auswahl des Versammlungsorts die Abstandsgebote und Hygienevorschriften einzuhalten hat, ist es ein sachgerechtes Ermessenskriterium, sich bei der Auswahl des Versammlungsorts an der zu erwartenden Teilnehmerzahl zu orientieren und dabei Vertretungsmöglichkeiten aktiv zu bewerben (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 17. Dezember 2020 – 2-13 S 108/20). Eine Einladung, in der die Empfehlung ausgesprochen wird, nicht persönlich zu erscheinen, sondern eine Vollmacht zu erteilen, ist rechtlich gesehen unbedenklich, weil es den Eigentümern unbenommen bleibt, sich anders zu entscheiden und dieser Empfehlung nicht zu folgen (AG Marburg, Urteil vom 4. Mai 2021 – 9 C 750/20).

Gartenlaube reicht nicht aus

Zu Recht weist das Landgericht Lüneburg zudem darauf hin, dass auch die Größe des Versammlungsortes — das ist der Ort, an dem die Versammlung abgehalten wird — eine Rolle spielen kann. Natürlich besteht insoweit eine Beziehung zur Größe der Gemeinschaft und der zu erwartenden Teilnehmerzahl. Selbst bei einer äußerst geringen Teilnahmequote ist eine sieben bis acht Quadratmeter große Gartenlaube in keinem Fall ausreichend, um die Abstandregelungen zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass allgemein ein Anspruch auf Absage einer Versammlung besteht, wenn die pandemische Lage derart kritisch ist, dass nahezu das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen kommt.
 

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Eule

Schlussfolgerungen für die Verwalterpraxis

Aktuell werden vielerorts Lockerungen in Kraft gesetzt oder zumindest vorbereitet. Es gibt aber auch bereits Stimmen, die für den nächsten Herbst mit einer weiteren Infektionswelle rechnen. Eine besonnene und sorgfältig handelnde Verwaltung wird das Thema deshalb im Blick behalten. Nach bisheriger Rechtsprechung ist es rechtlich nicht zu missbilligen, wenn ein Verwalter Vertretungsmöglichkeiten bewirbt. Das ist freilich eine Gratwanderung, weil dabei keinesfalls der Eindruck entstehen darf, dass eine Teilnahme unerwünscht oder sogar unmöglich ist. Die Empfehlung, Vollmachten — gegebenenfalls unter Berücksichtigung von konkreten Weisungen im Einzelfall — zu erteilen, hält einer gerichtlichen Überprüfung bislang stand. Höchstrichterlich abgesichert ist das aber nicht.

Teilnahme ohne Anwesenheit

Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) bietet nach der Novellierung durch das WEMoG zwei Instrumente, die in diesem Zusammenhang interessant sein können. § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG gibt den Wohnungseigentümern die Möglichkeit zu beschließen, dass Eigentümer an
einer Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und ihre Rechte im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können. Das ist die sogenannte Online-Versammlung. Sie bedarf jedoch eines vorherigen Beschlusses, der die Einzelheiten der Versammlung und ihrer Durchführung regelt. Zudem gibt es immer noch einen physischen Veranstaltungsort.

Alternative: Umlaufbeschluss

Auch der Umlaufbeschluss kommt nach der Novellierung des Gesetzes als Alternative grundsätzlich in Betracht. Zu beachten ist hier aber vor allem zweierlei, nämlich dass einerseits auch insoweit eine vorherige Beschlussfassung erforderlich ist, wenn Stimmenmehrheit ausreichen soll (§ 23 Abs. 3 Satz 2 WEG), und andererseits, dass dies stets nur für einen einzelnen Beschlussgegenstand gilt. Der vereinfachte Umlaufbeschluss hat also von daher eine limitierte Reichweite. Für den schon bislang bekannten Umlaufbeschluss, dem
alle Wohnungseigentümer zustimmen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 WEG), gilt diese Beschränkung nicht. Für beide Arten des Umlaufbeschlusses hat der Gesetzgeber eine Erleichterung geschaffen, weil insoweit nur noch Textform erforderlich ist.

 

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