Visionen für Berlin — Bionisches Kanalsystem lässt Wohnhochhaus leben

19. Juni 2018


Wie in allen großen Metropolen in Deutschland wird auch in Berlin über neue Hochhaus-Pläne diskutiert. Das Architekturbüro HKA – Hastrich Keuthage Architekten sorgt jetzt mit einem Bebauungskonzept für ein 37-stöckiges Wohnhochhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zum Potsdamer Platz für großes Aufsehen.

Interview von Heiko Senebald

Das Konzept mit dem Namen „Hohes Wohnen am Reichpietschufer“ ist schlüssig, die Vision gar nicht weit entfernt. Ohne die Entscheidung durch den Senat vorwegnehmen zu wollen, gehen die Entwurfsverfasser davon aus, dass es sich anbietet, das Grundstück in den Hochhausentwicklungsplan die Stadt Berlin aufzunehmen. Dann könnte bereits 2020 Baubeginn sein.

Der Ideengeber Wolfgang Keuthage vom Architektenbüro HKA ist überzeugt: Aus städtebaulicher Sicht ist das Konzept klar durchdacht und sinnvoll. „Wir haben den Potsdamer Platz gewählt, da an der gewählten Stelle tatsächlich ein Hochhaus fehlt, um das Gesamtkonzept Potsdamer Platz und Kulturforum abzurunden“, sagt Keuthage. Beides würde durch das Hochhaus wie ein Dreieck verbunden und so bis zum Reichpietschufer erweitert werden. Der Potsdamer Platz würde mit seinen Torhäusern von Helmut Jahn, Renzo Piano und Hans Kollhoff im Osten und dem Eckturm von Renzo Piano im Süden, durch diesen neuen Eckturm in Verlängerung der Staatsbibliothek im Westen gefasst — das „magische“ Dreieck würde, sozusagen, geschlossen werden. Das Gute: Am Potsdamer Platz ist schon ein Mix aus Büroflächen und Wohnungen geplant und gebaut. Zusätzliche Wohnungen am Übergang zu den Wohnungsquartieren in Schöneberg passen da also gut ins Konzept. „Das Wohnhochhaus würde der Durchmischung am Potsdamer Platz und dem ganzen Quartier gut tun“, so der Architekt.
Keuthage hat sich bereits mit architektonisch bemerkenswerten Berliner Gebäuden wie der Galerie Lafayette in der Friedrichstraße von Jean Nouvel und dem Velodrom an der Landsberger Allee von Dominique Perrault als Projektleiter eingebracht. Die Partner haben Architektur von der Pieke auf gelernt. Der Münsteraner Architekt arbeitet seit 2006 in der Partnerschaft mit Gunther Hastrich als HKA-Architekten. Auch die internationale Erfahrung mit Studium in Stuttgart, Berlin und Kapstadt sowie Projekten in Deutschland, China, Nordkorea und Südkorea sind umfangreich. Das Büro HKA-Architekten steht heute für moderne, zeitlose und innovative Qualitäts-Architektur, die durch eine besondere Liebe zum Detail auffällt. Die aktuellen Projekte im Wohnungsbau heben sich angenehm vom oft üblichen Bauträgerstil ab und so erweist sich das Büro Hastrich Keuthage Architekten mit belastbaren und stadtbewährten Referenzen für die Aufgabe bestens qualifiziert.

Das neue Hochhaus ist mit 37 Stockwerken, 120 Metern Höhe und mit etwa 220 Wohnungen geplant. Vorgesehen sind überwiegend neun Wohnungen je Etage. Zusammen mit einer Bruttogeschossfläche von ca. 1.000 Quadratmetern je Etage sind die Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Hochhaus zum Wohnen gegeben. Damit haben die Wohnungen eine Größe, die derzeit stark nachgefragt sind. Die Erschließung auf der Etage erlaubt bei Bedarf auch einen anderen Wohnungsschlüssel. Zimmer in den Wohnungen können individuell angeordnet werden. So entstehen Zwei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen. Die Ausstattung der Wohnungen entspricht bewusst einem durchschnittlichen Standard. So gibt es Parkettboden, eine Fußbodenheizung, gespachtelte Wände und bodentiefe Fenster. Die Küchen sind vorzugweise in den Wohnraum integriert. In den vier untersten Etagen befinden sich Gemeinschaftseinrichtungen, die von den Bewohnern und der Nachbarschaft genutzt werden können. Dazu gehören Konferenzräume, Begegnungsstätten, Gemeinschaftsräume und ein Café im Erdgeschoss.

Aufgrund der zentralen Lage, der Größe der Wohnungen, deren flexibler Aufteilung und der angebotenen Ausstattung könnte es insbesondere auch für alteingesessene  Berliner eine interessante Wohnimmobilie sein. Alleine durch die Anzahl an Wohneinheiten auf einer relativ kleinen Grundstücksfläche würde dieses Hochhaus bei Realisierung zur Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt beitragen. Umzüge in diese attraktive neue Lage unterstützten das, da so andere Wohnungen frei würden.

Die Erschließung würde über das Reichpietschufer erfolgen. Über die Anliegerstraße entlang des Piano-Sees, der zwischen dem alten und dem neuen Eckturm liegt, gibt es eine direkte Verbindung zum Zentrum des Potsdamer Platzes. „Dieser Weg würde für Fußgänger und Besucher der benachbarten Nationalgalerie bedeutend angenehmer sein, als entlang der Potsdamer Straße mit ihrem dröhnenden hohen Verkaufsaufkommen“, so Keuthage.

Das Besondere an dem Wohnhochhaus ist seine eigenwillige Architektur. Die fünfeckigen Flächen sind von Stockwerk zu Stockwerk verschoben. Die Faltung wird durch die Brüstungen mit ihrer veränderlichen Höhe in der Perspektive noch optisch verstärkt. Wo die massive Brüstung weniger hoch ist, wird sie durch transparente Brüstungsteile ergänzt. „Durch ein technisch einfaches Verlagern der auskragenden Flächen entsteht eine ansprechende Strukturierung, die das Hochhaus markant macht“, sagt der Architekt. Außerdem werden alle Wohnungen durch diesen strukturierenden Effekt extrem gut belichtet. Alle haben Balkone und bodentiefe Fenster, die beste Ausblicke eröffnen. „Natürlich haben wir den Entwurf selbst auf den Ort bezogen. Das Grundstück führte in der Entwurfsphase schnell zu einem Vieleck, Solitär, am Ende war es das Fünfeck.  Und das half uns dann bei der Entwicklung der Fassade. Wie bei einigen unserer vorherigen Projekte, ist es der Einsatz flacher Winkel, die den Entwurf markant machen. Den Umgang mit diesem Gestaltungs- und Konstruktionselement haben wir bei zahlreichen Projekten entwickelt“, erklärt Keuthage.

Neben den städtebaulichen und architektonischen Aspekten spielt das Thema Nachhaltigkeit für den Architekten eine große Rolle. „Ein Hochhaus hat eine relativ kleine Hüllfläche. Gleichzeitig ist es selbst im Winter gut besonnt. Beides zusammen sind gute Voraussetzungen, um energieeffizient zu sein. Auch unter dem Aspekt der Flächenökonomie gehören sie zu den nachhaltigsten Gebäudearten, da mit minimalem Grundflächenbedarf ein Maximum an Wohnraum geschaffen wird“, sagt Keuthage.

Das Architektenbüro HKA hat Kontakt mit dem Frauenhofer Institut für Solare Energiesysteme aufgenommen. Die Berliner Architekten haben in Abstimmung mit den Forschern vom Frauenhofer Institut die Anwendung von durchströmbaren Bauteilen aus Ultrahochleistungsbeton geplant. Diese wurden ursprünglich im Rahmen des Forschungsprojektes Tabsolar II entwickelt. „Dabei handelt es sich um ein bionisches Kanalsystem, dass sich der Geometrie der Balkonbrüstungen anpasst und sich wie Adern auf diesen deutlich abzeichnet. Die Durchströmung und damit auch die Energiegewinnung wird sichtbar, zum visuellen Element. Jeder kann quasi spüren, wie das Hochhaus lebt“, erklärt Keuthage. Mit diesem System und einer exponierten Lage zur Sonne, sei es aus Sicht des Architekten denkbar, dass das Wohnhochhaus den Status als Passivhaus erreicht. Ob das so ist, wird zur Zeit geprüft.

Mit diesem ambitionierten Bebauungskonzept mischen sich die Architekten bewusst in die Hochhausdiskussionen in der Hauptstadt ein. Der Berliner Senat hat sich selbst zur Aufgabe gemacht, neue Standorte für mögliche Hochhausprojekte zu benennen. „Wir wollen uns aktiv daran beteiligen und sinnvolle Vorschläge unterbreiten“, sagt Keuthage.

Sein Bebauungskonzept zumindest stößt jetzt schon auf positive Resonanz. „Nach einer ersten Veröffentlichung im Berliner Tagesspiegel melden sich viel Leser, sind begeistert vom Standort, sprechen von innovativer Gestaltung und würden eine zügige Umsetzung begrüßen. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich eher als Anerkennung für die Projektidee und die Architektur zu verstehen. Es freut einen aber dennoch“, so der Architekt.