Von Fäusten, Schlössern und Bienen

1. November 2022


„Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“ Wenn es darum geht, vermeintliche oder wirkliche Rechte durchzusetzen, ging wohl schon manchem dieser Satz aus Goethes Erlkönig durch den Kopf (wenn auch vielleicht in einer weniger literarischen Formulierung) — Nur: Wann darf man selbst Gewalt „gebrauchen“ und wann „braucht“ man die Staatsgewalt?

Von Johannes Hofele

Grundsätzlich gilt: Es gibt kein Faustrecht. Der Schutz und die Durchsetzung von Rechten ist Sache des Staates, das heißt, seiner Organe.

Selbsthilferecht als Ausnahme

„Jedermann-Selbsthilferechte“ gibt es, das sind aber ganz spezielle Fälle. Ein Geschädigter kann vom Schädiger verlangen, dass der zur eventuellen gerichtlichen Klärung des Schadensersatzanspruches seine Personalien bekannt gibt. Zur Sicherung dieses Anspruchs steht dem Geschädigten nach § 229 BGB ein Selbsthilferecht zu. Die Regelung gibt dem Geschädigten ein Festnahmerecht, aber nur, wenn die Gefahr besteht, dass sich der Schädiger der Feststellung seiner Personalien durch Flucht entziehen will und „obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist“. (Nur) unter diesen Voraussetzungen darf der Geschädigte dem Schädiger auch eine Sache wegnehmen, um seinen Anspruch zu sichern. Sofort danach muss man aber bei Gericht einen dinglichen Arrest beantragen, das regelt gleich der folgende Paragraf (§ 230 BGB).

Vermieterpfandrecht

Es gibt auch einige Sonderregeln, die etwas weniger eng sind: Am bekanntesten dürfte wohl das so genannte Vermieterpfandrecht sein, das dem Vermieter unter anderem erlaubt, den
Mieter, der gerade trotz erheblicher Mietrückstände ausziehen will, daran zu hindern, seine Sachen aus der Wohnung zu tragen. Aber auch hier ist zu beachten, dass dies nur geht, so lange die Entfernung der Sachen andauert und körperliche Gewalt in sehr engen Grenzen angewandt wird.

Enge Grenzen

Selbsthilferechte dienen der vorläufigen Sicherung beziehungsweise Durchsetzung von Rechten, nicht der endgültigen Klärung — denn diese bleibt den entsprechenden gerichtlichen Verfahren vorbehalten. Und deshalb ist dieses Vorgehen nicht risikolos: Irrt man sich darüber, ob die Voraussetzungen für das Selbsthilferecht vorliegen, macht man sich schadensersatzpflichtig — und zwar auch, wenn man für seinen Irrtum „nichts kann“ (§ 231 BGB). Unter Umständen muss man auch mit einer Anzeige wegen Nötigung rechnen. Und wenn die Fäuste geflogen sind, auch mit Schlimmerem.

Sie schlagen ab — wir schlagen zu? Eher nicht

Hat man einen Anspruch, zum Beispiel auf Herausgabe einer Sache, muss man ihn durch Anrufung eines Gerichts durchsetzen. Auch wenn man ein Urteil erstritten hat, darf man es nicht selbst vollstrecken, sondern muss auch für die Vollstreckung gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, etwa den Gerichtsvollzieher. Die freundlichen Herren, die vor einiger Zeit mit einem Bild vom Abschlag eines Golfplatzes für ihre Tätigkeiten als Inkassobüro warben, sollte man also eher nicht engagieren.

Besitzer haben Rechte —Mieter noch mehr

Dem rechtmäßigen Besitzer einer Sache räumt das Gesetz ein Selbsthilferecht ein, wenn ihm die Sache, die er besitzt, gegen seinen Willen weggenommen oder er in seinem Besitz gestört wird: Wer ein Buch für eine bestimmte Zeit verleiht, sich dann aber anders besinnt und es wiederhaben möchte, darf es sich nicht einfach selber holen, das wäre eine sogenannte verbotene Eigenmacht: Er mag zwar Eigentümer sein, der andere ist aber Besitzer. Und als solcher hat er das Recht, sich gegen die Wegnahme zu wehren. Bei der Leihe ist es noch relativ einfach, weil der Verleiher die Sache jederzeit zurückfordern kann. Damit ist das Besitzrecht des Entleihers erloschen. Bei der Miete ist das aber nicht so einfach:

Schlösser austauschen ist nicht

Trotz glasklarer Kündigungsgründe und Wirksamkeit der Kündigung darf ein Vermieter die Schlösser nicht austauschen. Sogar wenn der Mieter dann seinerseits das neue Schloss aufbricht und sich Zutritt verschafft, hat er Anspruch gegen den Vermieter auf Wiedereinräumung des Besitzes. Die entsprechende einstweilige Verfügung des Mieters wird Erfolg haben! Und es lauern auch noch andere Fallen, wie folgender Vermieter erleben musste:

Weil seine bisherigen Mieter B und C nicht zahlen, kündigt V und vermietet sofort weiter an N. Am Tag nach Zugang der Kündigung wechselt Mieter B das Schloss aus. C will die Sache aber zurückgeben und lässt am Tag der Übergabe an N die Tür öffnen und das Schloss wiederum austauschen. Mieter B beantragt eine einstweilige Verfügung gegen V. Er bekommt recht! Pech für den Vermieter: Wenn nur einer der Mieter die Sache zurückgibt, kann dies in bestimmten Fällen bedeuten, dass der andere Mieter die Wieder-Herausgabe verlangen kann.

Blümchen und Bienen

Wir haben ja schon in den vorherigen Beiträgen — etwa dem Astsägemassaker Fall — gesehen, dass es bei Grundstücksnachbarn unzählige Streitigkeiten gibt: Doch ein klares Selbsthilferecht gibt es lediglich dazu, herüberwachsende Wurzeln abzuschneiden — aber schon, wenn Blümchen oder Äste herüberwachsen, muss dem Nachbarn zuerst eine Frist gesetzt werden. In allen anderen Fällen sollte man daher mit eigenmächtigen Aktionen gegenüber dem Nachbarn sehr vorsichtig sein.

Ein besonderer Fall der Selbsthilfe ist aber in § 962 BGB geregelt: Der Eigentümer eines Bienenschwarms hat das Recht, bei der Verfolgung seines Schwarmes ein fremdes Grundstück zu betreten. Diese Regelung soll ins Gesetz aufgenommen worden sein, weil einer der Väter des BGB Hobby-Imker war.

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