Was ist eigentlich Nachhaltigkeit?

14. Juli 2022


Auch wenn man es nicht mehr hören kann — was ist eigentlich (mit) Nachhaltigkeit? Auf diese Frage gibt es nicht nur eine Antwort. Wir beschäftigen uns neben den ökologischen und sozialen Aspekten insbesondere mit der Drittverwendungsfähigkeit von Immobilien in Verbindung mit nutzerneutralen Konzepten aus der Perspektive und mit der Erfahrung eines Gewerbe-Immobilienmaklers.

Von Jeanette Kuhnert

Nachhaltigkeit“ ist seit Jahren in aller Munde, in jedem Lebens- und Wirtschaftsbereich. Als Berater beschäftigen wir uns laufend damit, was das Wort „Nachhaltigkeit“ für uns bedeutet. Die einen setzen es gleich mit Innovation, Technik, Digitalisierung und Automatisierung. Die anderen mit Qualität und Langlebigkeit und wieder andere beschäftigen sich mit Nachhaltigkeit aus der ökologischen Perspektive, Stichwort „ökologischer Fußabdruck“.

Nachhaltigkeit versus Nutzerbedürfnisse?

Die Schwierigkeit, der wir im Immobiliensektor begegnen — und damit sind wir sicherlich nicht allein — ist, wie wir all diese unterschiedlichen Ansätze vereinen können, während wir angehalten sind, ein für Eigentümer und Mieter zukünftig wirtschaftlich nutzbares Produkt herzustellen. Denn auch das fällt unter „Nachhaltigkeit“. Was nützt uns eine inno vative, digitale, grüne Immobilie, wenn sie vollkommen an den Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer vorbeigeplant ist?

Die Langlebigkeit von Immobilien

Bei all den genannten Stichworten könnten wir ein ganzes Buch über Nachhaltigkeit schreiben, wollen uns aber auf das aus unserer Perspektive mit derImmobilie am ehesten verbundene konzentrieren. Die Langlebigkeit. Immobilien sind Lebens- und Arbeitsraum, aber auch ein Wirtschaftsgut mit nahezu der längsten Gesamtnutzungsdauer überhaupt Während Logistikimmobilien circa 30 Jahre genutzt werden, fallen Büroimmobilien mit circa 70-80 Jahren und Mehrfamilienhäuser mit 100 Jahren oder mehr ins Gewicht.

Die Immobilienwirtschaft bemüht sich größtenteils um solide, anpassungsfähige Bauweisen mit einer hohen Drittverwendungsfähigkeit. Unter Drittverwendungsfähigkeit verstehen wir die Qualität einer Immobilie, die für einen bestimmten Nutzer gebaut wurde, nach Auszug des Nutzers für einen anderen oder mehrere andere Mieter durch geringfügige bauliche Anpassungen nutzbar zu sein.

Drittverwendungsmöglichkeit

So baut sich beispielsweise ein größeres Unternehmen eine Firmenzentrale mit ca. 10.000 Quadratmetern Bürofläche. Nach zehn Jahren ist das Unternehmen gewachsen oder geschrumpft, das Gebäude wird verkauft und der neue Eigentümer macht sich auf die Suche nach neuen Mietern. Das A und O sind jetzt die Haustechnik und der Brandschutz, die vorgeben, wie kleinteilig das Gebäude zukünftig aufgeteilt werden könnte, um zum Beispiel auf einer Etage drei unterschiedliche, kleinere Unternehmen unterzubringen. Das bedeutet drei mal neue Sanitäranlagen, Küchen und Ähnliches sowie drei mal Flucht- und Rettungswegplanung, Notausgänge, Anleiterbarkeit und vieles mehr.

Die Kosten für die Nutzbarmachung solcher Immobilien liegen schnell bei über 500 Euro pro Quadratmeter Fläche, Tendenz steigend. Gerechnet über zehn Jahre entspricht das Investitionskosten von ca. 4,15 Euro pro Quadratmeter. Die Erfahrung zeigt: die wenigsten Vermieter oder Mieter haben die finanzielle Kraft, diese Investition zusätzlich zu den stetig steigenden Miet-und Nebenkostenpreisen zu stemmen. Eine Umnutzung eines Bürogebäudes zu Wohnraum beispielsweise schlägt neben den Unwägbarkeiten des Baurechts mit circa 1.500 Euro pro Quadratmeter — Tendenz steigend — zu buche.

„Es kommt darauf an“

Die Drittverwendungsfähigkeit wird aktuell im Bau herausgefordert von der Nutzerneutralität, also dem Bestreben danach, eine Fläche schon im Bau mit Vorrichtungen für unterschiedliche Betriebszwecke auszustatten, um spätere Nutzungsänderungen möglich zu machen. Und wenn wir uns jetzt fragen, was besser ist, nehmen wir die Juristen-Antwort: es kommt darauf an.

Hier gibt es unserer Meinung nach kein konkretes Entweder-Oder, jede Immobilie, jeder Standort und jede Nutzung erfordert individuelle Gedanken und Ansätze. Bei der ganzheitlichen Betrachtung einer Immobilie steht die Drittverwendung im Fokus, allerdings eher innerhalb einer Immobilienart. Eine Büroimmobilie hat in Bezug auf Achsmaße, Etagentiefen et cetera andere Erfordernisse als zum Beispiel eine reine Wohnimmobilie. An der Büronutzung muss sich also nicht zwingend etwas ändern, aber wie drittverwendungsfähig ist die innere Struktur — also die Etagen- und Mietflächenaufteilung (zwei oder drei Einheiten pro Etage, die zusammengelegt werden können und Großraum- versus Einzelbüros)?

Nutzerneutralität, im zuvor beschriebenen Sinne, empfehlen wir unseren Kunden für die Erdgeschossflächen in größeren Büro- oder Wohngebäuden. Hier besteht regelmäßig der Wunsch, dass sich im Erdgeschoss Geschäfte des täglichen Bedarfs ansiedeln, die zu einer Belebung des Standortes beitragen und die Nutzer des Hauses bereichern.

Bereichern — aber wie?

Nun fragen Sie sich einmal, was Sie darunter verstehen. Es kommen die unterschiedlichsten Branchen mit diversifizierten Anforderungen an Belichtung, Flächenzuschnitt und -Aufteilung, Frischluftzufuhr und Fettabluft, Außenflächen und Stellplätze für PKWs und Fahrräder in Frage. Noch kleinteiliger gedacht: benötigt eine Nutzung zum Beispiel zwei oder vier Sanitäranlagen (Gäste und Kunden getrennt?) oder gar Duschen oder ein barrierefrei zugängliches WC und können diese nachträglich gegebenenfalls noch eingebaut werden? Hat ein zukünftiger Gastronomie-Interessent die Möglichkeit, eine Abluftanlage und einen Fettabscheider nach seinen Bedürfnissen einzubauen? Ist der Estrich in einer Höhe eingebracht, die auch Fliesenbelag erlaubt oder muss er erst wieder abgeschliffen werden? Ist die Flächengröße auskömmlich für Einzelhandelskonzepte und der Zuschnitt einer Regalierung zuträglich?

Bei all diesen Gedanken ist eine möglichst frühzeitige Beratung nötig, um das Beste aus den Flächenkonzepten zu holen. Nicht immer können alle Belange berücksichtigt werden, aber dann ist von vornherein klar, dass eine Nutzungsart ausscheiden wird.

Keine strikte Unterteilung mehr

Insbesondere während der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass sich Nutzungsarten nicht mehr wie früher recht strikt unterteilen lassen. Der Fahrradhändler bietet eine Barista-Lounge mit an, im Feinkost-Geschäft finden Wein-Tastings statt und die Terrasse vor dem Fitness-
studio lädt zum Verweilen ein. Bieten die Immobilieneigentümer durch das Bewusstsein über Drittverwendungsfähigkeit und Nutzerneutralität ihren
Mietern die Möglichkeit, innerhalb ihrer Mietfläche zu atmen und ihre Geschäftsmodelle an die heutige Zeit anzupassen, ist das ein großer Beitrag zur langfristigen Nutzbarkeit und damit Nachhaltigkeit von Immobilien.

Bildnachweis: Jeanette Kuhnert