Welche Digitalisierungschancen hat die Immobilienbranche?

26. Januar 2021


Die aus der Corona-Pandemie resultierenden Kontakteinschränkungen haben zu einem unerwarteten Digitalisierungsschub in allen wirtschaftlichen Bereichen geführt – und natürlich auch die gewohnten Abläufe und Prozesse in der Immobilienbranche erheblich durcheinander gewirbelt. Diese Veränderungen sind nach Meinung des Immobilienunternehmers und Buchautors Thomas Knedel „gekommen, um zu bleiben“. In seinem Gastbeitrag sondiert er die Chancen der Immo-Branche, sich digital neu zu erfinden – und langfristig enorm von der digitalen Transformation zu profitieren.

Von Thomas Knedel

Unabhängig davon, ob Sie in der Immo-Branche als Makler, Verwalter oder Investor arbeiten — Sie stimmen aller Wahrscheinlichkeit nach mit mir überein, wenn ich unseren Geschäftsschwerpunkt als typisches „People Business“ bezeichne. Nichtsdestotrotz mussten wir uns alle in den letzten Monaten mit überwiegend indirekten persönlichen Begegnungen zufrieden geben — und viele gewohnte analoge Tätigkeiten rein virtuell beziehungsweise digital durchführen. Nun stellt sich die Frage, ob uns diese Verlagerung grundsätzlich schadet — und ob sie nach Überwindung der gesundheitlichen Bedrohung durch das Covid-19-Virus wieder rückgängig gemacht werden sollte — und kann.

Beide Fragen möchte ich mit einem klaren „Nein!“ beantworten. „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert!“ stellte bereits 2009 Carly Fiorina fest, die damalige Chefin des Weltkonzerns Hewlett Packard. Und so hat es sich seitdem auch zugetragen — Branche um Branche um Branche.

Dementsprechend muss ich allen Fans der „guten alten Zeit“ in der Immo-Branche die entsprechende Hoffnung endgültig nehmen. Erfreulicherweise wird uns die Digitalisierung aber auch in keinster Weise schaden, vielmehr erwachsen den Akteuren der Immobilienwirtschaft zahlreiche Chancen — wenn zuversichtlich und kreativ vorgegangen wird. Die Vorteile betreffen sowohl die Standard-Prozesse als auch die Beratungsqualität. Lassen Sie mich aber erst einmal unseren größten Trumpf aus dem Ärmel ziehen und betrachten:

Wir arbeiten schon immer in einem virtuellen Business

Tatsächlich dreht sich der allergrößte Teil unserer Vermittlungs-, Verkaufs-, Vermiet- und Kauf-Prozesse und -Transaktionen um rein virtuelle Besitzer- und Nutzerwechsel. Wir stehen nicht vor der Herausforderung, Rohstoffe oder Artikel ressourcenintensiv herzustellen oder Waren von A nach B zu transportieren. Insofern entfällt im Vergleich mit zahlreichen anderen Wirtschaftszweigen ein enormer Berg an analogen Tätigkeiten.

Nichtsdestotrotz nimmt der Aufbau persönlicher und vertrauensvoller Beziehungen zu Geschäftspartnern und Kunden regelmäßig einen erheblichen Anteil unserer täglich verfügbaren Zeit in Anspruch. Daher standen wir eigentlich schon immer in der Pflicht, mit unseren Ressourcen sorgfältig und effektiv umzugehen. Die Digitalisierung versetzt uns nun in die Lage, einerseits Intensität und Qualität unserer Beratung mindestens aufrechtzuerhalten und idealerweise zu erhöhen — und andererseits ungeliebte Routinetätigkeiten weitestgehend zu automatisieren.

Gleichzeitig erlauben uns innovative Tools pfiffiger Start-up-Gründer, unseren Kunden zusätzlichen Mehrwert zu bieten und unsere Kommunikationskanäle auf die Erwartungen der hochgradig internetaffinen Generationen einzustellen, die aktuell und zukünftig unsere Dienste nachfragen.

Routineaufgaben digitalisieren, Premium-Services intensivieren

Der „Trick“ besteht aus meiner Sicht darin, nüchtern und melancholiefrei sowohl unser normales Tagesgeschäft als auch die Ausnahmen dahingehend zu betrachten, was ins „Körbchen“ und was ins „Kröpfchen“ gehört. Sich ständig wiederholende Standardaufgaben erhalten das Label „Automatisieren“. Anspruchsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeiten, die unser gesamtes Know-how, unsere langjährige Erfahrung und unser mühevoll aufgebautes Kontaktnetzwerk hingegen intensiv beanspruchen, kategorisieren wir mit „Fokussieren“.

Nach dieser eingehenden Analyse und der anschließenden Strukturierung sehen wir uns auf den einschlägigen Portalen um, welche App, welche SaaS (Software as a Service) oder welches Outsourcing-Angebot für uns infrage kommt, um unsere Terminkalender (und die ToDo-Listen unser qualifizierten Mitarbeiter) von den ressourcenintensiven Standard-Prozeduren zu befreien. Haben wir adäquate Optionen gefunden, konzentrieren wir uns (und unser Team) auf die Betreuung von Premium-Kunden und Personen, die wir noch nicht restlos von unserer Kompetenz überzeugen konnten. Parallel verbreitern wir die Anzahl der Kommunikationskanäle und das Angebot an Mehrwerten.

Self-Service für Interessenten anbieten

Wir wissen: Potentielle Käufer und Mieter haben sich in der Regel bereits umfassend „aufgeschlaut“, bevor sie mit Maklern Kontakt aufnehmen. Dieser Trend wird sich noch weiter ausprägen, wenn ab dem 23.12.2020 die Maklercourtage hälftig zwischen Käufer und Verkäufer geteilt wird.

Konsequenterweise könnten dann direkt wesentliche Bestandteile der Vorqualifizierung von den Interessenten mitübernommen werden. Die gut trainierte „Maklernase“, die Besichtigungstouristen direkt im Vorwege erkennt, wird dennoch weiterhin zum Einsatz kommen — bis auf Weiteres wohl über Live-Videokonferenzen. Virtuelle 3D-Besichtigungen bieten etliche Vorteile, auf die man auch nach Corona nicht mehr verzichten will.

Wer sich eine eigene Makler-App zulegen möchte, kann mittlerweile auf zahlreiche modulare Lösungen zurückgreifen und deren Funktionsumfang individuell auf die Zielgruppe abstimmen. Die Schlüsselübergabe erfolgt dann als hochsichere Übertragung des Haustür-Codes aufs Smartphone, mit den ersten Schritten im neuen Zuhause werden direkt sämtliche Zählerstände an die Versorger übermittelt, die Wahl des neuen Internet-Providers fällt besonders leicht, weil die besten Tarife bereits auf das Dashboard der Makler-App gespielt wurden. Wenn dann auch noch die Notare mitspielen und Verträge komplett digital authentifiziert werden können, steht der Immobilienwirtschaft 2.0 nichts mehr im Wege.