Auch Städte mit viel Industrie wachsen. Oft müssen aber Abstandsflächen zwischen Wohnen und Gewerbe eingehalten werden, vor allem wenn die Betriebe giftige Stoffe lagern und verarbeiten. Gleichzeitig gibt es immer mehr technische und bauliche Lösungen, die eine Wohnbebauung ermöglichen. Kommunale Richtlinien sorgen dafür, dass Entwickler und Bauträger Planungssicherheit haben.
Von Susanne Trösser
Produzierendes Gewerbe und Wohnbebauung sind sich selten grün. Viele Menschen wollen nicht auf Fabrikschlote schauen. Zahlreiche Betriebsführer haben Angst, dass ihnen eine heranrückende Wohnbebauung einer künftigen Expansion im Weg steht. Sie befürchten dann Widerstände ihrer neuen Nachbarn.
Andererseits liegen ihre Flächen oft in nachgefragten, zentralen Lagen. Denn viele Unternehmen, die vor über hundert Jahren am damaligen Stadtrand entstanden, liegen wegen des Städtewachstums mittlerweile zentral und sind gut mit Straßen und ÖPNV angebunden. Damit geraten sie in den Fokus der Kommunen und Wohnungsentwickler. Das Bundesbauministerium kam dem entgegen und schuf vor wenigen Jahren das „Urbane Gebiet“. Es vereinfacht Wohnen und Gewerbe in einem Gebiet sowie mehr Dichte. Letztlich hat sich auch die Bautechnik verbessert: Mit dreifach-verglasten Fenstern oder Doppelfassaden gelangt kaum Lärm von draußen in Wohn- und Büroräume.
Komplizierter wird es bei Betrieben wie Chemieunternehmen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten. Da es hierbei keine bundesweit einheitlichen Vorschriften gibt, haben zum Beispiel Frankfurt am Main und Leverkusen eigene Konzepte entwickelt. Sie geben der städtebaulichen Entwicklung eine Zukunft und Entwicklern Planungssicherheit. In Leverkusen wird beispielsweise in zwei Bereichen des Stadtgebiets mit giftigen beziehungsweise explosiven Gefahrenstoffen gearbeitet: im Industriegebiet Chempark sowie bei der Firma Dynamit Nobel. Der Leverkusener Stadtrat verabschiedete 2015 ein städtebauliches Konzept, das diese besonderen Schutzanforderungen einschließt (Seveso II) und zusammen mit dem TÜV-Rheinland entwickelt wurde. Hierfür wurden rund um die Betriebe Planungszonen ausgewiesen, die sich am Abstand zu den Fabriken orientieren. Im direkten Umfeld ist keine größere Neubebauung erlaubt. Weiter weg sind beispielsweise Bürogebäude möglich, sofern diese bestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa dass sie kaum Publikumsverkehr haben und sich die Lüftungen der Räume automatisch ausschalten, sobald es in der Nachbarschaft zu einem Störfall kommt. Damit soll verhindert werden, dass bei einem Unfall mit toxischen Stoffen diese in die Räume eingesaugt werden. Liegt der Betreuungsschlüssel bei 1 : 6 (also ein Erzieher betreut sechs Kinder) sind unter Umständen auch Kitas in dem Gebiet realisierbar. Die Kleinen könnten im Fall der Fälle schnell vom Spielplatz in die Kita-Räume gehen.
Bestandsimmobilien dürfen aufgestockt werden, größere Neubaumaßnahmen sind tabu. Historisch bedingt liegen aber auch in der Nähe potenzieller Störfallbetriebe Wohnungen. Diese Bestandsobjekte können gemäß dem Leverkusener Modell nachverdichtet werden, etwa mit Dachaufstockungen. Gegebenenfalls müssen die Bauherren zusätzliche Schutzmaßnahmen realisieren, wie zusätzliche Fluchtwege, Pufferzonen zu den Industrieanlagen wie Mauern oder Gräben. Die Planung neuer und größerer Flächen für schutzbedürftige Nutzungen, also beispielsweise für Wohnungen, Krankenhäuser oder Restaurants, ist hingegen in diesen Bereichen verboten. Liegt das Planungsgebiet weiter weg von den Fabriken, so ist in diesem Bereich das übliche Planungsrecht gültig, ohne dass auf die gewerbliche Nachbarn Rücksicht genommen werden muss.
Auch in Frankfurt am Main hat man für Industrieparks in den Stadtteilen Fechenheim, Griesheim und Höchst Regeln aufgestellt. In diesem Fall schloss die Stadt mit den betroffenen Unternehmen Verträge, dass diese juristisch nicht gegen Wohnungsbau-Maßnahmen vorgehen, die 500 bis 1000 Meter vor ihren Werkstoren entstehen sollen. Gleichzeitig müssen die Betriebe zusätzliche Evakuierungsmaßnahmen erstellen. Die Stadt hofft, auf diese Weise zusätzlich 3.000 Wohnungen errichten zu können.
Aber auch Betriebsgelände ohne gefährliche Stoffe sollten in Anbetracht der neuen Grundlagen Urbaner Gebiete unter die Lupe genommen werden: Oft werden auf großflächigen Firmenarealen nicht mehr alle Hallen und Freiflächen genutzt. Diese könnten abgetrennt und für Wohnungsbau herangezogen werden.
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