Wie Wohnen und Gewerbe näher zusammenrücken

6. August 2019


Auch Städte mit viel Industrie wachsen. Oft müssen aber Abstandsflächen zwischen Wohnen und Gewerbe eingehalten werden, vor allem wenn die Betriebe giftige Stoffe lagern und verarbeiten. Gleichzeitig gibt es immer mehr technische und bauliche Lösungen, die eine Wohnbebauung ermöglichen. Kommunale Richtlinien sorgen dafür, dass Entwickler und Bauträger Planungssicherheit haben.

Von Susanne Trösser

Produzierendes Gewerbe und Wohn­bebauung sind sich selten grün. Viele Men­schen wollen nicht auf Fabrik­­schlote schauen. Zahl­reiche Betriebs­­führer haben Angst, dass ihnen eine heran­­rückende Wohn­­­bebauung einer künf­tigen Expansion im Weg steht. Sie befürchten dann Wider­­­stände ihrer neuen Nach­barn.

Andererseits liegen ihre Flächen oft in nach­­­­ge­­­fragten, zentralen Lagen. Denn viele Unter­­­nehmen, die vor über hundert Jahren am da­­ma­­­ligen Stadt­­rand entstanden, liegen wegen des Städte­­wachstums mittler­weile zentral und sind gut mit Straßen und ÖPNV ange­bunden. Damit geraten sie in den Fokus der Kommunen und Wohnungs­­ent­wickler. Das Bundes­­bau­­ministerium kam dem entgegen und schuf vor wenigen Jahren das „Urbane Gebiet“. Es verein­facht Wohnen und Gewerbe in einem Gebiet sowie mehr Dichte. Letzt­lich hat sich auch die Bau­technik verbessert: Mit dreifach-ver­glasten Fenstern oder Doppel­­fassaden gelangt kaum Lärm von draußen in Wohn- und Büro­räume.

Komplizierter wird es bei Betrieben wie Chemieunternehmen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten. Da es hierbei keine bundesweit einheitlichen Vorschriften gibt, haben zum Beispiel Frankfurt am Main und Leverkusen eigene Konzepte entwickelt. Sie geben der städtebaulichen Entwicklung eine Zukunft und Entwicklern Planungssicherheit. In Leverkusen wird beispielsweise in zwei Bereichen des Stadtgebiets mit giftigen beziehungsweise explosiven Gefahrenstoffen gearbeitet: im Industrie­gebiet Chempark sowie bei der Firma Dynamit Nobel. Der Leverkusener Stadtrat verabschiedete 2015 ein städtebauliches Konzept, das diese besonderen Schutz­anforderungen einschließt (Seveso II) und zusammen mit dem TÜV-Rheinland entwickelt wurde. Hierfür wurden rund um die Betriebe Planungszonen ausgewiesen, die sich am Abstand zu den Fabriken orientieren. Im direkten Umfeld ist keine größere Neubebauung erlaubt. Weiter weg sind beispielsweise Bürogebäude möglich, sofern diese bestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa dass sie kaum Publikums­verkehr haben und sich die Lüftungen der Räume automatisch ausschalten, sobald es in der Nachbarschaft zu einem Störfall kommt. Damit soll verhindert werden, dass bei einem Unfall mit toxischen Stoffen diese in die Räume eingesaugt werden. Liegt der Betreuungsschlüssel bei 1 : 6 (also ein Erzieher betreut sechs Kinder) sind unter Umständen auch Kitas in dem Gebiet realisierbar. Die Kleinen könnten im Fall der Fälle schnell vom Spielplatz in die Kita-Räume gehen.

Bestandsimmobilien dürfen aufgestockt werden, größere Neubaumaßnahmen sind tabu. Historisch bedingt liegen aber auch in der Nähe poten­zieller Stör­fall­betriebe Woh­­nungen. Diese Bestands­­objekte können gemäß dem Leverkusener Modell nach­verdichtet werden, etwa mit Dach­auf­stockungen. Gegebe­nen­­falls müssen die Bau­­herren zusätz­liche Schutz­maß­­nahmen reali­sieren, wie zusätzliche Flucht­wege, Puffer­­zonen zu den Industrie­anlagen wie Mauern oder Gräben. Die Planung neuer und grö­ßerer Flächen für schutz­­be­­dürftige Nutzungen, also beispiels­­­weise für Woh­nungen, Kranken­häuser oder Restau­rants, ist hingegen in diesen Bereichen ver­boten. Liegt das Planungsgebiet weiter weg von den Fabriken, so ist in diesem Bereich das übliche Planungsrecht gültig, ohne dass auf die gewerbliche Nachbarn Rücksicht genommen werden muss.

Auch in Frankfurt am Main hat man für Industrie­parks in den Stadt­teilen Fechenheim, Griesheim und Höchst Regeln auf­­ge­stellt. In diesem Fall schloss die Stadt mit den betrof­­fenen Unter­nehmen Ver­träge, dass diese juris­tisch nicht gegen Wohnungs­bau-­Maß­nahmen vor­gehen, die 500 bis 1000 Meter vor ihren Werks­toren ent­stehen sollen. Gleich­zeitig müssen die Betriebe zusätzliche Evakuierungs­maßnahmen erstellen. Die Stadt hofft, auf diese Weise zusätzlich 3.000 Wohnungen errichten zu können.

Aber auch Betriebsgelände ohne gefähr­liche Stoffe sollten in Anbetracht der neuen Grundlagen Urbaner Gebiete unter die Lupe genommen werden: Oft werden auf großflächigen Firmenarealen nicht mehr alle Hallen und Freiflächen genutzt. Diese könnten abgetrennt und für Wohnungsbau herangezogen werden.

 

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