Regelmäßig am statt im Unternehmen arbeiten

21. September 2022


Selbstständigen und Kleinstunternehmern ist gemein, dass das eigene Geschäft oft nur unter Aufopferung größter Anstrengungen zu bewältigen ist. Das operative Geschäft lässt strategisches Handeln kaum zu, so dass wenig Entlastung geschaffen werden kann. Wie lässt sich dieses Prinzip durchbrechen?

Von Jan Kricheldorf

In Deutschland gib es nach Statistischem Bundesamt circa 2,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen. So genannte Kleinstunternehmen machen circa 2 Millionen Euro Umsatz mit im Schnitt bis zu 9 Beschäftigten. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

Die Immobilienbranche ist typischerweise stark geprägt von Kleinunternehmen. Die meisten von ihnen sind nicht wie Startups auf dem Reißbrett entstanden, sondern haben sich aus der Selbstständigkeit heraus entwickelt, weil der Arbeitsaufwand für den Einzelnen zu groß war oder sich das Geschäft sehr gut entwickelt hatte.

Was die Kleinen von den Großen unterscheidet

Führungskräfte im Kleinunternehmen leisten oft deutlich mehr als Führungskräfte in großen Unternehmen, denn sie können ihre Arbeitsbelastung nicht so gut verteilen wie in Unternehmen mit ausgefeilten oder langjährig etablierten Strukturen. Das macht sich in der Statistik bemerkbar: Mehr als 80 Prozent aller neu gegründeten Unternehmen scheitern innerhalb von drei Jahren. Und die meisten der verbleibenden 20 Prozent existieren und strampeln sich ab. Nur wenige von ihnen verwandeln sich im Laufe der Zeit in ein großes Unternehmen.

Typisch: Wenn der Drucker ausfällt oder Mitarbeiter krank werden, müssen im Zweifel immer noch die Chefin oder der Chef ran, um Ausfallsituationen zu kompensieren. Das raubt wertvolle Zeit, die für strategisches Handeln dann fehlt. Aus diesem Grund entscheiden sich auch nicht alle Kleinunternehmer für Wachstum, sondern für die Selbständigkeit und nicht für das Unternehmertum.

Ein Strategietag pro Quartal

Trotzdem können beide Typen auch, ohne zum Wachstum verdammt zu sein, an ihrer Lage etwas ändern, wenn sie von Zeit zu Zeit ausbrechen, um am statt im Unternehmen zu arbeiten. Ein Strategietag pro Quartal kann wahre Wunder bewirken, um die selbstgesteckten Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und sich selbst Erfolge oder Entlastung zu verschaffen.

Der amerikanische Unternehmensberater Michael Gerber schrieb dazu schon vor Jahren das vielbeachtete Buch mit dem Titel „Der E-Myth. Warum die meisten Kleinunternehmen scheitern und was sie dagegen tun können“. In dem Buch erzählt er die beispielhafte Geschichte von Sarah, die sich drei Jahre lang in ihrem gut laufenden Kuchenladen abrackerte, bevor sie begann, mit Michael Gerbers Hilfe am Unternehmen zu arbeiten und eine Strategie zu finden, die schließlich in einem Franchise-Modell endete. Dabei liegt die Betonung auf systemischem Handeln, dem Suchen nach den richtigen Angestellten, die Fähigkeiten einbringen, die der Unternehmer oder Gründer selbst nicht leisten kann.Immobilienkauf: Nachwuchs ist da, Wohnung ist zu klein

Michael Gerber entlarvt, dass die Idee vom Unternehmertum oder der Vorstellung, sein eigenes Geschäft zu betreiben in den meisten Fällen nur für einen kurzen Moment währt. In diesem kurzen Moment gestaltet der Unternehmer Zukunft, verhält sich danach aber wie ein Angestellter seines eigenen Betriebs.

Skalierung ist nicht alles

Um Strategien zu entwickeln, die die Gegenwart bestimmen, muss der Blick in die Zukunft wie die tägliche Arbeit selbst zu einem festen Bestandteil des täglichen Geschäfts werden. Nur so kann erfolgreich eine Vergangenheit geschaffen werden, die einmal für die Zukunft prognostiziert wurde. Dabei muss die Zielstellung nicht wie von vielen Start-ups zelebriert, die Skalierung oder Gewinnmaximierung sein.

Ein Blick in die Immobilienbranche

Insbesondere Hausverwaltungen leiden derzeit an Personalmangel, während die Auftragsbeschaffung keine größere Hürde darstellt. Getriebene Unternehmer, die vor allem operativ eingebunden sind, fahren auf hohen Verschleiß. Ihnen fehlt die Vogelperspektive, um über Veränderungen entscheiden zu können. Ein zeitweiliger Stopp, ein Innehalten ist dann essenziell, um Lösungswege betrachten zu können.

Für das genannte Beispiel gibt es mehrere Möglichkeiten. Der überlastete Hausverwalter kann sich von zeitaufwendigen Sparten trennen. Erst neulich berichtete mir eine Berliner Unternehmerin, dass sie sich künftig nur noch auf die Verwaltung von Mehrfamilienhäusern fokussieren werde und die WEG-Einheiten abgegeben habe. Sie hatte festgestellt, dass die Kommunikationszeiten mit Eigentümern einer WEG nicht mehr mit der altbewährten Qualität und der dünnen Personaldecke zu leisten waren. Wer sich nicht verkleinern möchte, muss andere Lösungswege prüfen. Kann beispielsweise Software die Backoffice-Zeiten verringern? Können wiederkehrende gleiche Prozesse automatisiert werden? Könnte ein Ticketsystem mehr Effizienz bringen?

Die „Engpasskonzentrierte Strategie“

Eine wirksame Methode, um am Unternehmen zu arbeiten, ist die vom Betriebswirt Wolfgang Mewes entwickelte so genannte „Engpasskonzentrierte Strategie“ (EKS). Sie basiert im Wesentlichen auf der Ausarbeitung von vier Grundprinzipien:

  • Konzentration der Kräfte auf Stärken & Abbau von Verzettelung
  • Orientierung auf eine eng gefasste Zielgruppe und deren Bedürfnisse
  • Werte entwickeln
  • Das Entwickeln von Lösungsansätzen

Strategie bedeutet nach dem EKS-Prinzip nicht — wie üblich — die langfristige Erfolgsplanung, sondern die Art und Weise, seine und verbündete Kräfte optimal zum Nutzen seiner Zielgruppe einzusetzen und die ständige Überprüfung der Mission. Auf genau diese Weise lassen sich Markt- oder Bedürfnisveränderungen frühzeitig aufspüren und Handlungsbedarf ableiten.

Mehr Aufwand durch geringere Nachfrage

Auch im Maklerunternehmen stehen derzeit strukturelle Änderungen an. In einigen Regionen hat die derzeitige Verunsicherung im Immobilienmarkt bereits dazu geführt, dass wieder mehr Objekte akquiriert werden, nun aber mit demselben Team sich die geringere Nachfrage auf mehr Immobilienangeboten verteilt und höhere Aufwände produziert. Und: Makler müssen wieder Immobilien verkaufen und können nicht mehr so stark davon profitieren, dass eine sehr hohe Nachfrage eine kurze Verkaufsdauer garantiert. Deswegen haben vorausschauende Immobilienmakler bereits begonnen, ihre Betriebsprozesse anzupassen und effizienter zu gestalten. Strategisches Handeln setzt voraus zu erkennen, mit welchen Herausforderungen das Unternehmen zu kämpfen haben wird und welche Maßnahmen erforderlich sind, um auf die Marktveränderung von außen auch nach innen optimal einzuwirken.

Agieren statt reagieren

Wer reagiert, hat den Punkt des Agierens verpasst und wird es schwerer haben, die Kompassnadel wieder richtig einzustellen. Eine Betrachtung nach EKS würde bedeuten: In welcher Bedürfnislage befinden sich derzeit Eigentümer? Möchten sie vom aktuell noch hohem Marktniveau profitieren? Welche Probleme ergeben sich daraus in Bezug auf die Bedürfnisse von Nachfragern? Erst wenn alle Fragen beantwortet sind, ergibt sich ein klar analysiertes Bild, aus dem nun Handlungen festgelegt werden können, die operativ umgesetzt werden müssen. Es entstehen neue Fragen und Engpässe, die beantwortet werden müssen. Wer kann das in meinem Unternehmen umsetzen? Muss ich jemanden einstellen? Wie können wir den Erfolg unserer Maßnahmen überprüfen?

Es lohnt sich, einen Strategietag darauf zu verwenden, sich mit der Methode von Wolfgang Mewes vertraut zu machen und im eigenen Unternehmen anzuwenden.

Foto: pinkypills_istock