Potenziale erkennen

9. März 2018


Lange sind Investoren vor Immobilien in C-Lagen zurückgeschreckt. Doch in Städten können schwierige Stadtteile ein hohes Potenzial haben. Weil die Quadratmeterkaufpreise niedrig sind, sind die Mietpotenziale enorm.

Von John Bothe,Geschäftsführer der Silverlake Real Estate Gruppe


Regeln sind dazu da, um gebrochen zu werden – es sei denn, man entwickelt sie weiter. So geschieht das derzeit mit dem klassischen ABBA-Prinzip. Wer Alternativen zu Anlagen in Core-Immobilien sucht, greift seit Jahrzehnten zu guten Lagen an B-Standorten und B-Lagen in den Top-Städten. Diese Regel ließ sich bisher für Wohnen ebenso wie für Gewerbe und Retail anwenden (für den Handel wurde das ABBA-Prinzip zuletzt übertrieben, was manch ein Investor mittlerweile schmerzhaft zu spüren bekommt).

Die hohe Nachfrage nach Wohnimmobilien und die Attraktivität der Innenstädte führen jetzt zu einer Erweiterung des ABBA-Prinzips. Statt guter Lagen in B-Standorten sind viele Käufer bereit, auch in C-Städte zu investieren. Und statt mittlerer Lagen an den Top-Standorten weichen immer mehr Mieter an vermeintlich schlechtere Standorte aus.
Das stellt die Immobilienwirtschaft vor einige definitorische Herausforderungen. Schon die Unterscheidung zwischen A- und B-Standorten fällt heute zunehmend schwerer. Sind Heidelberg, Tübingen und Freiburg B-Städte? Den Preisentwicklungen der vergangenen Jahre und der Nachfrage zufolge keineswegs. Sollten umgekehrt Großstädte wie Bremen, Hannover, Nürnberg oder Leipzig den Kanon der bisherigen Top-7-Standorte erweitern? Schaut man sich die Größen und Stabilitäten der Märkte an, würde man das bejahen müssen. Konzentriert man sich allein auf das Preis- und Einkommensniveau, müsste man aber wohl verneinen.

Potenzial
schwieriger Stadtteile

Entsprechendes gilt für die Definition der Lagen. Was eine C-Lage ist, mag schwierig zu bestimmen sein. Einer der wichtigsten Faktoren aber muss die Opportunität sein. Ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Düsseldorf: Da gibt es nördlich der Innenstadt den Stadtteil Golzheim mit angenehmen Jugendstilwohnhäusern. Die Bausubstanz in Golzheim ist gut – ebenso wie die Mieteinnahmen. Die Preise indes für ein Mietshaus sind im Vergleich zu den Mieteinnahmen ebenfalls hoch, und das Entwicklungspotenzial für die Mieten nur gering – eben weil die Mieten schon immer stabil und auf hohem Niveau waren. Sollte ein Investor, dem daran gelegen ist, ein Mietshaus zu kaufen und nach notwendigen Modernisierungen im Bestand zu halten, in Golzheim investieren?

Es ist immer der relative Vorteil, der den Erfolg ausmacht. Für Düsseldorf ist das Vergleichsmoment das erweiterte Einzugsgebiet des Hauptbahnhofs. Ich lüfte kein Geheimnis, wenn ich hier auf die wohnungspolitischen Entwicklungen der ehemals schwierigen Stadtteile rund um den Hauptbahnhof und in der Friedrichsstadt verweise. Dort, wo lange nur wenige Menschen wohnen wollten, teils inmitten eines Rotlichtmilieus, entwickelt sich seit einiger Zeit ein neues innerstädtisches Quartier, das zunehmend junge Familien anzieht. Die Nähe zu Innenstadt, Bahnhof und Infrastruktur ist verlockend, das ehemalige Sehnsuchtsziel Reihenhäuschen mit Garten im Vorort weicht dem fahrradtauglichen Viertel. Noch vor zehn Jahren hätten viele davon abgeraten, in diese C-Lage zu investieren. weil das Entwicklungspotenzial viel zu gering sei.

Attraktiv sind
niedrige Einkaufspreise

Die Attraktivität dieser Innenstadtlagen liegt für den Immobilieninvestor in den niedrigeren Einkaufspreisen. Ein Bestandswohnhaus — sei es als Überbleibsel der Gründerzeit, sei es als Schuhkarton der Wirtschaftswunderjahre — lässt sich hier weitaus günstiger erwerben als in anderen Innenstadt-Vierteln. Die Einkaufsfaktoren sind zwar wegen der niedrigen Mieten hoch, aber davon darf man sich nicht abschrecken lassen, denn die Quadratmeterkaufpreise sind dadurch niedrig und die Mietpotenziale enorm. Hier lassen sich in weniger entwickelten Innenstadtlagen inzwischen ebenso hohe Mieten erzielen wie in den vermeintlich besseren, ruhigeren Stadtteilen. Die Lust der Menschen, zurück in die Stadt zu ziehen, die Ausgehkultur und der Anspruch daran, alles fußläufig zu erreichen — vom Nahversorger und Fitnesscenter übers Kino bis hin zum Bahnhof mit Anbindung an Fernstrecken — ist verlockend. Viele Menschen messen den Grad ihrer Lebensqualität heute weniger am heimischen Hinterhausgarten als vielmehr daran, möglichst schnell möglichst viel unternehmen oder erledigen zu können. Und das ohne eigenes Auto. Als Statussymbol hat es ausgedient, und praktisch ist es in den Großstädten ohnehin nicht. Das unterstreicht auch die aktuelle Diskussion um kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in den Innenstädten.

Hohe Einkaufsfaktoren
können ein Vorteil sein

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein junges Paar möchte zusammenziehen, er arbeitet in Köln und pendelt, sie arbeitet in Düsseldorf. Für sie ist die Nähe zum Bahnhof entscheidend — da er nur zehn Minuten Fußweg zum Düsseldorfer Hauptbahnhof hat, kann er auf die Zweitwohnung in Köln verzichten und fährt täglich zwischen den Metropolen.
Innerstädtische Quartiere mit schwieriger Vergangenheit werden in den nächsten Jahren also weiter an Attraktivität gewinnen. Nutzen kann man dabei auch die scheinbar hohen Einkaufsfaktoren, die institutionelle Investoren und Geldgeber in der Regel abschrecken. Wer als Investor ein aktives Vermietungsmanagement vorweist, kann Opportunitäten und mittelfristig Mietpotenziale heben.