Jetzt bloß nicht weitermachen wie bisher

9. April 2018


Die Große Koalition ist vereidigt. Die Erwartungen sind hoch. Es gibt auch Bedenken, dass das Bauressort im neuen Super-Innenministerium untergehen könnte. Doch alles hat seine Chance verdient. Zumal es mit Blick auf den Koalitionsvertrag berechtigte Hoffnung gibt, dass sich mit der neuen Bundesregierung etwas ändern kann.

Von Jürgen Michael Schick, IVD-Präsident

Mir geht es mit der Großen Koalition wie vermutlich den meisten in Deutschland: Jubelschreie löst die neue Bundesregierung bei mir nicht aus, und doch bin ich froh, dass wir überhaupt wieder eine haben. Denn wie dringlich eine handlungsfähige Regierung ist, zeigen zum Beispiel die Baugenehmigungszahlen für 2017, die nur einen Tag nach der Vereidigung der Bundeskanzlerin Mitte März veröffentlicht wurden. Baugenehmigungen für 348.128 neue Wohnungen hat das Statistische Bundesamt für das Gesamtjahr 2017 gezählt — das sind 27.260 oder 7,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Ein Rückgang der Baugenehmigungen, das ist ein echtes Alarmsignal. Denn mindestens 375.000 neue Wohnungen werden jedes Jahr benötigt, um den aktuellen Mangel zu kompensieren. Damit rechnet jedenfalls die Große Koalition, die bis Ende 2021 für 1,5 Millionen Wohnungen sorgen will.

Den Wohnungsbau anzukurbeln und das Defizit zwischen Angebot und Bedarf zu verringern, dafür wird Horst Seehofer sich von nun an verantwortlich zeichnen. Der CSU-Chef steht einem Super-Innenministerium vor, das nicht nur das Ressort Bauen vom Umweltministerium überstellt bekommen hat, sondern zusätzlich das neue Heimatministerium umfasst. Es besteht deshalb die Sorge, dass das Thema Bauen zwischen den Bereichen Inneres und Heimat untergeht. Das Innenressort erhält per se eine große Aufmerksamkeit, wegen der Migrationsdebatte wird sich das so bald auch nicht ändern. Das Heimatressort kann man darüber hinaus gut und gerne als Seehofers Steckenpferd bezeichnen. Im Ministerium wird gerade ein ganz neuer Stab mit knapp 100 neuen Mitarbeitern errichtet, die sich um den Bereich Heimat kümmern werden.
Das Bauressort könnte dann zum unliebsamen, nur halbherzig betriebenen Anhängsel werden. Doch diese Sorge wird uns nun ein Stück weit genommen. Es soll einen eigenen Bundestagsausschuss für Bauen und Wohnen geben.

Und der Bundesinnenminister übernimmt Gunther Adler als Baustaatssekretär aus dem bisherigen SPD-geführten Bundesumwelt- und Bauministerium. Das ist eine gute Nachricht. Denn die Immobilienverbände haben in den vergangenen Jahren vertrauensvoll mit Gunther Adler zusammengearbeitet. Adler war seit April 2014 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, zuständig für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung. Er ist ein Kenner der Immobilienwirtschaft. Es spricht auch für Seehofer, dass er Adler übernimmt. Um die Probleme auf dem angespannten Immobilienmarkt zu beheben, brauchen wir einen erfahrenen Experten, der als wichtiges Bindeglied zur Bundesregierung agiert. Der Wohnungsbau in der Bundespolitik benötigt die volle Aufmerksamkeit.
Dass der stete Tropfen den Stein höhlen kann, zeigt zumindest der Koalitionsvertrag. Die darin angekündigte „Wohnraumoffensive“ stellt eine Abkehr von der bisherigen Wohnungspolitik dar und ist hoffentlich nicht nur eine rhetorische Floskel, sondern ein echter Aufbruch für mehr Neubau. Auch dass der Wohngipfel, den der IVD gefordert hat, noch 2018 stattfinden soll, ist das richtige Signal und zeugt davon, dass die Bundesregierung verstanden hat, dass es eilt. Darüber hinaus hat Unionsfraktionschef Volker Kauder angekündigt, das Baukindergeld bereits im Frühjahr auf den Weg zu bringen. Wir dürften also noch in diesem Jahr zwei Trendwenden erleben: einerseits eine Offensive für mehr Wohnungsbau unter Einbindung der Immobilienwirtschaft, andererseits zum ersten Mal seit mehr als zwölf Jahren eine Förderung für die private Wohneigentumsbildung.

Die Impulse aus der Immobilienbranche zeigen also Wirkung. Darauf können wir aufbauen — freilich ohne so naiv zu sein zu glauben, dass nun alles gut wird. Politik ist zugleich quälend langsam und unheimlich schnelllebig. Es kann Jahre, sogar Jahrzehnte dauern von der Formulierung einer Reformidee über die Debatte bis zur Gesetzgebung. Auf der anderen Seite hat sich die Geschwindigkeit der öffentlichen Aufmerksamkeit und somit auch des politischen Tagesgeschäfts derart beschleunigt, dass ein Ereignis oder auch nur ein kontroverser Satz in einem Interview dafür sorgen können, dass jahrelang erstrittene und erkämpfte Themen einfach untergehen. Wir werden deshalb nicht aufhören mit unserer Arbeit, auch wenn einige unserer Ideen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben. Wir werden die Große Koalition eng begleiten: sie fordern, aber auch unterstützen, sie kritisieren, mit ihr argumentieren und streiten.