Ad absurdum geführt: Wie sich die Enteigner selbst demontieren

5. Juni 2019


Die Enteignungsdebatte hat ihr Ziel verfehlt. Die Mehrheit der Deutschen hat verstanden, dass man mit Enteignungen keine einzige neue Wohnung schafft. Beängstigend ist indes der Ton der selbst ernannten Robin Hoods. Sie zündeln nicht nur an den Werten der sozialen Marktwirtschaft, sondern stacheln obendrein an zu Gewalt und Übergriffen.

Politisches Wort von Jürgen Michael Schick, IVD-Präsident

Wetten, dass ich Ihnen nur einen Namen nennen muss, und schon haben Sie schlechte Laune: Kevin Kühnert. Bis vor Kurzem war der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation „Jusos“ nur politisch Interessierten ein Begriff, doch seit seinem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ kennt ihn jeder. Kevin Kühnert steht für die Enteignung von BMW und für maximal eine Wohnung pro Person, und zwar die Wohnung, in der man gerade selbst lebt. Der junge Mann gilt als Schreck für Investoren und Privatanleger, für die vielen Mitarbeiter von BMW, die natürlich auch Aktien „ihres“ Unternehmens halten, ebenso wie für den Bäcker und den Handwerker, die ihr Erspartes zur Altersvorsorge in ein Mietshaus investiert haben. Würden Kühnerts Forderungen umgesetzt, wäre nicht nur die Wohnungswirtschaft am Ende, sondern ganz Deutschland auf dem sicheren Weg in DDR-ähnliche Zustände.

Und jetzt wetten wir noch einmal. Ich nenne Ihnen einen Namen, und schon haben Sie gute Laune — Kevin Kühnert. Wie das geht? Nun, der Juso-Vorsitzende hat mit seinen Forderungen die Debatte der vergangenen Monate rund um die Enteignung größerer Wohnungsunternehmen und steigende Mietpreise mit eben jenem „Die Zeit“-Interview vollends ad absurdum geführt. Umfragen belegen, dass sich die Zustimmung für die Enteignung von Bestandshaltern seit Kühnerts Interview wieder im Sinkflug befindet — ebenso wie die Umfragewerte der Mutterpartei von Kühnert, der SPD. Selbst in Berlin, wo sich vor Kurzem noch eine deutliche Mehrheit für die Rekommunalisierung größerer Bestandshalter ausgesprochen hat, befürworten inzwischen nur noch 36 Prozent der Bevölkerung eine Enteignung. Die Menschen, denen so gern ihre Mündigkeit abgesprochen wird, haben offenbar verstanden: Mit enteigneten Wohnungen ist niemandem geholfen. Kevin Kühnert hat mit seinen Aussagen die Debatte gedreht, vielen Dank.

Und doch bleibt das Dilemma der Verteufelung. Kein Tag vergeht, an dem nicht eine Karikatur veröffentlicht wird, die den Schwarzen Peter des mangelnden Wohnungsangebotes der Wohnungswirtschaft zuschiebt — als ob die Wohnungswirtschaft Schuld daran trüge, dass mehr Menschen in die Städte ziehen und die Städte ihren bauplanerischen Pflichten nicht nachkommen. Keine Woche vergeht ohne Übergriffe auf Vermieter: Autos werden angezündet, Mitarbeiter in Hausverwaltungen beleidigt, Unternehmen diffamiert.

Fest steht: Der Tonfall in der Debatte um Wohnraum hat im Jahr 2019 seinen bisherigen Tiefpunkt erreicht. Nicht Argumente zählen, sondern die Lautstärke und Überheblichkeit der Schreienden. Das abschreckendste unter den vielen aktuellen Beispielen: Eine Karikatur aus der Zeitschrift „Stern“, auf der zwei Damen in einem Café zu sehen sind. Die eine sagt stolz zur anderen: „Mein Sohn ist im Vorstand eines Berliner Wohnkonzerns.“ Erwidert die andere: „Schade, dass es damals noch keine Fruchtwasseruntersuchungen gab.“ — Geht’s noch?

Ich wünsche mir eine Debatte mit Argumenten, nicht mit Populismen. Ja, Wohnen ist „die soziale Frage unserer Zeit“. Aber es wird den Menschen, die ein Eigenheim suchen, nicht helfen, wenn die Politik auf diese soziale Frage mit sozialistischen Antworten reagiert. Mit solchen Gespenstern aus der Vergangenheit lässt sich bestenfalls kurzfristig Wahlkampf machen, ein Staat lässt sich darauf nicht bauen.

Zumal es genug Baustellen gibt — auch über die Frage hinaus, wie Wachstumsregionen attraktiven Wohnraum schaffen können. Wie lösen wir als Gesellschaft den Zielkonflikt zwischen Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit? Wie stellen wir sicher, dass wir bedarfsgerechten Wohnraum haben für immer mehr Singles auf der einen und immer mehr Senioren auf der anderen Seite? Wie schaffen wir es, Wohnraum, Mobilität und neue Formen des Arbeitsalltages in Einklang zu bringen? Diese wirklich großen Fragen unserer Zeit sollten die Immobilienwirtschaft und die Immobilienpolitik weitaus mehr beschäftigen. Dann wird auch deutlich, dass der derzeitige Nachfrageüberhang in den Ballungsgebieten nicht für sich allein steht, sondern dass es sich um die Begleiterscheinung eines größeren und strukturellen gesellschaftlichen Wandels handelt.

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