„Baupolitik ist kein Nebenjob“

10. Juni 2021


Christian Lindner hat die FDP 2017 nach einer vierjährigen Durststrecke wieder zurück in den Bundestag geführt. Die Chancen stehen derzeit gut, dass die FDP zur Bundestagswahl 2021 wieder kräftig mitmischt. Im AIZ-Interview deutet der FDP-Partei- und Fraktionschef die roten Linien an, die ein möglicher Koalitionspartner nicht überschreiten sollte.

Interview von Marion Hoppen und Heiko Senebald

AIZ: Bei den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl liegt die FDP fast überall über soliden zehn Prozent. Sind Sie zufrieden mit diesen Momentaufnahmen?

Christian Lindner: Das sind exzellente Umfragewerte. Wir sind auf Kurs. Es geht aber nicht um die Zahl der Mandate für die FDP, sondern es geht darum, welche Richtung wir den Veränderungen geben, die etwa mit der Digitalisierung, dem Klimaschutz, der Alterung der Gesellschaft und nicht zuletzt dem Generationenwechsel im Kanzleramt einhergehen. Wir wollen so stark werden, dass eine schwarz-grüne oder grün-rot-rote Regierung nicht möglich ist, damit Deutschland weiter aus der Mitte regiert werden kann. Damit verbinde ich, linke und unwirksame Konzepte, wie einen bundesweiten Mietendeckel, auszuschließen und Anreize zu geben für privates Engagement und Investitionen für zusätzlichen Wohnraum. Mit einer Politik der Mitte verbinde ich, nüchtern zu analysieren, was die Preise für Wohnraum treibt. Das ist beispielsweise die Knappheit an Boden. Und das sind immer weiter steigende Baustandards, die jetzt wieder in ihrer Verhältnismäßigkeit angepasst werden müssen, damit bezahlbares Wohnen gelingt. Darum geht es uns.

Ob Jamaika oder Ampel: Die FDP hat möglicherweise ein entscheidendes Wörtchen mitzureden, wenn es um die nächste Bundesregierung geht. Wo sind denn für die FDP die roten Linien, die von möglichen Koalitionspartnern nicht überschritten werden dürfen?

Wir sind eher eine Partei, die Bürokratie ab- statt aufbauen will. Wir haben auch — und das hat man während der Corona-Pandemie gesehen — eine besondere Sensibilität, wenn es um die Frage der Freiheit der Menschen geht. Es ist aber gewiss zu früh, um jetzt harte Koalitionsbedingungen aufzählen. Eine Bedingung kann ich aber nennen: Ich schließe für die FDP aus, dass wir einer Regierung angehören werden, die die Steuern auf Löhne und Einkommen der Beschäftigten oder Steuern für diejenigen, die Verantwortung für Arbeitsplätze tragen, erhöhen. Ich kenne niemanden im Hochsteuerland Deutschland, der zu wenig Steuern zahlt — mit Ausnahme vielleicht von Google, Apple, Amazon und Facebook, wo ich meine, dass diese Unternehmen durchaus noch einen fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten müssen.

Was muss sich in der Wohnungspolitik ändern?

Gehen wir an die Analyse. Der erste Aspekt: Wir haben zu wenig Wohnungen, deshalb ist das Angebot knapp und bei steigender Nachfrage in bestimmten regionalen Märkten steigt der Preis. Also muss man bauen. Voraussetzung fürs Bauen ist, es muss Bauland geben, ein Kataster, mit dessen Hilfe ermittelt werden kann, wo Baulücken geschlossen werden können. Auch muss das Aufstocken und der Ausbau von Dachgeschossen erleichtert werden. Auch muss eine leichtere Umwidmung von nicht mehr benötigten Gewerbe in Wohnbebauung möglich sein.

Der zweite Aspekt ist mindestens genauso wichtig: Die Kosten für die Erstellung eines Gebäudes sind in den vergangenen zehn bis 15 Jahren schneller gestiegen als die Einkommen der Menschen. Das sind aktuell sicher die gestiegenen Kosten für Baustoffe. Aber in der langfristigen Entwicklung ist es die immer weitere Überoptimierung von Gebäuden bei der Frage der energetischen Bilanz. Es sind die Kosten für immer höhere Standards, beispielsweise bei der eigentlich sinnvollen Barrierefreiheit. Hier sollte es vielleicht bedarfsgerechtere Quoten geben. In Baden-Württemberg haben jüngst Grüne und CDU eine Photovoltaik-Pflicht auf neuen Wohngebäuden beschlossen. Das macht das Bauen auch nicht günstiger.

Hier ist der Staat der Treiber der erhöhten Kosten für die Wohngebäude. Wir müssen nicht überoptimieren, wir brauchen gute Standards, das ist klar. Wir müssen zu einem gesunden Maß zurückfinden. Wir können nicht jedes neue Wohngebäude zu einem Passivhaus machen, das würde alle Kosten sprengen.

Nach langen Diskussionen ist das Baulandmobilisierungsgesetz vom Bundestag verabschiedet worden. Damit war eine Wohnraumoffensive der Bundesregierung verbunden. Sie gehören zu den Kritikern des Gesetzes. Warum?

Ich empfinde das Baulandmobilisierungsgesetz teilweise als eine Form des Misstrauensvotums gegenüber Eigentümern, vor allem, wenn man mit Sozialdemokraten und Grünen spricht. Da wird bei gestiegenen Flächenpreisen von Spekulationen und illegitimem Geschäftemachen gesprochen. Tatsächlich haben wir aber in der Landesplanung an vielen Stellen überhaupt zu wenig ausgewiesene neue Siedlungsfläche.

Selbstverständlich müssen wir auf Biodiversität und Klimaschutz achten, auch dürfen wir nicht zu viel versiegeln, klar. Aber es gibt neben dem notwendigen Naturschutz auch ein Entwicklungsbedürfnis der Menschen. Und wenn sich die Art, wie Menschen in Deutschland leben, ändert — durch Zuzug oder Wegzug in bestimmten Regionen etwa —, dann muss Entwicklung möglich sein. Das wurde im Gesetz nicht hinreichend berücksichtigt.

Zum anderen ist doch auch die Frage zu stellen: Schauen wir nur auf die Privaten oder gibt es nicht auch die Notwendigkeit des Staates, dass er besser mit seinen verwalteten Flächen umzugehen hat? Es ist also zu überlegen, wo nicht genutzte oder nicht optimal genutzte Flächen dem Markt zur Verfügung gestellt werden können.

Das faktische Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen, Bestandteil des neuen Baulandmobilisierungsgesetzes, hat auch bei der FDP für viel Kritik gesorgt. Wie steht es um die liberalen Konzepte zur Förderung von Wohneigentum?

Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sollte grundsätzlich möglich sein. Wenn jemand ins Eigentum wechselt, dann entlastet das ja auch den Mietermarkt. Wohneigentum im Übrigen ist eine in Deutschland bedauerlicherweise unterschätzte Form der Vorsorge gegen Altersarmut. Und deshalb bin ich nicht für das Verbot der Umwandlung, sondern umgekehrt. Ich bin dafür, dass wir den Weg zu Eigentum sogar noch erleichtern — beispielsweise mit einem Freibeitrag bei der Grunderwerbsteuer. Ich schlage schon seit vielen Jahren vor, dass wir für 500.000 Euro pro Person einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer vorsehen. Am Standort Berlin beispielsweise müssen die Menschen von einem hohen Kaufpreis noch sechs Prozent Grunderwerbsteuer an den Fiskus überweisen. Das nimmt vielen Menschen überhaupt die Möglichkeit, eine Hypothek in Anspruch zu nehmen, weil sie gar nicht in der Lage sind, das notwenige Eigenkapital aufzubringen, weil sie alles an Kaufnebenkosten abdrücken müssen.

Wie lässt sich der Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer in der Praxis umsetzen? Selbst in Nordrhein-Westfalen, wo die FDP ja mitregiert, ist das noch nicht gelungen?

Ich wünsche mir einen Wettbewerb der 16 Länder um die Frage, wie Eigentum gefördert wird und ob es gefördert werden soll. Es wird Länder geben — wie beispielsweise aktuell Berlin —, die messen der Förderung von Eigentum eher keine Bedeutung bei. Da wird lieber Geld für eine mögliche Vergesellschaftung und Entschädigung von privaten Eigentümern reserviert.

In NRW hingegen würde die schwarz-gelbe Regierung gern einen solchen Freibetrag beschließen. Gegenwärtig kann ein Landesgesetzgeber einen solchen Freibetrag aber leider nicht eigenmächtig einführen. Dafür müsste das Bundesgesetz geändert werden und dafür gibt es im Bund derzeit leider keine Mehrheit. Eigentlich brauchen wir da einfach nur die Bereitschaft des Bundes, dass die Länder es entscheiden dürfen — keine Verpflichtung, dass sie müssen. Der parteipolitische Wettbewerb der 16 Länder darum würde den Föderalismus sicher beleben. Dort, wo die FDP die Verantwortung trägt, ist eine unserer Prioritäten, den Menschen den Weg ins Eigentum zu erleichtern.

Mietendeckel, Enteignungspläne oder Umwandlungsverbot sind Beispiele dafür, dass Wohnungspolitik zuweilen nicht auf rationalen Argumenten basiert, sondern öfter ideologisch geprägt ist. Das Ergebnis ist ein vergiftetes Klima unter allen am Markt Beteiligten. Mittlerweile gehören selbst Gewaltaufrufe gegenüber Immobilienunternehmen zum bitteren Alltag. Wie lässt sich die Diskussion wieder versachlichen?

Die Dramatik in diesem politischen Aufgabenfeld und auch der gesellschaftliche Konflikt, der damit verbunden ist, wurde deutlich unterschätzt. Die Baupolitik ist eben kein Nebenjob. Leider muss man diesen Eindruck beim aktuellen Innenminister gewinnen. Bei zahlreichen Veranstaltungen der Branche, auf denen ich zu Gast war, war als Haupt- oder Vorredner der Bauminister angekündigt. Ich habe ihn aber nicht einmal getroffen, weil er immer kurzfristig verhindert war und abgesagt hat. Dabei ist die kommunikative Aufgabe der Versachlichung so wichtig. Die Fragen der Problemlösung, des Dialogs und des Miteinanders erfordern in der nächsten Wahlperiode ein eigenes Bundesministerium für Bauen. Hier muss sich eine Ministerin oder ein Minister exklusiv um diese Frage kümmern. Das darf nicht nur wie jetzt eine Beimischung sein.

Das vollständige Interview hören Sie ab dem 4. Juni 2021 in der neuen Folge des Podcast „Unter Nachbarn“ auf Spotify, Apple (iTunes) und allen gängigen Podcast-Plattformen. In dem Podcast von Heiko Senebald und Marion Hoppen geht es ums Bauen, Wohnen und Zusammenleben.

 

Foto: © Dominik Konrad