“Beim Mieterstrom fallen viele Objekte durchs Raster”

14. August 2023


14Die Immobilienbranche ist für etwa 40 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die Dekarbonisierung von Gebäuden ist ein wichtiger Schritt zur Senkung von Emissionen. Die USA fördert das bereits in Billionenhöhe, während Deutschland sich zurückhaltend zeigt. Das spiegelt sich auch im Mieterstrom, der durch aufwendige Melderegelungen und unattraktive Förderbedingungen ausgebremst wird. Woran hapert es bei uns aktuell? Und was bringt das neue Solarpaket? Darüber sprachen wir mit dem Solar-Experten Melchior Schulze Brock.

Interview von Stephen Paul

AIZ: Die Dekarbonisierung von Immobilienobjekten wird ja immer wichtiger. Sie sagen, es lohnt sich, dafür in die Vereinigten Staaten zu schauen?

Melchior Schulze Brock: Tatsächlich sind in den USA wesentlich mehr Immobilienobjekte von den Folgen des steigenden Meeresspiegels betroffen. Die Folgen sind dort dementsprechend direkt spürbar. Vor allem in den Hurricane-Staaten sind Anlagen hier aus vielerlei Hinsicht riskant geworden. Als Investition und auch als Bauregion. Die USA arbeiten deshalb schon stark daran, Immobilien zu dekarbonisieren – einige Staaten wie Kalifornien oder New York sogar über das national geforderte Maß hinaus.

Wer hätte gedacht, dass das Land der Trucks und Trumps uns in Sachen Dekarbonisierung etwas voraus hat.

Ja, das ist ein riesiger Markt, der in den USA vom Staat in Billionenhöhe unterstützt wird. Nicht zuletzt durch den vergangenes Jahr verabschiedeten Inflation Reduction Act das größte Klima- und Energiepaket in der US-Geschichte. Rund 363 Milliarden Euro werden für Investitionen in Erneuerbare-Energie-Projekte eingeplant. So soll energieeffizientes Bauen gefördert werden und heimische Anbieter werden durch Local-Content-Bestimmungen bevorzugt. Die heimische Produktion von PV-Anlagen wird in den USA zudem stark gefördert, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Einige Städte in den USA gehen bereits so weit, fossile Brennstoffe komplett zu verbieten. Hier gibt es also ein starkes Problembewusstsein und auch immer mehr finanzielle Mittel. In Deutschland ist der Gebäudesektor der viertgrößte CO2-Produzent. Deshalb ist es auch bei uns essentiell, die Dekarbonisierung von Immobilienobjekten anzugehen.

Und wie kann diese gelingen?

Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Ein erster Schritt sollte sein, den eigenen Energieverbrauch durch Erneuerbare zu decken — etwa mit einer Solaranlage vom Dach. Das klappt bei Ein- und Zweifamilienhäusern schon ganz gut. Bei Mehrparteienhäusern und vor allem Gewerbeimmobilien gibt es aber noch eine große Lücke. Um diese zu schließen, kann Mieterstrom eine wichtige Rolle spielen.

Was versteht man denn genau unter Mieterstrom?

Mieterstrom wird von Solaranlagen auf dem Dach erzeugt und direkt an die Verbraucher in der entsprechenden Einheit geliefert. Anders als beim Strombezug aus dem Netz entfallen dann Netzentgelte, Umlagen, die Stromsteuer und die Konzessionsabgabe. Gleichzeitig steigt aber auch der Aufwand der Anbieter für Vertrieb, Messwesen und Abrechnung. Deshalb ist das Konzept leider für viele uninteressant. Das zeigt auch eine repräsentative Studie des Instituts Civey im Auftrag von Green Planet Energy: Ein Drittel der 1000 befragten Immobilienbesitzer will PV-Mieterstrom “auf keinen Fall” oder “eher nicht” umsetzen.

Aber wird Mieterstrom nicht umfassend vom Staat gefördert?

Ja, es gibt einen Mieterstromzuschlag für Anlagen mit einer Leistung von bis zu 100 Kilowatt. Das ist begrüßenswert, aber leider fallen dabei viele Objekte durchs Raster. Insbesondere bei Gewerbeimmobilien oder Mehrfamilienhäusern ist die verfügbare Dachfläche meist so groß, dass die 100 KW-Grenze bei effizienter Nutzung schnell überschritten wird. Um trotzdem von der Förderung zu profitieren, werden Anlagen dann in der Praxis häufig geteilt: Einmal in eine kleine Anlage unter 100 KW, die vom Mieterstromzuschlag profitiert, und in eine größere Anlage für die Direktvermarktung. Dadurch wird der ohnehin schon komplizierte Prozess allerdings noch komplizierter.

Das Problem wächst also mit?

Ja, vor allem, weil es im gewerblichen Bereich häufig Mieter mit ganz unterschiedlichen Verbrauchsprofilen gibt. Der Bedarf einer Produktions- und einer Büroeinheit können sich beispielsweise stark voneinander unterscheiden, wodurch der Bürokratieaufwand noch höher ist.

Wo genau sind hier die Herausforderungen?

Die gesamte Anmeldung und Abstimmung des Mieterstromkonzepts ist super kompliziert. Dazu gehört unter anderem die Erstellung eines Messkonzepts, das festlegt, wie der Verbrauch der einzelnen Mieter abgerechnet wird —jede Einheit bekommt einen eigenen Zähler. Zusätzlich kommen weitere, teure Gesamtmessungen hinzu. Dementsprechend ist der Wechselprozess von klassischer Netzversorgung zu Mieterstrom recht aufwändig. Außerdem haben wir in Deutschland rund 850 Verteilnetzbetreiber mit ganz unterschiedlichen Auslegungen der Regularien und jeweils eigenen Prozessen. Dazu muss man sich dann auch an die Meldepflichten gegenüber Bundesnetzagentur, Übertragungsnetzbetreiber, Verteilungsnetzbetreiber, Zollamt und Finanzamt halten.

Wie könnte das Problem gelöst werden?

Solarunternehmen reagieren mit maßgeschneiderten Angeboten, die sich genau an die Bedürfnisse der Immobilienwirtschaft richten. Regulatorik, Steuern, Finanzierung, Installation und Wartung — hier gibt es eine Menge zu berücksichtigen. Deswegen sind Unternehmen, die die komplette Wertschöpfungskette abbilden und so den ganzen Prozess überblicken können, klar im Vorteil. Anbieter mit vielen Anlagen können zudem Meldepflichten automatisieren. Das nimmt eine Menge Druck raus.

Aber auch politisch ist gerade viel Bewegung drin. Die Bundesregierung hat das Problem nämlich durchaus erkannt. Die PV-Strategie des Wirtschaftsministeriums sieht nun etwa eine “Vereinfachung” des Mieterstroms vor. Es soll beispielsweise ein virtueller Summenzähler eingeführt werden, der die teure Gesamtmessung überflüssig macht. Außerdem ist eine gemeinschaftliche Gebäudeversorgung geplant. Und — meiner Meinung nach einer der wichtigsten Punkte — es ist eine Entbürokratisierung und Weiterentwicklung des bestehenden Mieterstrommodells geplant. Wie genau das aussehen wird, ist aber noch nicht geklärt. Einig ist man sich aber zumindest in einer Sache: Letztendlich profitieren alle Seiten von einer Stromversorgung vom eigenen Dach.

Inwiefern profitieren alle Seiten davon?

Für Investoren ist das Objekt eine sichere Anlagequelle. Denn der Immobilienwert steigt mit einer Solaranlage und der zugehörigen Infrastruktur. Außerdem verbessert sich das ESG-Rating, worüber sich Besitzer und Unternehmen gleichermaßen freuen können. Die Mieter erhalten günstigen Strom und sind dadurch unabhängig von den Energiemärkten. Und die Umwelt profitiert natürlich auch.

 

Fotos: © ENVIRIA Energy Holding GmbH