Bevor Anwohnerproteste den Wohnungsbau ausbremsen

8. April 2019


Die Städte wollen mehr Wohnungsbau errichten. Gleichzeitig wächst der Widerstand der Anwohner. Sie befürchten Wertverluste und sind skeptisch gegen neue Mieter. Bereits vor Baustart beginnt die Arbeit in der Umgebung des Baugrunds. Mehr Aufklärung und Bürgerbeteiligung können dazu beitragen, der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken.

Von Susanne Trösser

Diese Situation ist in Ballungsregionen immer häufiger anzutreffen: Das Grundstück ist gesichert, die Finanzierung geklärt, der Bauantrag abgesegnet. Aber bevor es losgehen kann, beziehungsweise kurz nach Beginn der Maßnahme, hagelt es Proteste seitens der Anwohner. Sie klagen gegen den Bauantrag und erwirken schlimmstenfalls einen Baustopp.

Die Vertreter der Kommunen geben klein bei oder die Bauträger reduzieren die Höhe oder Anzahl der Gebäude und damit die Zahl der Wohneinheiten, obwohl der Bebauungsplan mehr erlauben würde. Oftmals beziehen sich die Einsprüche auf Vorhaben des sozialen Wohnungsbaus. So musste die Gewofag im Münchner Stadtteil Allach bei einem Projekt auf ein Drittel der Sozialwohnungen verzichten, weil ihnen Anwohner einen Strich durch die Rechnung machten. In Hamburg Winterhude protestierten Nachbarn gegen den Bau von 120 Wohnungen. Ein Bauvorbescheid aus dem Jahr 2015 ist zwischenzeitlich abgelaufen.

Aber nicht nur in Großstädten wird gegen den Sozialwohnungsbau vorgegangen, sondern auch in Umlandgemeinden: So regte sich in Bad Vilbel und Hofheim (Taunus), beides beliebte Pendlerstädte nach Frankfurt am Main, heftiger Widerstand der Anrainer. Das gleiche Bild bot sich in Gmund am
Tegernsee. In Verl bei Bielefeld gelang es mit der Reduzierung der Wohnungszahl, die Gemüter nach langen Diskussionen zu beruhigen: anstatt 38 Wohnungen entstehen nur 32.

Die Stadtoberen und Bauträger stecken in einem Dilemma. Sie wollen Proteste ernst nehmen und andererseits gegen Wohnungsmangel vorgehen. In Berlin und München ist das Dilemma besonders groß. Während 2017 in der bayerischen Landeshauptstadt 27.000 neue Jobs entstanden, wurden lediglich 8.000 Wohnungen fertiggestellt.

Die Gründe für diese ablehnende Haltung sind vielschichtig. Viele Alteingesessene heißen zwar den Bau von Sozialwohnungen gut, allerdings nicht in ihrem Umfeld. Sie befürchten mehr Durchgangsverkehr, mehr Lärm und weniger Grün. Denn manchmal fallen Nachverdichtungen Grünflächen wie Parks oder Schrebergärten zum Opfer. Anrainer hegen zudem Bedenken gegen die neuen Nachbarn. Viele verbinden mit Sozialwohnungen noch immer den Makel, dass berechtigte Menschen arm sind und mit ihnen soziale Konflikte ins Quartier ziehen. Aber unter ihnen sind in der Realität viele Menschen mit mittleren Einkommen und Alleinerziehende. In Düsseldorf erhält beispielsweise eine Familie mit einem Kind einen Wohnberechtigungsschein, sofern das Bruttohaushaltseinkommen 43.378 Euro nicht übersteigt. Viele Arbeitnehmer in schlecht bezahlten Jobs wie Erzieher, Pfleger oder Handwerker liegen unter dieser Grenze.

Angst vor Wertverlusten

Hinzu kommt, dass der Zusammenhalt der Menschen in Großstädten abnimmt, die Anonymität steigt, die Toleranz schwindet. Vor allem, wenn in gut situierten Quartieren, in denen überwiegend Eigentümer leben, Mietwohnungen errichtet werden, schlagen die Wellen hoch: Sie befürchten negative Veränderungen, die Rufschädigung ihres Wohngebietes und damit einhergehend einen Wertverlust.

Dabei haben fast alle Großstädte mittlerweile Vorgaben festgeschrieben, dass ab einer bestimmten Anzahl frei finanzierter Wohnungen, die auf einem ehemaligen städtischen Grundstück entstehen, eine gewisse Zahl an Sozialwohnungen gebaut werden muss.

Damit solche Projekte gelingen, ist eine gute Kommunikation im Vorfeld wichtig sowie flankierende Maßnahmen, die zum Abbau der Barrieren in den Köpfen beitragen. Man sollte sich auch dann auf solche Beteiligungsverfahren einlassen, wenn sie von der Stadt nicht vorgeschrieben sind. So könnten möglichst weit im Vorfeld Vertreter von Kommune und Bauträger ihr Projekt bei Nachbarschaftsveranstaltungen präsentieren. Die Betroffenen sollten nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, also mit bereits genehmigten Bauanträgen konfrontiert werden. Es sollte die Möglichkeit bestehen, sich aufeinander zuzubewegen, Kompromisse zu schmieden und Änderungen vorzunehmen. Das kostet zwar personellen Aufwand und Zeit, ist aber unter dem Strich weniger teurer als Bauverzögerungen und -stopps.
Nach dem Einzug der ersten Bewohner sollte mit regelmäßigen Nachbarschaftsfesten versucht werden, den sozialen Kitt zu festigen und Bedenken zwischen Altbewohnern und Neubürgern zu reduzieren.

Wenn der Wohnungsbau aktuell etwas nicht benötigt, dann sind es Verzögerungen bei Projekten, die bereits weit gediehen beziehungsweise genehmigt sind.

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