ChatGPT – Überschätzt oder bahnbrechende Innovation?

20. März 2023


Kaum eine andere Branche ist so aufgeschlossen für digitale Erneuerung wie die Immobilienbranche. Vielleicht liegt das daran, dass die Digitalisierung früh begann, als Immobilienscout Anfang der 2000er damit startete, den Immobilienteil der Zeitungen zu ersetzen. Das galt als Revolution, die die Arbeitsweise von Maklern bis heute bahnbrechend verändert hat. Noch immer dominiert Immobilienscout das Geschehen in der Branche. Nach der ersten digitalen Revolution passierte allerdings lange nichts Aufregendes mehr. Ja, CRM-Software-Lösungen wechselten in die Cloud, virtuelle Touren wurden geboren und Prozessautomatisierungen erleichtern mittlerweile den Arbeitstag, „Hybrid“-Makler – all das sind für mich keine Revolutionen, kein Umsturz bestehender Systeme. Doch das könnte sich nun mit der Künstlichen Intelligenz ChatGPT geändert haben.

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Jan Kricheldorf

Vor einigen Monaten lese ich im Messenger eine Nachricht von Marco Eisold, unserem SEO-Weisen. Er hat gerade eine Künstliche Intelligenz als SEO-Assistenz ausprobiert und möchte, dass wir zusammen ein Experiment machen. Ich bin zunächst skeptisch. Wie intelligent müsste so eine Maschine sein, um bei Suchmaschinenmarketing helfen zu können. Aber gut, probieren wir es aus. Marco füttert die Maschine zu einem unserer Hauptkeywords zum Thema Wohnen im Alter – die KI rattert los. Absatz für Absatz schreibt die Maschine namens FRASE zunächst ein Briefing, später entsteht ein Text daraus. Ich lese mit, während Marco mir erklärt, wie es funktioniert. Die KI verprobt im Hintergrund das Keyword, mehr oder weniger googelt sie die zentralen Begriffe, analysiert die Ergebnisse und kombiniert aus dem Best of einen neuen Beitrag. Tatsächlich ist der Text schon nach wenigen Sekunden fertig. Ein Punkt für die Maschine, denke ich. In dieser Geschwindigkeit einen Sachtext schreiben – für Menschen nicht erreichbar. Aber schnell – das wissen wir – ist nicht automatisch gut.

Der digitale Praktikant

Ich setze mir die Redakteursbrille auf. Der Text ist verständlich, orthografisch und grammatikalisch fehlerfrei. Ich muss zugeben, die Maschine kann formulieren. Brauchbar ist der Text nicht. Jedenfalls nicht für Suchmaschinenoptimierung. Herausgekommen ist eine glossarähnliche Darstellung rund um die Begriffe, mit der wir FRASE gefüttert haben. Für einen digitalen Praktikanten gar nicht schlecht, es genügt aber unseren Ansprüchen nicht. Noch nicht. Denn wer hätte gedacht, dass eine Maschine auch nur ansatzweise in der Lage sein könnte, vollständige Satzstrukturen und komplexe Sachverhalte überhaupt darzustellen. Es ist ein bisschen wie mit dem autonomen Fahren. Tesla & Co. haben uns vorgemacht, dass das Steuern ohne händisches Eingreifen möglich ist. Zumindest solange ein gewisses Komplexitätsniveau nicht überschritten wird.

Mit KIs gegen den Fachkräftemangel?

Um den Menschen in typischen Tätigkeitsfeldern vollständig ersetzen zu können, ist noch viel Entwicklung notwendig. KIs stecken trotz aller Erfolge immer noch in den Kinderschuhen. Dennoch werden wir nicht mehr lange warten müssen, bis bahnbrechende Erfindungen ganze Branchen erschüttern und Berufsbilder verändern, auch in der Immobilienbranche. Es gibt Parallelen zu anderen digitalen Revolutionen. So verschwand die Videothek in den letzten Jahren nahezu vollständig aus den Stadtbildern, weil sie von Video-on Demand-Diensten wie Netflix ersetzt worden sind. Warum also nicht in den kommenden Jahren auch Taxifahrer, Makler, Hausverwalter oder Redakteure, wenn die Technologie das erlaubt? Ein KI-Boost könnte auch aus dem Fachkräftemangel heraus entstehen, weil es als Folge unseres westlichen, demografischen Wandels einfach nicht mehr genügend Personal gibt, um eine WEG-Versammlung einmal im Jahr durchzuführen. Ist die KI am Ende dieser Entwicklung dem überlasteten Menschen überlegen, weil sie in Bruchteilen von Sekunden das gesamte juristische Verständnis vom Wohneigentümergesetz parat hat? Inklusive aktueller Rechtsprechung? Automatisierte Antragsvorprüfung? Automatisches Einholen von Angeboten inklusive Verfügbarkeitsprüfung von Fachfirmen, die Wartungen oder Sanierungen durchführen können? All diese Anwendungsmöglichkeiten sind keine Utopie mehr. Das hat auch die neuste Errungenschaft gezeigt: ChatGPT.

Was ist ChatGPT und wer hat’s erfunden?

ChatGPT steht für Generative Pre-trained Transformer. Was sich anhört wie aus einem Science Fiction Film entnommen, kommt vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI und ist der erste ernsthafte Versuch, einen selbstlernenden Bot sprachlich so auszustatten, dass ein nahezu natürlicher Dialog mit dem Anwender möglich wird. Seit November letzten Jahres steht die Anwendung zur Verfügung. Und tatsächlich sind die Ergebnisse beeindruckend. Seitdem überschlagen sich die Meldungen. Akademien loten die Grenzen der KI aus. So meisterte ChatGPT viele Fragen des US-amerikanischen Medizinexamens, fiel aber beim bayrischen Abitur durch. Wer steckt hinter diesem technologischen Durchbruch bei OpenAI? Einer der Mitbegründer des Unternehmens ist kein geringerer als Elon Musk höchstselbst. Zwar hat sich der Tesla-Chef inzwischen aus der Geschäftsleitung und Teilhaberschaft zurückgezogen, um mit der Entwicklung seiner eigenen KI nicht in Interessenskonflikte zu geraten, dennoch bleibt der Multimilliardär zusammen mit Microsoft einer der zentralen Geldgeber.

Bedrohungen von KIs abwehren

Das Unternehmensziel von OpenAI hat es in sich. Denn anders als der Name (Offene Künstliche Intelligenz) zunächst vermuten lässt, geht es selbererklärtermaßen vor allem darum, existenzielle Bedrohungen durch künstliche Intelligenzen abwehren oder kontrollieren zu können, um zu verhindern, dass in der Zukunft der Mensch durch Technologie verdrängt wird. Kein Scherz. Die Überlegungen basieren auf den Befürchtungen, die Stephen Hawking in einem seiner letzten Bücher „Kurze Antworten auf große Fragen“ äußerte, nämlich dass eine Super-KI, die in ihrem Wesen, durch permanentes Lernen nach Vollkommenheit zu streben, den Menschen als Hindernis ansehen könnte und folglich beseitigen muss. Damit KIs gar nicht erst soweit kommen können, müssten menschliche Gewinnmaximierungsabsichten hinten angestellt werden. Diese wären der eigentliche Treiber solcher Technologien. Deswegen stellt OpenAI die Entwicklungen als Open-Source zur Verfügung, darauf vertrauend, dass sich die Schwarmintelligenz gegenüber einzelnen Gewinninteressen durchsetzen kann.

Im Dialog mit der KI

Das Cockpit von ChatGPT ist farblos. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich vor einem Supercomputer sitze. Mich interessiert, ob sich die KI selbst als Gefahr wahrnimmt. Ich frage: „Glaubst du, dass deine eigenen Weiterentwicklungen zur Ausrottung der Menschheit führen können?“ Antwort: „Meine Programmierung und Weiterentwicklung sind ausschließlich darauf ausgerichtet, meine Fähigkeiten als Kommunikationswerkzeug zu verbessern. Es liegt jedoch letztendlich in der Verantwortung der Menschen, wie sie mich und andere Technologien einsetzen und welche Ziele sie verfolgen. Als KI habe ich keine eigenen Ziele oder Absichten, die sich von denen meiner Schöpfer unterscheiden. In Bezug auf die Ausrottung der Menschheit denke ich, dass es wichtig ist, dass Menschen bei der Entwicklung und Anwendung von Technologie verantwortungsbewusst handeln und sich über die potenziellen Risiken und Auswirkungen bewusst sind. Technologie sollte darauf ausgerichtet sein, das Leben zu verbessern und Probleme zu lösen, anstatt neue Probleme oder Bedrohungen zu schaffen.“ Wow. Ich bin erstmal baff und gehe Mittagessen. Aus einer kleinen Anwendung, die ich ausprobiere, ist eine große Sache von existenzieller Bedeutung geworden. Dabei wirkt die abstrakte apokalyptische Dimension auf mich am wenigsten bedrohlich. Vielmehr beschäftigt mich der Gedanke, ob und wann uns die KI ersetzen wird, wie und wo wir sie in der Immobilienbranche einsetzen werden. Hat ChatGPT das Zeug, in der Produktion von Inhalten aktiv mitzuwirken? Wir probieren es aus und beruhigen uns, je länger wir Anwendungsfälle durchspielen. Schnell merken die Redakteure, dass es noch sehr lange dauern wird, bis ChatGPT in der Lage wäre, zielgruppengerechte Texte zu verfassen. Ich fühle mich erinnert an die Zeit, als trendy Content-Portale wie Pilze aus dem Boden schossen. Sie versprachen Textdienste für kleines Geld, schnell wurde klar, dass die Qualität professionellen Anforderungen für Inhalte nicht standhalten kann. Gerade in der Immobilienbranche. Zu oft am Thema vorbei, zu oft ohne Mehrwert für die angesprochenen Zielgruppen. Und so auch jetzt. ChatGPT ersetzt das kritische Denken eines Redakteurs in keinster Weise. Die Maschine beherrscht auch nicht den notwendigen Perspektivenwechsel, um Inhalte aus verschiedenen Rollen heraus unterschiedlich betrachten zu können. Das ist schon schwer genug, Redakteuren beizubringen. ChatGPT scheitert daran gänzlich.

Was ist der Nutzen für die Immobilienmakler und Verwalter?

Aber bedeutet das, es gäbe keine Anwendungsfälle für die KI in der Immobilienbranche? Mitnichten. Schon jetzt lässt sich die Maschine dazu einsetzen, um aus Immobilienfakten einen Exposétext zu schreiben, wie wir ihn millionenfach in Portalen wiederfinden. Sie lässt sich auch auf den eigenen Schreibstil trainieren, so dass subjektive Vorlieben für das Ausschmücken der Texte automatisch berücksichtigt werden kann. Die Makler-CRM Propstack ist vorgeprescht und stellt in diesen Tagen ihren Prototypen vor, eine Funktion, die es erlaubt, aus dem aufgenommenen Immobilienprofil eine Kurzbeschreibung zu generieren. Ein anderer Anwendungsfall wird es sein, zielgruppengerechte Inhalte aus der Hand von erfahrenen Redakteuren mit lokalen oder persönlichen Besonderheiten automatisiert anzureichern. Zu Grunde liegt ein hochwertiger Inhalt und die Maschine erhält den Befehl an einer vom Redakteur vorbestimmten Stelle, eine Aussage automatisch ins Zitat zu setzen oder einen Lokalbezug herzustellen. Blogdienste können auf diese Weise zeiteffizient personalisiert werden. Der Redakteur stellt also einen Primärtext her, der Passagen enthält, die sich gut anpassen lassen und die KI nicht so überfordern, dass ein falscher Kontext entsteht. Zuletzt kann ChatGPT auch eine automatische Rechtschreibkontrolle durchführen und Fehler selbstständig ändern, bevor die Inhalte öffentlich verbreitet werden.

Fazit

Skeptisch bleibe ich bei Anwendungsfällen wie Chatbots in der Webseite, denn die Usability einer Webseite muss den Anspruch verfolgen, dass ein User genau das findet, was er sucht – ohne digitalen Assistenten. Anders sehe ich es bei der Bearbeitung von Tickets bei Servicefällen einer Hausverwaltung. Hier kann doppelte Kommunikation vermieden werden, wenn die KI einen bereits aufgenommenen Mangel erkennt oder Tag und Nacht Auskunft geben kann zum aktuellen Bearbeitungsstand eines gemeldeten Schadens oder Vorfalls. Wir dürfen gespannt sein, welche Anwendungsfälle in den kommenden drei Jahren auf uns zukommen werden. Für mich bleibt die Erkenntnis: ChatGPT wird unsere Berufsbilder und Tätigkeitsbereiche verändern, uns aber auf lange Zeit nicht ersetzen können. Denn am Ende jeder Anwendungsform steht stets ein Mensch, der steuern, kontrollierend eingreifen kann. Alles andere wäre die Apokalypse.

 

Foto: ©Wordliner