Coworking — Trends und Aussichten

30. September 2019


Seit der letzten Finanzkrise nimmt die Bereitschaft der Mieter stetig ab, sich langfristig an ein Gebäude zu binden. Als Vermieter dürfen wir uns diesem Trend nicht verschließen, da in unsicheren Zeiten die Flexibilität im Flächenbedarf weiter an Bedeutung gewinnt.

Von Ingo Schierhorn

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Die Kultur des Coworking wurde über die letzten 35 Jahre geprägt. Es handelt sich dabei meist um offene und großflächige Arbeitsbereiche inklusive Infra­struktur, welche zeitlich befristet angeboten werden. Verschiedene Faktoren wie die Globalisierung, zwei Finanzkrisen und der wirtschaftliche Wandel haben zu einer weiten Verbreitung geführt. Wurde Coworking zunächst zur Wiederbelegung von alten Gebäuden genutzt, finden sich die Angebote heute zunehmend in modernen Objekten in innerstädtischen Toplagen.

Hervorgerufen durch Knappheit im eigenen Bestand schließen die meisten Coworking-Nutzer kurzfristige Verträge ab. Eine innerstädtische Lage sowie mo­derne technische Ausstattungen und Konferenz­räume sind dabei die Hauptkriterien. Die Anforderungen gehen dabei verstärkt in eine Mischform aus Businesscenter und Coworking über — sogenannte Hybrid-Modelle. Hier werden Open-Space-Flächen um immer mehr Team- und Einzelbüros ergänzt und Unternehmen mieten heute ganze Etagen an.

Die Immobilienbranche muss sich derweil fragen, wie sich langfristiger Cashflow aus Mietverträgen mit Coworking-Anbietern generieren lässt, die hauptsächlich kurzfristige Erträge erwirtschaften. Darüber hinaus sind die Flächen anfangs oft erheblich vergünstigt und nicht ohne größeren Aufwand nachvermietbar. Zusätzlich sind die Mieterkonstrukte der Coworking-Anbieter vielfältig. Häufig werden neue Gesellschaften eingesetzt, die eine Haftung der Muttergesell­schaften ausschließen.

Neben der Mieterwahl ist die Lage entscheidend, denn weniger als die Hälfte der deutschen Standorte sollen profitabel sein. Zudem haben viele Coworking-Anbieter mietkostenfreie Zeiten für ihre Einrichtungen erhalten. Nach deren Ablauf schlagen nun die oftmals über der Marktmiete befindlichen Vertragsmieten zu Buche — keine gute Voraussetzung für die Profitabilität.

Die Verbreitung der Flexible Office Spaces wird sich ebenfalls auf die Industrialisierung der Immobilienbranche auswirken. Die Weiterentwicklung von modularem Flächenausbau muss beschleunigt und Standardlösungen und Modellvarianten müssen erarbeitet werden. Kein Vermieter wird ständig kostenintensiv für den nächsten Nutzer umbauen wollen. Ebenso werden technologische Weiterentwicklungen mit dieser Phase einhergehen. Fahrzeugerkennung und sensorgesteuerte Beleuchtung sind erst der Anfang.

Nach dem ersten Coworking-Ansturm macht es das wachsende Angebot schwierig, neue Kundschaft zu gewinnen. Diese sind des Coworking zum Teil überdrüssig oder wechseln in andere Konzepte zu günstigeren Konditionen. Auch die zeitgleiche Zunahme von großflächigen Etagennutzern hilft nur bedingt, da diese aufgrund der Flächenknappheit nur kurzfristig auf die Angebote zugreifen (müssen).

Erstmals seit langer Zeit beschäftigt sich die Immobilienbranche mit den Kosten von Arbeitsplätzen und den Vorteilen von Coworking, Miete und Eigentum. Coworking ist nach Meinung vieler Berater mit einer Mietzeit bis zu 36 Monaten günstiger als die klassische Anmietung.

Und der Anbietermarkt? Regionale Anbieter verlangsamen oder verzichten auf Expansion. Fundraising wird schwieriger, große Börsengänge stehen bevor, alternatives Zusatzgeschäft wird hinzugenommen und die Konkurrenz schläft nicht. Hoteliers, Einzelhändler und Infrastrukturunternehmen treten als Anbieter auf und sichern sich erste Kundengruppen. Und wie immer bei einem ersten Hype lassen Kooperationen sicher nicht mehr lang auf sich warten. Ein Trend ist allerdings bereits im vollen Gange — die Umwandlung von Standorten in lokale Franchise-Lösungen. Dabei werden die Markenrechte vom Konzern übertragen und die Verantwortung liegt beim lokalen Betreiber. Diese Entwicklung lässt sich durchaus kontrovers betrachten.

Und in der Krise? Im Abschwung werden, da der Umsatz stagniert bis einbricht, zunächst die Kosten betrachtet. Nach dem „unnötigen“ wird alles „teure“ abgewickelt. Hierzu gehören kurzfristige Vertragsverhältnisse, zu denen das Coworking zählt. Die klassischen Vermieter werden in einer Krise nicht nur mit nachlassender Nachfrage, sondern ebenfalls mit sinkenden Mieten umgehen müssen. So werden für die Mieter Vertragsverlängerungen eher möglich und vor allem günstiger sein, als Unternehmensteile ins Coworking zu verlagern. Experten betonen, die Kurzfristigkeit der Miete steht in keinem Verhältnis zu den deutlich höheren Kosten im Coworking. Darüber hinaus sind wenige Unternehmen bereit, in einer Krise an einem Einmalaufwand für Umzug und dessen Folgekosten zu denken.

Dennoch ist das Coworking aus meiner Sicht etabliert und als Ergänzung zu klassischen Angeboten großer Liegenschaften eine sinnvolle Alternative. Es bleibt spannend zu beobachten, welche Entwicklung das Coworking nimmt und wohin die Reise geht.

Foto: © Shridhar Gupta / unsplash.com