„Das Thema der schwarzen Schafe hätte auch anders gelöst werden können“

17. Februar 2020


Neben dem Thema Gerechtigkeit treiben dem SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup vor allem die Themen Umwelt, Bauen und bezahlbarer Wohnraum an. Der gebürtige Westfale ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen sowie Beauftragter für Genossenschaften. Sein Wahlkreis: Berlin, und zwar Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee. Im AIZ-Interview spricht er über den Berliner Mietendeckel, über verlorengegangenes Vertrauen und wie man letzteres zurückgewinnt.

Interview von Heiko Senebald

AIZ: Der Berliner Mietendeckel hat mehr Kritiker als Befürworter. Trotzdem ist er auf den Weg gebracht worden. Wie finden Sie das?

Klaus Mindrup: Viele Menschen fühlen sich durch die Entwicklung am Wohnungsmarkt bedroht, insofern weiß ich nicht, ob diese These stimmt. Dass das Thema kompliziert ist, sieht man aber daran, dass zwischen dem ersten Beschluss des Senates über die Eckwerte bis hin zur ersten Lesung im Abgeordnetenhaus sehr viele Monate ins Land gegangen sind. Die Grundidee hinter dem Berliner Mietendeckel war ja, das extreme Anwachsen von Mieten durch einen Deckel zu beschränken und den Wucher am Mietenmarkt zu beenden. Das, was dann vorgelegt wurde, ist etwas anderes. Jetzt ist es ja nicht nur ein Deckel, sondern auch ein Eingriff in laufende Mietverträge. Das ist ein Unterschied, zu dem was vorher angedacht war. Und darin liegt ja auch die Schwierigkeit und die Frage, ob das juristisch überhaupt umsetzbar ist und am Ende vor den Gerichten Bestand haben wird.

Halten Sie denn den Berliner Mietendeckel für verfassungskonform?

Ich bin kein Jurist, deshalb habe ich mir persönlich angewöhnt an solchen Stellen zu sagen: Das müssen die Gerichte entscheiden. Es gibt zwei entscheidende Fragen. Die erste Frage ist: Gibt es überhaupt die Landeskompetenz dafür? Die Frage stellt sich nicht nur für das gesamte Gesetz, sondern auch für die einzelnen Paragrafen in dem Gesetz. Das muss man unterschiedlich beurteilen.

Ein reiner Mietendeckel hätte aus meiner Sicht eine sehr große Chance, nach dem was mir Juristen sagen. Sie begründen das damit, dass aufgrund der Änderung des Grundgesetzes vor einigen Jahren die Länder allein für die soziale Wohnraumversorgung zuständig sind.

Den Eingriff zum Beispiel in der Frage des Modernisierungsrechtes sehen fast alle Juristen kritisch. Deswegen werden sich die Gerichte neben den grundsätzlichen rechtlichen Zuständigkeiten auch die Frage von einzelnen Regelungen im Detail ansehen.

Im Kern geht es um die Abwägung der Grundgesetzinhalte Sozialpflichtigkeit des Eigentums versus Eigentumsgarantie. Dazu kann man sich dann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes anschauen, zum Beispiel bei der Mietpreisbremse. Ich bin sehr gespannt, wie die Gerichte am Ende entscheiden werden.

Der Berliner Mietendeckel verschreckt nachweislich Investoren und Entwickler, Baufirmen und Handwerkerunternehmen ziehen Aufträge zurück. Das Statistische Landesamt vermeldet, dass in Berlin die Baugenehmigungen zwischen Januar und November 2019 um 9,4 Prozent zum Vorjahr gesunken sind.

Ob das jetzt schon mit dem Mietendeckel zusammenhängt oder damit, dass Berlin zu wenig Bauland ausweist, halte ich für eine noch offene Frage. Das ist die Schwierigkeit bei solchen Momentaufnahmen. Wir haben auf Bundesebene zwischen den Koalitionspartnern vereinbart, dass wir bezahlbaren Wohnraum sichern und neu schaffen müssen. Vollkommen klar ist, dass in einer Situation, in der eine Stadt oder Region sehr stark wächst, es zu Knappheitssituationen kommt, wenn nicht entsprechend auch ausreichend Neubau geschaffen wird.

Der Neubau muss natürlich verlässlich finanziert werden. Und es muss eine sozialsichere Grundlage und ein Vertrauen von denjenigen geben, die in Wohnraum investieren. Tatsächlich ist es so, dass bei vielen Akteuren, das weiß ich, das Vertrauen nicht mehr da ist.

Das Vertrauen ging ja offensichtlich auch selbst bei kommunalen Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften verloren. Die durften den Mietendeckel dann nicht mal mehr öffentlich kritisieren und erhielten von der Bausenatorin einen Maulkorb. Löst man so Probleme?

Maulkörbe zu verhängen, ist sowieso nie der richtige Weg und funktioniert auch nicht mehr in der heutigen Zeit, weil solche Dinge ja immer rauskommen. Ich bin ja selber aktiver Wohnungsbaugenossenschaftler und im Aufsichtsrat einer Wohnungsbaugenossenschaft. Vollkommen klar ist, dass die Genossenschaften das notwendige Eigenkapital für den Neubau nur dann bilden können, wenn sie auch auskömmliche Mieten im Bestand erzielen.

Und die Genossenschaften sind, was die Mieten in Bestandswohnungen betrifft, die kostengünstigsten Akteure auf dem Markt. Aber auch Genossenschaften haben keinen Kopierer für Geldscheine im Keller und müssen auch im Neubau wie im Bestand wirtschaftlich arbeiten. Und deswegen wäre es natürlich besser gewesen, wenn man das beim Mietendeckel beachtet hätte.

Die Wohnungsgenossenschaften sind zurecht auf die Barrikaden gegangen. Überhaupt: Um die Streitkultur ist es beim Thema Mietendeckel, aber bei vielen anderen Themen derzeit auch in Deutschland, nicht unbedingt gut bestellt. So ist es kaum möglich, konstruktiv nach Lösungen zu suchen.

Vertrauen ist das A und O. Ich habe mich deswegen schon seit Jahren dafür ausgesprochen, dass man in Berlin dem Hamburger Modell folgt und ein breites Mietenbündnis schafft. In diesem Bündnis sollten die Stadt, die kommunalen Genossenschaften, die privaten Bestandshalter, die Projektentwickler gemeinsam mit den Mieterorganisationen Strategien und soziale Kriterien erarbeiten, an die sich alle halten. Dann hätte man das Thema der schwarzen Schafe auch anders gelöst.

Stattdessen spaltet der Berliner Mietendeckel die Gesellschaft, die Stimmung wird immer aggressiver. Wie kehrt man zurück zu einer sachlichen Diskussion und einem fairen Umgang miteinander?

Ich glaube, das entscheidende an der Debatte ist, dass man zu Lösungen kommen muss. In Hamburg zum Beispiel ist sicherlich auch durch die Neubautätigkeit das erste Mal der Mietanstieg geringer als die Inflationsrate.

Das zeigt doch, dass politisches Handeln auch etwas verändern und Aufgaben lösen kann. Alleiniges Reden hilft ja nicht. Wir müssen handeln. Das haben wir zum Beispiel auf Bundesebene unter meiner starken Mitwirkung gemacht, in dem wir durchaus auch zum Widerwillen von Teilen der Immobilienwirtschaft die Luxusmodernisierung de facto mit der Kappung der Modernisierungsumlage verboten haben. Dadurch haben wir einen gesellschaftlichen Grundkonflikt, den es gab, deutlich entschärft. Die realen Probleme identifizieren und lösen — dann wird es auch wieder eine Verbesserung der Stimmung geben.

Der Berliner Mietendeckel wird die Probleme auf dem Wohnungsmarkt aber nicht lösen, weil er keine einzige neue Wohnung schafft. Aber darauf kommt es doch an?

Das kann man so nicht sagen. Wie ich schon ausgeführt habe, haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, bezahlbaren Wohnraum zu schützen und neu zu schaffen. Wenn der Trend zur Luxusmodernisierung und der damit verbundenen Entmietungen unbegrenzt weiter gegangen wäre, hätte man den Bedarf an neuen bezahlbaren Wohnungen noch weiter erhöht.

Ich kann mir nicht vorstellen, wo die Mittel dafür bei den Ländern und dem Bund herkommen sollen. Eins ist mir bei dem Thema auch besonders wichtig und das habe ich auch immer öffentlich gesagt: Es ist entscheidend, dass wir auch weiter einen Mietspiegel in Berlin haben.

Der Mietspiegel ist ein über Jahrzehnte entstandenes Instrument, ein Instrument, auf dass sich die Mieter und Vermieter geeinigt haben. Alle gesetzlichen Regelungen in Berlin zum Mietendeckel sollten nicht dazu führen, dass wir nach Auslaufen dieser Regeln keinen Mietspiegel mehr haben. Es würde im Anschluss zu einer Prozesslawine kommen, da massiv einzelne Mieterhöhungen ausgesprochen würden. Niemand weiß, wie das ausgeht.

Kommen wir zur Bundespolitik: Wo liegen dieses Jahr die großen Herausforderungen bei der Wohnungsbaupolitik?

Wir haben im letzten Jahr das Grundgesetz geändert und dadurch stellen wir auch wieder den Ländern Fördergelder für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Für uns als Sozialdemokraten ist es aber wichtig, dass wir dauerhaft zu bezahlbarem Wohnraum kommen und wegkommen von diesen Belegungsbindungen, die dann für 10, 20 oder 30 Jahre existieren.

Das ist eine große Aufgabe, vor der wir stehen. Ich glaube, darüber muss man auch intensiv mit der Immobilienwirtschaft reden. Konkret steht jetzt die Baugesetzbuchnovelle an, mit einer Verbesserung des Bodenrechtes und einer Stärkung der Gemeinden an dieser Stelle. Und dann wird es eine deutliche Verschärfung des Umwandlungsverbotes von Miet- und Eigentumswohnungen geben.

Wir haben ja ein großes Problem, dass ein reines Vermieten von Wohnungen oftmals viel weniger Geld einbringt als das Umwandeln von Mietshäusern. Und das wiederum führt oftmals zur Verdrängung, weil anschließend Eigenbedarfskündigungen drohen.

Es gibt eine Einigung in der Koalition, dass wir diese Umwandlung von Mietshäusern in Eigentum deutlich verschärfen werden. Das werden wir in den nächsten Wochen auf den Weg bringen.

Gibt es nicht schon genug bestehende Hemmnisse, wenn ich da an Vorkaufsrechte und Erhaltungsgebiete denke, wo Kommunen bereits Umwandlungen untersagen können?

Die bisherigen Regeln haben zwei Probleme. Erstens gelten sie nur in sogenannten Milieuschutzgebieten, das Haus direkt daneben ist nicht geschützt, obwohl der Wohnungsmarkt dort genauso angespannt ist, wie nebenan. Zweitens gibt es ein riesengroßes Schlupfloch, das zum Missbrauch einlädt, weil eine Aufteilung genehmigt werden muss, wenn der neue Eigentümer sich verpflichtet innerhalb von sieben Jahren die Wohnungen nur an Mieterinnen und Mieter zu veräußern. Diese haben aber in der Regel das notwendige Geld nicht und die sieben Jahren werden einfach abgesessen und danach verkauft.

Wenn Sie die Umwandlung weiter einschränken, könnte das doch auch die Förderung von Wohneigentum konterkarieren. Denn dann ist der Erwerb von Wohneigentum nur noch im Neubau möglich. Das Baukindergeld zum Beispiel greift ja bei vielen Erwerbern gerade bei Bestandswohnungen. Außerdem zeigt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, dass 51 Prozent aller Mieter gern Eigentümer wären. Das heißt: Deutschland ist eigentlich gar keine Mieternation, sondern eine potentielle Eigentümernation. Was sagen Sie dazu?

Die Mieterinnen und Mieter in den Bestandswohnungen haben Schutz verdient. Sie sind in ihren Vierteln integriert und haben in der Regel nach einer Eigenbedarfskündigung keine Chance in ihrer angestammten Umgebung zu bleiben. Das ist vor allem für Familien mit Kindern und ältere Menschen wichtig. Deswegen hat das Thema auch Eingang in das Abschluss-Dokument des Mietengipfels bei der Bundeskanzlerin im Herbst 2018 gefunden, das heißt, es gibt in dieser Frage einen breiten gesellschaftlichen Konsens.

Die Förderung der Eigentumsbildung im Geschoss-Wohnungsbau muss daher im Neubau erfolgen. Dazu gehören für mich aber auch neue Genossenschaftswohnungen, weil die Nutzer der Wohnungen hier Miteigentümer sind. Daher werden wir dies auf Bundesebene auch erstmals mit Zuschüssen fördern.

Die SPD startete mit einer neuen Parteispitze ins Jahr 2020. Wie ist die Stimmung innerhalb Ihrer Bundestagsfraktion? Wird die Koalition bis zum regulären Ende der Legislaturperiode halten?

Wir werden als Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr übernehmen. Damit haben wir eine enorme Verantwortung für Europa. Die EU braucht ein starkes und verlässliches Deutschland. Dieser Aufgabe stellen wir uns. Außerdem arbeitet diese Koalition deutlich besser als ihr Ruf ist. Das ständige Infragestellen führt ja nicht dazu, dass unsere Akzeptanz steigt. Also: Es gibt noch genug zu tun und das geht am besten in der Regierung.

 

Fotos: © Klaus Mindrup