„Der Bedarf nach Wohnraum wird nicht sinken“

10. Januar 2024


Die dynamische Marktentwicklung der vergangenen Monate hat auch professionelle Volkswirte überrascht. Jochen Möbert, Analyst von Deutsche Bank Research, hatte das Ende des Zyklus richtig vorhergesagt. Warum er trotzdem falsch lag, erzählt er im Interview mit dem AIZ-Magazin.

Interview von Jan Kricheldorf

AIZ-Magazin: Herr Möbert, Sie hatten als einer von wenigen Ökonomen das Ende des Immobilienzyklus vorausgesagt. Ihre mittlere Prognose lag bei 2024. Völlig unerwartet ist die Marktwende schon Ende 2022 eingetreten. Wie konnten Sie so daneben liegen?

Jochen Möbert (lacht): Ja, das ist in der Tat ein interessantes Phänomen. Dass es zu so einem massiven Zinsschock kommen würde, hatten viele Volkswirte, mich eingeschlossen, nicht für möglich gehalten. Die meisten Prognosen gingen
davon aus, dass die Europäische Zentralbank die Leitzinsen nur allmählich anhebt.

Ist das ungewöhnlich?

Die schnelle Erhöhung der Leitzinsen kann sich erheblich auf das Wirtschaftsklima in Europa auswirken. Deswegen hielt ich eine Vervierfachung der Zinsen in so kurzer Zeit für unwahrscheinlich. Ursächlich hierfür war die hohe Inflation, die zum Teil auch eine Folge des Ukrainekriegs und der Energiekrise waren und sind. In diesem Umfeld ist die Verunsicherung bei vielen Verbrauchern und auch der Wirtschaft insgesamt hoch und Zinsanstiege schwerer zu verkraften.

Ausgangsbasis war die historisch einmalige Niedrigzinsphase. Sie war der Schlüsselfaktor, der den Immobilienmarkt geprägt hat. Mit dem Ende dieser Phase und dem folgenden Zinsschock hat sich nun die Situation verändert. Zweifellos ist dies eine neue Herausforderung für den Markt.

Wie schätzen Sie die weitere
Entwicklung ein?

Die weitere Entwicklung ist von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig, aber ich kann einige Schlüsselpunkte skizzieren. Der Zinsschock hat zweifellos den Boom beendet, und wir sehen einen Rückgang der Immobilienpreise. Allerdings halte ich an der Einschätzung fest, dass es sich um eine Preisdelle handelt und nicht um einen Absturz des Marktes. Es gibt mehrere Faktoren, die diese Annahme stützen. Erstens spielt die Inflation eine Rolle. Die Teuerungsrate hat sich zuletzt beruhigt, die Inflation dürfte aber auch in den kommenden Jahren bei mehr als 2 Prozent liegen. Inflationsbereinigt haben die Preise bereits deutlich korrigiert. Zweitens besteht durch die geringere Bauaktivitäten ein enger Markt und drittens wird die fundamentale Angebotsknappheit auch von der Nachfrageseite und dem hohen Bedarf nach Wohnraum angekurbelt.

Ich rechne mit einer baldigen Bodenbildung bei den Preisen und im Anschluss wieder mit Steigerungen in Höhe der Inflationsrate. Zuletzt waren die Preisreduktionen tendenziell geringer als zu Beginn dieses Jahres.

Die Erschwinglichkeit ist aber weiterhin für Kaufwillige deutlich eingeschränkt. In den Metropolen bräuchte man für viele Immobilien das Haushaltsnettoeinkommen von Spitzenverdienern. Die Kauffälle sind stark zurückgegangen.

Es wird weiter Unterschiede geben zwischen Städten, wo die Preisniveaus höher sind als in ländlichen Lagen. Dass aktuell nicht mehr so viel gekauft wird, halte ich nicht für ungewöhnlich. Eine Stadt wie Berlin bleibt weiterhin für Investoren attraktiv, im internationalen Vergleich mit Hauptstädten sticht das Immobilienpreisniveau noch günstig heraus.

Aber wer kann sich das leisten?

Dem Immobilienerwerb war in Vergangenheit immer eine längere Ansparzeit vorausgegangen. Es war doch eher die Regel als die Ausnahme, dass man für den Immobilienerwerb auf Konsum verzichtete. So ist beispielsweise Bausparen wieder viel attraktiver geworden. In Metropolen werden sich auch Gutverdiener nicht mehr alles leisten können. Das sehen wir in anderen Hauptstädten wie London oder Paris auch. Die Vermarktungszeiten werden länger sein, aber letztlich dürfte es an Käufern wegen der großen Nachfrage nicht mangeln. Man muss sich bewusst
machen, dass der Boom außergewöhnlich war und der Wohnungsmarkt sich nun normalisiert hat.

Derzeit wird die Nachfrage vor allem durch die Zuwanderung geprägt, aktuell vor allem durch Flüchtlinge aus der Ukraine. Einige Volkswirte glauben, dass nach dem Ende des Kriegs viele wieder zurückgehen werden, was den Druck vom Markt nehmen würde.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Menschen nach Kriegsende entscheiden werden. Außerdem bleibt in Deutschland der Fachkräftemangel weiter bestehen. Von dieser Perspektive aus betrachtet und wegen schleppender Neubau-Aktivitäten dürfte der Bedarf nach Wohnraum in den kommenden Monaten sicher nicht sinken.

Wenn Kauffälle sinken und weniger gebaut wird, wirkt sich diese Entwicklung nicht verheerend auf die Mietmärkte aus?

Der Druck ist in der Tat groß und wird dafür sorgen, dass trotz der bekannten und nur partiell erfolgreichen Regulierungsversuche die Mieten steigen werden. Wer in seiner Mietwohnung verbleiben kann, wird das tun. Das Delta zwischen Finanzierungsraten und Mieten ist groß, so dass sich nach der Niedrigzinsphase auch Gutverdiener wieder am Mietmarkt orientieren. Diejenigen, die sich derzeit keine Kaufimmobilie leisten können, können sich jedoch zumeist die teureren Neuvermietungen leisten. Es ist schon kurios: Ältere, die eher weniger Wohnraum benötigen, würden vielleicht gerne in eine kleinere Wohnung ziehen, wenn sie denn eine finden würden, und könnten dann Platz für Familien machen, die derzeit auf engem Raum wohnen.

Wer kann da Bewegung reinbringen?

Aktive Makler, die Angebot und Nachfrage zusammenbringen, könnten ein Lösungsbaustein sein. Damit würde er seiner Vermittlungsrolle gerecht. Aber leicht ist das nicht. Ringtausch oder Tausch-Immobilienkonzepte mögen punktuell funktionieren, im großen Stil sehe ich derzeit keine Modelle, die wirken. Ansonsten hilft uns: bauen, bauen, bauen!

 

Foto: © Deutsche Bank Research