Der Faktor Zinsen wird auch ohne Zinswende bedeutender

9. Juli 2019


Kommt die Zinswende 2019 oder kommt sie nicht? Wir gehen nicht davon aus. Die EZB dürfte keine Zinsschritte einleiten und an den Anleihemärkten im Euroraum dürfte es allenfalls moderate Zinssteigerungen geben, die von den Märkten aufgefangen werden. Nachhaltige und deutlich spürbare Zinserhöhungen sind hingegen kurzfristig nicht in Sicht und damit auch keine nachhaltigen Veränderungen der Renditen an den Immobilienmärkten. Das Thema Zinsen wird für manche Marktteilnehmer dennoch zu einem entscheidenden Faktor.

Von Andre Schmöller

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Die große Herausforderung für Projektentwickler und Investoren liegt derzeit in der mittelfristigen Zinserwartung. Bei einem Finanzierungsbedarf über einen kurzfristigen und gut vorhersehbaren Zeitraum — bis etwa eineinhalb Jahre — liegt es nahe, von dem derzeit immer noch sehr niedrigen Zinsniveau zu profitieren. Auch bei einer langfristigen Finanzierung — acht Jahre und darüber hinaus — können sich Investoren das niedrige Zinsniveau für einen längeren Zeitraum sichern.
Mittelfristige Finanzierung wird zur Herausforderung

Schwieriger hingegen wird es für diejenigen, die ihr Projekt über eine mittlere Zeitspanne finanzieren. Wird es im Zeit- und Kostenrahmen fertig? Was ist womöglich nachträglich zu investieren? Ist das Projekt zu den ursprünglich erwarteten Konditionen dann überhaupt noch platzierbar? Wie werden sich die Immobilienmärkte, die konjunkturelle Lage und das Zinsumfeld in zwei, drei oder fünf Jahren darstellen? Eine Zinsabsicherung über einen mittelfristigen Zeitraum wird aufgrund dieser mangelnden Planbarkeit schnell sehr kostspielig. Das gilt umso mehr, wenn für höhere Beleihungsausläufe nur noch alternative Fremdkapitalgeber zur Verfügung stehen, weil sich Kreditinstitute regulierungsbedingt zurückhalten. Angesichts der ohnehin bereits sehr niedrigen Renditen kann manches Projekt an die Grenze zur Unrentabilität geraten.
Umso wichtiger ist es daher, sich bei der Auswahl der Investments auf mittel- bis langfristige Sicht wetterfest aufzustellen. Defensive deutsche Wohnimmobilien dürften auch konjunkturellen Dellen oder einer Normalisierung des Zinsniveaus trotzen — vorausgesetzt, sie wurden nicht zu überzogenen Ankaufsrenditen erworben und weisen ein nachhaltiges Mietsteigerungspotenzial sowie ein geringes Leerstandrisiko auf. Fündig wird, wer sich nicht mit dem noch so guten Durchschnitt zufriedengibt, sondern intensiv und ergebnisoffen sucht.

Standorte mit Perspektive sind das entscheidende Kriterium

Dabei können sich Standorte herausschälen, denen die Verwandlung in eine wachsende Schwarmstadt beziehungsweise einen begehrteren Stadtteil erst noch bevorstehen. Ein Beispiel: Investoren aus dem In- und Ausland zieht es nach
Leipzig, wo Mieten und Kaufpreis-Multiplikatoren in den vergangenen Jahren bereits deutlich gestiegen sind. Doch wer denkt an das gerade einmal 40 Kilometer entfernte Halle? Die zweitgrößte Stadt Sachsen-Anhalts ist Hochschulstandort, besitzt renommierte kulturelle Institutionen und verfügt über eine ähnlich gute Verkehrsanbindung wie Leipzig.

Oder blicken wir nach Hamburg. Wohnimmobilien in den begehrtesten Lagen der Hansestadt haben sich aus Investorensicht zu einem Ausweichziel für die Anleihemärkte entwickelt. Doch das Potenzial für weiter steigende Mieten gerät an seine Grenzen. Sollte es tatsächlich mittelfristig zu steigenden Zinsen kommen, werden Preisrückgänge beziehungsweise Bewertungseffekte die unweigerliche Folge sein. Anders sieht es bei manchen Stadtteilen im Hamburger Osten aus, denen ihr Aufstieg noch bevorsteht. Dort können Investoren nicht nur einen ausreichenden Renditeabstand gegenüber dem allgemeinen Zinsumfeld, sondern auch langfristige Perspektiven für sich entwickelnde Marktwerte und Mieten finden. Entscheidend ist es, solche Standorte und Lagen frühzeitig zu identifizieren, bevor ihre Entwicklung einsetzt und sie in das Blickfeld weiterer Investoren geraten.

Auch wenn auf absehbare Zeit nicht mit einem nachhaltig und deutlich höheren Zinsniveau im Euroraum zu rechnen ist, so lässt die Ungewissheit über die mittelfristige Entwicklung doch schon jetzt die Fremdkapitalkosten je nach Zeithorizont spürbar steigen. Umso mehr sind entsprechend exponierte Projektentwickler und Investoren darauf angewiesen, ihr Objektportfolio wetterfest aufzustellen: Die Perspektive ist dabei das entscheidende Kriterium.

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