Die Bedeutung von ESG für Projektentwickler und Makler

23. Dezember 2021


Die Abkürzung ESG (Environmental, Social, Governance) hat sich — ähnlich wie die Corona-Pandemie — in den letzten Jahren zum ständigen Begleiter der Immobilienbranche entwickelt. Begriffe wie Taxonomie, CO2-Emissionen, Nachhaltigkeit, relevante KPIs (Key Performance Indicators) oder CSRD-Richtlinien (Corporate Sustainability Reporting Directive) gewinnen auch bei Immobilienthemen eine immer größere Bedeutung und sind zum Beispiel im Bereich Projektentwicklungen, aber auch bei den beratenden Maklern nicht mehr wegzudenken. Doch damit der Überblick bei der Vielfältigkeit des eigentlichen Themas — der gesetzlichen Regelung von ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten — nicht verloren geht, braucht es vor allem drei Dinge: Viel Geduld, Mut, sich den verändernden Rahmenbedingungen zu stellen, und objektiv anwendbare Regeln jenseits subjektiver Einschätzungen.

Von Matthias Brinkmann

Im Zuge der geplanten Klimaneutralität Europas bis zum Jahr 2050 soll der durch die Europäische Union entwickelte „European Green Deal“ die jährliche Berichterstattung der Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz gründlich überarbeiten und erweitern. Die EU-Taxonomie spiegelt dabei ein gesetzlich geregeltes Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten — und somit auch für jegliche Art von Investitionen — wider.

In einem ersten Schritt wurden zunächst große börsennotierte Unternehmen, Banken und Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet, Informationen zu veröffentlichen, wie und inwiefern deren Tätigkeiten im Zuge der EU-Taxonomie als ökologisch nachhaltig gelten.

Der Unternehmenskreis wurde in diesem Jahr durch neue Richtlinien und Verordnungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich ausgeweitet. Als berichtspflichtige Unternehmen sollen nun alle großen Unternehmen ab 250 Mitarbeitern (Jahresdurchschnitt) unabhängig der Kapitalmarktorientierung gelten, die zusätzlich eine Bilanzsumme von über 20 Millionen Euro oder einen Umsatz von über 40 Millionen Euro im Jahr erwirtschaften. Dies betrifft knapp 50.000 Unternehmen innerhalb der EU, wovon rund 15.000 Unternehmen allein auf die Bundesrepublik entfallen, viele davon aus der Immobilienwirtschaft.

In der Theorie…

In den EU-Verordnungstexten wird festgehalten, dass die Finanz- und Nicht-Finanzunternehmen in ihren Lageberichten verpflichtende Angaben offen-
legen, die Aufschluss über die Größe des Anteils Taxonomie-konformer Aktivitäten geben sollen. Ein grundlegendes EU-Taxonomie-Ziel dabei: „Die Schaffung eines Regelwerkes, das die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Laufe der Zeit auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung stellen wird.“

Hierfür soll — vereinfacht gesagt — der prozentuale Anteil an nachhaltigen Investitions- und Betriebskosten ins Verhältnis zu den Gesamtinvestitionen und -betriebskosten gesetzt werden. Je höher der Anteil, desto größer der ökologisch nachhaltige Wert des Unternehmens.

Für die Geschäftsjahre 2021 beziehungsweise 2022 wird zunächst eine reduzierte Form der Berichtserstattung angestrebt. Somit müssen Nicht-Finanzunternehmen für das Geschäftsjahr 2021 den Anteil der Taxonomierelevanten Aktivitäten sowie unternehmensbezogene qualitative, nachhaltig-orientierte Informationen offenlegen. Für den darauffolgenden Berichtszeitraum 2022 müssen alle qualitativen Informationen und relevanten KPIs dokumentiert und dargelegt werden.

Für Finanzunternehmen (Banken, Kreditinstitute, Versicherungen und so weiter) gilt für die Geschäftsjahre 2021 und 2022 noch eine vereinfachte, ab dem Geschäftsjahr 2023 dann eine ganzheitliche Offenlegung hinsichtlich Taxonomie-Übereinstimmung.

… und in der Praxis

Kreditinstitute werden in Zukunft noch stärker prüfen, welche ESG-Risiken (also: nicht Taxonomie-konforme Aktivitäten) mit einer Investition (beispielsweise innerhalb des Immobiliensektors) verbunden sind, und diese Daten und Ergebnisse in ihre Bewertungen der Investitionen und später auch in deren eigenen Nachhaltigkeitsberichterstattung einfließen lassen.

Laut einer Befragung der Wirtschaftskanzlei Addleshaw Goddard geben schon jetzt 93 Prozent der deutschen Banken und Kreditgeber an, bis 2030 keine Dienstleistung mehr für die Immobilienbranchen zu erbringen, wenn diese keine eindeutige Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt haben.

So ist davon auszugehen, dass Kreditinstitute Finanzierungszusagen und Zinsen zunehmend von klimaschutzorientierten Maßnahmen abhängig machen. Bei Nichteinhaltung der jeweiligen Kriterien könnte es dann zu Finanzierungsproblemen kommen.

ESG und Projektentwicklung

Erste konkrete praxisorientierte Bewertungskriterien für die Projektentwicklung lassen sich beispielsweise in der „Delegierten Verordnung (EU)…/…Der Kommission“ (C(2021) 2800 final) vom 4. Juni 2021, besser gesagt in den beiden Anhängen „Annex 1“ und „Annex 2“, finden. Dies bedeutet einen deutlichen Mehraufwand für Projektentwickler, die sich bereits seit vielen Jahren aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks, Wettbewerbscharakters und geltenden Strafrechts akribisch an die Vielzahl von Vorschriften, Normen und Gesetze halten, die der deutsche Staat mittlerweile in Verbindung mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit verabschiedet hat. Die Dokumentations- und Informationspflichten in der Projektentwicklung sind bereits heute enorm und sie werden für alle Immobilienakteure zukünftig noch drastisch steigen.

Abhilfe soll hier geschaffen werden durch EU-einheitliche beziehungsweise -kompatible digitale Plattformen, wie beispielsweise der „European Single Access Point“ (kurz: ESAP) für finanzielle und nicht-finanzielle Unternehmensinformationen oder die speziell für Projektentwicklungen entwickelte Plattform „Madaster“, die einen „Material Passport“ für Projektentwicklungen generieren und darin alle verbauten Materialien — „schraubengenau“ — abspeichern und darstellen kann.

Hierbei ergeben sich jedoch schnell grundlegende Fragen: Wie tiefgehend wird geprüft? Wird zum Beispiel beachtet werden (müssen), ob in einem Büroneubau Sand, der durch illegalen Abbau gewonnen wurde, als Komponente im Stahlbeton verarbeitet wurde? Grundsätzlich wird es sowohl notwendig wie auch schwierig sein, objektivierbare Kriterien zu definieren, die eine zuverlässige ESG-gerechte Bewertung von Projektentwicklungen — jenseits von individuellem subjektivem Unwohlsein — ermöglicht.

Unklar ist zudem immer noch, wie die in diesem Rahmen entstehenden Systeme mit einer Vielzahl an digitalen Schnittstellen miteinander kommunizieren können. Denn nur, wenn hier ein vernetzter Datenpool entsteht, in dem alle Informationen vergleichbar gesammelt und dargestellt werden können, ist eine objektive Bewertung möglich.

Die neue Bedeutung des Maklers

Für die Immobilienwirtschaft, insbesondere Projektentwicklungen und Investitionen in Immobilien (auch Bestandsimmobilien), ist klar, dass das Thema ESG zum Beispiel mit Blick auf Finanzierung, Verkauf und Wiederverkauf Einzug ins Tagesgeschäft gehalten hat und zukünftig signifikant über den Geschäftserfolg mitentscheiden wird. Hier kommt entsprechend der umfassend beratende Makler (jenseits der längst überholten reinen Nachweistätigkeit) ins Spiel, der als konsensstiftender Vermittler zwischen den Transaktionspartnern fungiert.

Er muss dabei — gerade bei Projektentwicklungen — die ESG-orientierten Erwerbskriterien der Investoren eindeutig mit den Developern diskutieren und mit deren Planungen in Einklang bringen, sonst entwickeln diese womöglich “Ladenhüter“, für die sich weder Finanzierungen, noch Endinvestoren finden lassen. Andersherum erwartet ein Investor, dass der vermittelnde Makler seiner Beratungs- und Prüferfunktion adäquat gerecht wird und bereits im Vorfeld Immobilien daraufhin analysiert hat, ob und in welchem Umfang sie die ESG-Anforderungen des Erwerbsinteressenten erfüllen: Denn fallen sie bei der strengen Prüfung seitens der für die Finanzierung angefragten Bank durch, war der Makler mit Sicherheit die längste Zeit für den Investor beratend tätig.

Dabei lässt sich bereits heute klar feststellen, dass der Beratungsbedarf der Kunden hinsichtlich ESG und Nachhaltigkeit deutlich zugenommen hat und weiter steigt.

Dabei reicht das Spektrum von der Bewertung der Immobilien hinsichtlich ihrer technischen Nachhaltigkeit bis hin zu Mieterbesatz, grünen Mietverträgen und so weiter.

Fazit

Auch der Makler kann sich — will er auch zukünftig erfolgreich tätig sein — nicht dem ESG-Thema entziehen. Das wiederum erfordert eine intensive und tiefe Auseinandersetzung mit Regeln und Rahmenbedingungen, verbunden mit erheblichen Investitionen in Schulungen und Fortbildungen durch entsprechende Experten. Positiv ist auf der anderen Seite die Erkenntnis: Der Makler als Berater und Vermittler ist alles andere als ein Auslaufmodell, sondern gewinnt weiter an Bedeutung.

 

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