„Die Folgen für die Immobilienwirtschaft werden sich in Grenzen halten.“

29. Mai 2020


Die Corona-Krise beeinflusst nicht nur weite Teile der Gesellschaft, sondern auch in der Wirtschaft sind ihre Auswirkungen schon jetzt spürbar. Geschäfte sind geschlossen, Einnahmen bleiben aus. Erste große Unternehmen haben bereits die Stundung ihrer Miete verlangt. Die Corona-Krise wird auch an der Immobilienwirtschaft nicht spurlos vorbeigehen. Deshalb hat die AIZ den Fachreferenten für Bau- und Immobilienforschung des ifo Instituts Ludwig Dorffmeister gefragt, wie die Forschung die Auswirkungen einschätzt.

Interview von Adrian M. Darr

AIZ: Das Coronavirus legt derzeit Gesellschaft und Wirtschaft fast vollständig lahm. Wie groß schätzen Sie die Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft ein?

Ludwig Dorffmeister: Ich denke, dass sich die Folgen für diesen Wirtschaftszweig insgesamt in Grenzen halten werden. Diese Aussage hängt aber klarerweise davon ab, wie lange die Wirtschaftsaktivitäten in der heutigen Weise gedrosselt und wie sich die Situation hinsichtlich Firmenschließungen, Lieferketten oder internationalem Waren- und Personenverkehr weiter entwickeln werden. Aktuell muss man davon ausgehen, dass die Ausgangsbeschränkungen — wenngleich in abgeschwächter Form — noch einige Wochen in Kraft bleiben. Die Immobilienwirtschaft profitiert davon, dass sowohl Privathaushalte als auch Unternehmenssektor und Staat auf ihre vielfältigen Dienste angewiesen sind. Überdies lagen vor der Corona-Pandemie in einigen Bereichen spürbare Engpässe vor, was etwa die Versorgung mit Wohnraum oder Lagerflächen angeht. An dieser Knappheit dürfte sich mittelfristig wenig ändern, sodass ich die Geschäftsaussichten der Immobilienfirmen insgesamt als positiv bewerte. Gleichzeitig ist allerdings davon auszugehen, dass sich gerade Eigentümer bestimmter Gewerbeimmobilien im Verlauf des Jahres vermehrt nach neuen Nutzern umsehen müssen und die entsprechenden Finanzierungen — trotz Sondervereinbarungen über Stundungen — in ernste Schwierigkeiten geraten werden.

Bis jetzt übersteigt die Nachfrage nach Immobilien das Angebot. Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf Angebot und Nachfrage am Immobilienmarkt? Wird sich das Verhältnis durch die Corona-Krise umkehren?

Wie bereits angedeutet, erwarte ich keine Änderungen der bisherigen Verhältnisse. Die Ballungsgebiete dürften nichts von ihrer bisherigen Attraktivität einbüßen. Zudem ist davon auszugehen, dass Deutschland — wie auch schon im Nachgang der Finanzkrise — verstärkt Arbeitssuchende aus anderen Ländern anziehen wird. Dies setzt allerdings voraus, dass unsere Volkswirtschaft glimpflicher als andere durch die Krise kommt. Der bisherige Verlauf der Infektionszahlen beziehungsweise Sterbezahlen und die diversen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen stimmen mich leicht optimistisch. Gleichwohl dürfte der wirtschaftliche Schaden auch hierzulande immens sein.

In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise unaufhörlich gestiegen. Wie wirkt sich die aktuelle Lage auf die Immobilienpreise aus?

Für den Wohnungsmarkt erwarte ich, dass die Preise aufgrund der deutlich schwächeren Nachfrage vorübergehend unter Druck geraten werden. Ob sie nun weniger stark steigen oder sogar merklich sinken werden, ist schwer zu sagen. Es gilt aber auch zu bedenken, dass bei erheblich niedrigeren Transaktionszahlen die daraus abgeleiteten Preisveränderungen mit Vorsicht interpretiert werden sollten, vor allem wenn man einzelne Teilmärkte oder regionale Entwicklungen analysiert. Auf längere Sicht erwarte ich hingegen weitere Preiszuwächse, die sich im Zeitablauf jedoch abschwächen werden.

Die Aktienkurse sind zuletzt stark gefallen. Werden jetzt Investoren vermehrt in Immobilien investieren? Sind Immobilien aktuell noch ein gutes Investmentobjekt oder eine sichere Geldanlage?

Im Vergleich zum Aktien- oder Anleihemarkt zeichnet sich der deutsche Immobilienmarkt durch eine wesentliche höhere Wertbeständigkeit aus. Auch wenn diese zumeist durch stark gedämpfte Renditeaussichten erkauft wird, gehe ich davon aus, dass Immobilien in den Anlageportfolios zukünftig eine nochmals größere Rolle spielen werden als bisher. Allerdings mangelt es bereits an geeigneten Objekten, bei denen nur ein überschaubares Verlustrisiko besteht. So werden für derartige Anlageobjekte bereits recht hohe Preise ausgerufen.

Gibt es Unterschiede zwischen Gewerbeimmobilienmarkt und Wohnimmobilienmarkt, wie sie die Krise verkraften?

Der Markt für Gewerbeimmobilen dürfte sicherlich deutlich stärker betroffen sein. Ungeachtet der zahlreichen, in aller Eile beschlossenen Maßnahmen von Bund und Ländern ist zu befürchten, dass gerade kleine und mittelgroße Unternehmen in den kommenden Monaten zahlungsunfähig werden, sich verkleinern und letztlich den Betrieb ganz einstellen müssen. Ich denke dabei etwa an Einzelhändler, Friseure, Hoteliers, Unternehmensdienstleister, aber auch an Industriezulieferer.

Was bedeutet das für Immobilienbesitzer?

Während die Wohnungsvermieter in den bisherigen Wachstumsregionen auch zukünftig kaum Nachfragerückgang verspüren dürften, werden Anbieter von Gewerbeflächen teilweise große Schwierigkeiten haben, einen Nachnutzer zu finden. Und dann stellt sich natürlich die Frage der weiteren Finanzierung. Im Bürosegment wird es sicherlich spannend sein zu beobachten, welche Auswirkungen das derzeit laufende, großangelegte Home-Office-Experiment tatsächlich haben wird. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Wirtschaft zukünftig massiv auf Heimarbeit umstellen wird. Gleichwohl werden Firmen und Staat die nun gewonnenen Flexibilisierungsmöglichkeiten in der nächsten Zeit sicher konsequent nutzen.

Lohnt es sich jetzt, eine Immobilie zu verkaufen oder zu kaufen?

Ich glaube, dass sich die Handlungsempfehlungen für den Erwerb von Wohneigentum auch im Zuge der Corona-Krise nicht verändert haben. Falls die Preise nun vorübergehend etwas nachgeben, würde ein sofortiger Verkauf Sinn machen, solange eine baldige Veräußerung ohnehin beschlossene Sache war. Andererseits sind die dazu nötigen Prozesse, wie Besichtigung oder notarielle Kaufabwicklung derzeit stark eingeschränkt. Zudem sind Umzüge nur in Ausnahmefällen erlaubt. Bezüglich der Kaufpreise gilt es zu bedenken, dass Bauarbeiten nun nicht wie geplant vonstatten gehen können, weil Material oder insbesondere ausländisches Personal fehlt. Das Wohnraumangebot kann also weniger stark ausgeweitet werden. Dies spricht zusätzlich für eine Fortsetzung des bisherigen Preisanstiegs.

Was müsste die Politik tun, um einen Crash am Immobilienmarkt zu verhindern?

Im Vergleich zu etlichen anderen Branchen kann die Immobilienbranche derzeit noch vergleichsweise „entspannt“ die weitere Entwicklung der Krise beobachten. Das größte Risiko stellen wohl die Finanzierung von gewerblichen Projektentwicklungen und bereits getätigten Ankäufen dar. Entscheidend wird es daher sein, wie mit vereinten Kräften der Politik ein zu starkes Absacken der heimischen Wirtschaft vermieden und der sich anschließende Erholungsprozess stimuliert werden kann. Gelingt dies, dann hält sich der Schwund aufseiten der gewerblichen Mieter in Grenzen und weniger Kreditfinanzierungen werden notleidend. Wie geeignet die bis jetzt beschlossenen Maßnahmen der Politik tatsächlich sind, wird sich aber noch herausstellen. Allerdings hört man dieser Tage immer wieder Stimmen, die vor einer unzureichenden Passgenauigkeit für bestimmte Branchen beziehungsweise Unternehmensgrößen warnen und Nachbesserungen fordern.

Könnte die Immobilienwirtschaft durch die Zinssenkungen der Notenbanken und die gelockerte Geldpolitik vielleicht sogar profitieren?

Die Zinsen für Hypotheken und Firmenkredite sind ohnehin schon extrem niedrig. Ich schätze den Effekt nochmals günstigerer Finanzierungskosten daher als marginal ein.

 

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