„Die Gebäuderichtlinie ist eine ordnungspolitische Keule“

11. August 2023


Als das Europäische Parlament mehrheitlich eine strenge Fassung der geplanten neuen Gebäuderichtlinie beschloss, stimmte er dagegen. Andreas Glück (48) ist seit Juli 2019 Abgeordneter in Brüssel. Er gehört dem Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie an. Der liberale Schwabe ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Interview von Stephen Paul

AIZ: Als bodenständiger Kommunalpolitiker aus Münsingen/Landkreis Reutlingen und als langjähriger Landtagsabgeordneter — was hat Sie bewogen, für das Europäische Parlament zu kandidieren?

Andreas Glück: Eigentlich wollte ich nie Politiker werden. Doch bei mir zuhause galt immer: Meckern, ohne den Versuch zu unternehmen, es besser zu machen, zählt nicht. So kam ich zur Kommunalpolitik. Es gab aber keine Gemeinderatssitzung oder Sitzung im Landtag, wo es nicht hieß „Das kommt aus Europa, da kann man nichts machen“. Damit wollte ich mich nicht zufriedengeben und habe deswegen 2019 bei der Europawahl kandidiert.

Wie erleben Sie den europäischen Politikbetrieb?

Als ich noch im Landtag war, konnte jeder verstehen, worum es geht: Schule, Polizei und so weiter. Was die Verordnung „on substances of human origin“ sein soll, versteht hingegen kaum jemand. Gleichzeitig sind wir aber alle darauf angewiesen, dass die Blutspenderegeln, um die es dabei geht, praktikabel sind. Die Europapolitiker müssen raus aus der Blase und mehr mit den Menschen zuhause sprechen. Ich gehe weiterhin jede Woche für ein paar Stunden meinem Beruf als Facharzt für Chirurgie im Krankenhaus nach. Der direkte Kontakt mit den Leuten dort bietet immer einen Kontrast zu Brüssel.

Die europäische Ebene ist noch weiter von den Bürgern entfernt als die nationale Politik. Haben Sie den Eindruck, dass Bürger und mittelständische Wirtschaft bei den Herausforderungen wie der Transformation des Gebäudebestandes „mitgenommen“ werden?

In manchen Mitgliedsstaaten gibt es wenig mittelständische Struktur, daher fehlt es dafür manchmal an Verständnis. Deswegen haben wir in meiner Fraktion Renew Europe eine Taskforce für die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen gegründet. In dieser Arbeitsgruppe stellen wir jedes Gesetz auf den Mittelstands-Prüfstand und werben, wenn nötig, für Änderungen. Genauso wichtig ist hier aber auch die Arbeit der Verbände. Es ist wichtig, dass sie sich in Brüssel weiterhin Gehör verschaffen.

Die Immobilienwirtschaft ist in Brüssel vertreten. Der IVD über die European Association of Real Estate Professions (CEPI). Im September tagen das IVD-Präsidium und der Bundesvorstand in Brüssel. Welche Relevanz hat die europäische Politik mittlerweile für Immobilienunternehmer und ihre Beschäftigten?

Gerade in meinen Arbeitsbereichen — Umwelt, Klima, Energie, Industrie — hat die EU mittlerweile sehr viele Kompetenzen, teilweise mehr als die Mitgliedsstaaten selbst. Daher ist es zentral, dass der IVD und andere Beteiligte das Geschehen in Brüssel eng verfolgen. Die europäische Gebäudeeffizienzrichtlinie (EPBD) ist hier nur das aktuellste Beispiel dafür.

Die geplante Gebäuderichtlinie sieht vor, dass jedes einzelne Gebäude in seiner Energieeffizienz betrachtet wird. Ist das sinnvoll?

Kosteneffizienter Klimaschutz sieht anders aus. Statt jedes Gebäude einzeln zu betrachten, sollten wir dort Sanierungsmaßnahmen durchführen, wo die CO2-Vermeidungskosten am geringsten sind. Das ideale Instrument dafür ist der europäische CO2-Zertifikatehandel, der gerade auf den Gebäudebereich erweitert wurde. Durch dieses Marktinstrument besteht ein wirtschaftlicher Anreiz zur Sanierung, wo es am günstigsten ist. Die EPBD hingegen ist eine ordnungspolitische Keule und zwingt Eigentümer zu teuren, kostenineffizienten Sanierungen. Wir haben uns für den flexibleren Quartiersansatz stark gemacht. Dort wird nicht jedes Gebäude einzeln betrachtet.

Es ist geplant, den energetisch am niedrigsten eingestuften Teil des Gebäudebestandes sanieren zu müssen. Durch die Unterschiede in den Effizienzklassen von Land zu Land werden doch Äpfel mit Birnen verglichen. Werden nicht die Länder benachteiligt, die bei der energetischen Sanierung ihrer Bestände vorangegangen sind?

Das ist einer unserer Hauptkritikpunkte am Vorschlag der von der Leyen-Kommission. Ursprünglich war die Vereinheitlichung der Effizienzklassen ein Ziel der Neufassung. Nun verschlechtert sich dies aber weiter. Effizienzklasse D in Finnland könnte zukünftig Effizienzklasse A in Portugal bedeuten. Wie Sie richtig angesprochen haben, werden die Vorreiter bestraft. Vor allem Länder in Nord- und Mitteleuropa haben bereits viel in energetische Sanierung investiert und werden nun gezwungen, von diesem hohen Niveau weiter teuer zu sanieren. Das ist auch der Grund, weshalb gerade unsere finnischen, schwedischen und holländischen Kollegen genau wie wir die EPBD sehr kritisch sehen.

Sie haben im Europäischen Parlament gegen die strenge Fassung der Gebäuderichtlinie gestimmt. Die Mehrheit jedoch dafür. Aber auch die Europäische Kommission und der EU-Rat der Staats- und Regierungschefs müssen zustimmen. Haben Sie noch Hoffnung?

Die Mehrheit im Europäischen Parlament hat den Vorschlag der Kommission bedauerlicherweise noch verschärft. Die Mitgliedsstaaten haben hingegen den Vorschlag der Kommission deutlich abgeändert. Darin wird auch nicht jedes Gebäude einzeln betrachtet. Das Ziel ist vielmehr, die Energieeffizienz des Gebäudebestands als Ganzes stetig zu verbessern. Das gewährt den Mitgliedsstaaten Flexibilität und ist der Position des Parlaments klar vorzuziehen. Ich habe also die Erwartung, dass der Parlamentsentwurf noch deutlich abgeschwächt wird.

Gibt es weitere Entwicklungen auf Europäischer Ebene, die für die deutsche Immobilienbranche bedeutsam werden können?

Auf jeden Fall die Ökodesign-Richtlinie. Hier gibt es einen Vorstoß der Kommission über Energieeffizienzvorgaben für Heizgeräte, Boiler über die Hintertür zu verbieten. Zwar sind Wärmepumpen für manche Gebäude eine gute Lösung, jedoch lange nicht für jedes Haus geeignet. Nur Technologieoffenheit ermöglicht individuelle Lösungen. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur hat das Parlament nach langen Auseinandersetzungen leider gerade knapp ein Gesetz angenommen, das die Verfügbarkeit von Flächen massiv einschränken könnte. Hier gilt es, ebenso wie für die EPBD, jedoch die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten abzuwarten.

Haben Sie Ideen, wie die EU für mehr bezahlbares Wohnen und mehr Chancen auf Wohneigentum sorgen könnte? Deutschland ist bei der Wohneigentumsquote ja ein Schlusslicht in Europa.

Wir brauchen nicht überall ein bisschen Europa, sondern ein starkes Europa an den richtigen Stellen. Europa sollte nicht immer mehr tun, sondern auch hinterfragen, wo Bürokratie und Detailvorschriften abgebaut werden können. Das Streichen von Vorgaben in der EPBD zu Cargobike-Stellplätzen und recyceltem Baumaterial wären zum Beispiel ein erster Schritt.

Kommendes Jahr wird das Europäische Parlament neu gewählt. Die „Heiz-Keule“, wie die Boulevard-Presse die Gebäuderichtlinie nennt, und andere Vorschriften haben das Potenzial, den Frust über die EU zu steigern. Befürchten Sie bei der Wahl ein Erstarken der politischen Ränder?

Erste Umfragen für die Europawahl zeigen in der Tat, dass sowohl die extreme Rechte als auch die extreme Linke nächstes Jahr deutlich zulegen könnten. Und tatsächlich bin ich der Meinung, dass einige Gesetzesvorschläge der von der Leyen-Kommission zu Verunsicherung bei Bürgern und Unternehmen geführt haben. Die Schlussfolgerung daraus darf aber nicht sein, die EU als Ganzes abzulehnen. Auch ich bin nicht nach Brüssel gekommen, weil ich hier alles super finde, sondern weil ich Europa verbessern möchte.

 

Foto: © Andreas Glück