Die Liquiditätsrücklage

9. Dezember 2022


Zur ordnungsgemäßen Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums zählt auch die Bildung einer Instandhaltungsrücklage. Diese Rücklage heißt im Sprachgebrauch des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) nunmehr „Erhaltungsrücklage“. Daneben sind weitere Rücklagen der Gemeinschaft denkbar, die die Wohnungseigentümer durch Beschluss, also aus eigenem Antrieb und nicht aufgrund gesetzlicher Verpflichtung, errichten. Das kann sinnvoll sein, insbesondere um eine Absicherung gegen plötzlich auftretende Liquiditätsengpässe zu schaffen. Die Entscheidung darüber liegt bei den Eigentümern. 

Von Rechtsanwalt Dr. Niki Ruge 

Die Bildung der Erhaltungsrücklage ist obligatorisch. Über die Jahre hinweg können sich insoweit erhebliche Geldbeträge ansammeln, die der Gemeinschaft gehören. Allerdings besteht eine Zweckbindung; Mittel aus der Erhaltungsrücklage dürfen deshalb grundsätzlich nur für Erhaltungsmaßnahmen verwendet werden. Dazu zählen vor allem Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums. In Zeiten erheblicher wirtschaftlicher Unsicherheiten und stark steigender Preise stehen auch Wohnungs- und Teileigentümer vor der Frage, ob sie innerhalb ihrer Gemeinschaft eine zusätzliche Absicherung gegen plötzliche Liquiditätsengpässe benötigen, die außerhalb von Erhaltungsmaßnahmen auftreten. Das können zum Beispiel Energiekosten und damit verbundene Preissteigerungen sein.  

AG Lübeck, Urteil vom 18. März 2022 – 35 C 52/21WEG

In der beklagten Gemeinschaft wurde beschlossen, eine Liquiditätsrücklage zu schaffen. Diese sollte jedoch nicht durch regelmäßige monatliche Zuführungen gebildet werden, sondern durch eine einmalige Separierung eines Betrages von 15.000 Euro aus der Erhaltungsrücklage. Dagegen wandte sich die klagende Eigentümerin mit ihrer Anfechtungsklage. Sie verwies vor allem darauf, dass eine weitere Rücklage nicht notwendig sei und ihre Bildung durch Abschöpfung aus der Erhaltungsrücklage deren Zweckbestimmung verletze. 

Das Amtsgericht folgt dem nicht und weist die Klage ab. Eine Liquiditätsrücklage sei ein probates Mittel, um kurzfristige Liquiditätsengpässe auszugleichen. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte nachvollziehbar und plausibel vorgetragen, dass finanzielle Engpässe gerade im ersten Quartal eines Jahres vorkommen können. Hinzu kämen allseits bekannte, bereits eingetretene Erhöhungen der Energiekosten und weitere noch zu erwartende Kostensteigerungen. Andererseits habe die Erhaltungsrücklage einen ausreichend hohen Stand. Deswegen sei es hier nicht zu beanstanden, dass aus ihr ein Teil entnommen wird, um die neue Liquiditätsrücklage ohne monatliche Zuführungen zu bilden. 

Der rechtliche Kontext 

Im Ausgangspunkt ist unbestritten, dass die spezifische Zweckbindung der Erhaltungsrücklage einer Verwendung zu anderen Zwecken als Erhaltungsmaßnahmen entgegensteht. Allerdings ist das nur der Grundsatz, Ausnahmen sind also möglich. Nach heute herrschender Meinung können jedenfalls in der Erhaltungsrücklage gebundene Mittel, die eine angemessene Höhe übersteigen, für andere Zwecke verwendet werden. Dahinter steht die gedankliche Erwägung, dass es ein ausreichendes Maß an „Befüllung“ der Erhaltungsrücklage gibt, das die meisten finanziellen Risiken abpuffert. Beträge jenseits dieser angemessenen Befüllung können dann für andere Zwecke genutzt, also quasi umgewidmet werden. Voraussetzung dafür ist aber in jedem Fall eine entsprechende Beschlussfassung. 

Was ein angemessener Stand der Erhaltungsrücklage in diesem Sinne ist, muss aber im Einzelfall genau betrachtet werden. Insoweit werden mehrere Faktoren eine Rolle spielen. So können beispielsweise Erhaltungszustand und Baualter der Anlage, eine etwaige Reparaturanfälligkeit sowie noch anstehende Reparaturen und Baumaßnahmen als Basis einer Prognose dienen. Auch umfangreiche Baumaßnahmen, die bereits durchgeführt wurden, finden Berücksichtigung, weil davon auszugehen ist, dass jedenfalls auf absehbare Zeit insoweit kein Erhaltungsbedarf mehr auftreten wird.

Der „angemessene Befüllungsstand“ der Erhaltungsrücklage entzieht sich damit einer generalisierenden Betrachtung. Er muss vielmehr stets im Einzelfall ermittelt werden. Gelangt man unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Kriterien zu dem Ergebnis, dass die Erhaltungsrücklage ausreichend befüllt ist, kommt die Separierung eines überschüssigen Teiles zu Gunsten einer anderen Rücklage und insbesondere einer Liquiditätsrücklage in Betracht. Darüber entscheiden
die Eigentümer durch Beschluss. 

Schlussfolgerungen für die Verwaltungspraxis

Aktuell herrschen Unsicherheiten vor allem im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Damit verbunden ist das Bedürfnis, mit Sicherungsmechanismen entgegenzuwirken. Die Bildung einer gesonderten Liquiditätsrücklage neben der Erhaltungsrücklage ist hier grundsätzlich ein mögliches Mittel. Das kann durch monatliche Zuführungen im Rahmen eines beschlossenen Wirtschaftsplanes geschehen. Aber auch die Abschöpfung eines überschüssigen Teiles der Erhaltungsrücklage kommt in Betracht. Der Vorteil besteht in diesem Fall darin, dass sofort ein nennenswerter Betrag zur Verfügung steht und keine weitere Ansparung erfolgen muss. Allerdings ist Vorsicht geboten bei der Bestimmung des überschüssigen Teiles. Wer Fehler vermeiden will, die zur Anfechtbarkeit führen, muss einen 360-Grad-Blick auf das gesamte Objekt haben. Dieser Aufwand kann sich jedoch lohnen, denn er führt im besten Fall zu einer signifikanten Steigerungen der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Gemeinschaft. Darüber sollte man frühzeitig nachdenken und nicht erst, wenn der Ernstfall eingetreten ist.