Die Tücken und Herausforderungen der digitalen Nahversorgung

8. November 2017


Wohnen, Nahversorgung, Digitalisierung: Dieser Dreisatz sorgt derzeit für einen brisanten Spannungsbogen. Der Weg in die Digitalisierung, auf dem wir uns gerade befinden, erfordert Umdenken und treibt mitunter seltsame Blüten.

Von Prof. Dr. Winfried Schwatlo

Ich erlebe das in Gesprächen und Vorträgen ebenso wie im täglichen Geschäft – und im eigenen Alltag. Aktuell betrifft das insbesondere das Thema Nahversorgung, jene berühmte letzte Meile, die sich zunehmend an der Schnittstelle von Online und Offline befindet. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen:

Sie bestellen drei unterschiedliche Waren bei drei unterschiedlichen Händlern im Internet. Jeder der Händler hat einen anderen, vielleicht sogar eigenen Zustelldienst, und alle drei Paketzusteller geben an, Ihre Bestellung an demselben Tag auszuliefern. Also werden nun im Laufe eines Tages zu unterschiedlichen Uhrzeiten drei Lieferwagen bei Ihnen vorfahren, drei Mal werden die Boten klingeln, und wahrscheinlich drei Mal werden sie niemanden erreichen, denn Sie sind im Büro oder geschäftlich unterwegs oder beim Sport oder spielen Familienkutsche für Ihre Kinder.

Drei Mal haben die Zusteller vor Ihrem Haus an- und den Verkehr aufgehalten. Drei Mal haben die Zusteller einen Zettel ausgefüllt und — im besseren Falle — in Ihren Briefkasten gesteckt, in den meisten Fällen aber an die Tür mit richtig stark haftendem Tesafilm geklebt —meist einem Kleber, der beim Abreißen Spuren hinterlässt. Für Hausverwalter ist das dann ein klarer Fall von Mehrarbeit bis hin zur Frage einer möglichen Sachbeschädigung, wenn der Zettel nicht nur gut hält, sondern auch mit Schmackes abgerissen wird. Drei Mal also war die Zustellung vergebens — Sie haben Ihre Bestellung nicht erhalten, der Zustelldienst muss erneut liefern, der Kauf ist nicht vollständig abgeschlossen.

Mich als Projektentwickler stellt diese Blüte der Digitalisierung vor eine deutliche Aufgabe: Wie erreiche ich es, dass Bewohner der von mir entwickelten Wohnungen sich darauf verlassen können, dass sie ihre Bestellungen tatsächlich erhalten? Wie erreiche ich es, dass wir die Digitalisierung nutzen, um Wege nachhaltiger, ökonomischer und effizienter zu gestalten? Dass ich hier übrigens das Beispiel der Paketzustellung gewählt habe, ist der Anschaulichkeit geschuldet — das Bild gilt analog für die jetzt im Herbst anbrechende Zeit der Gas- und Stromablesungen, für Getränkelieferanten usw. Denn mag die Bestellung der Ware digitalisiert sein, mag selbst die Herstellung der Ware längst automatisiert ablaufen, die Schnittstelle zwischen bestellter Ware und Besteller ist weiterhin in den meisten Fällen analog — die Ware wird von Mensch zu Mensch übergeben.

In vielen Fällen gibt es mittlerweile Konzepte, um dieses Nadelöhr ebenfalls digitalisiert und unabhängig von der tatsächlichen, physischen Anwesenheit des Bestellers zu meistern. So entwickeln manche Zusteller Kofferraumzustellungen, bei denen Auslieferer die bestellte Ware im Kofferraum eines PKW deponieren — aber würden Sie sich dabei wohlfühlen, wenn Fremde Ihren Wagen aufschließen? Einzelne Nahversorger gehen Kooperationen mit Bahnhöfen ein und stellen prominent Kühlboxen auf, so zum Beispiel auch am Stuttgarter Hauptbahnhof — aber kaufen Sie unbedingt alles bei einem Händler?

Für mich steht fest, dass die Frage der Zustellung in den Horizont des Projektentwicklers fallen muss. Es liegt an ihm, in Quartieren Abholstationen und Kühlboxen einzurichten, die von allen Bewohnern (und gerne auch angrenzenden Anwohnern) jederzeit genutzt werden können. Wo Bestellungen und Pakete je nach Bedarf abgeholt oder aufgegeben werden, von Nahrungsmitteln, die gekühlt werden muss, über Kleidung bis hin zu Wäsche, die man in die Reinigung geben möchte. Das spart uns nicht nur Zeit und Nerven in Erwartung lang ersehnter Bestellungen, sondern auch unnötige Mehrfahrten und viel zu gut haftende Klebestreifen.